Aargauer Biodiversität: Vorreiter mit Vor- und Nachteilen

Die Aargauer Landwirtschaftsausstellung ALA23 ist eine lebendige Schau des Landwirtschaftsabsatzes von über 1 Milliarde Franken pro Jahr, mit bedeutenden Anteilen Gemüse- und Obstbau. In der Fülle der präsentierten Leistungen aus Pflanzenbau und Viehwirtschaft fällt auf, dass der Aargau mit 21 Prozent Biodiversitätsförderfläche an der gesamten Landwirtschaftsnutzfläche schweizweit führend ist. Mit Vor-, aber auch Nachteilen.
Zuletzt aktualisiert am 1. September 2023
von Michael Flückiger
4 Minuten Lesedauer
Biodiversitaet ALA Mfl

Alle 10 Jahre nur findet sie statt, die Aargauer Landwirtschaftsausstellung. Der Rundgang in Lenzburg macht deutlich, weshalb dieser Rhythmus so gewählt ist: Der Aargau will auch zeigen, dass er in bezüglich Leistungsfähigkeit in der Agrarwirtschaft schweizweit an fünfter Stelle steht. Mit einer Wertschöpfung von jährlich knapp einer Milliarde Franken ist die Landwirtschaft im Aargau ein bedeutender Wirtschaftsfaktor.

OK-Präsident und Nationalrat Alois Huber, der in der Pacht des Kantons den Grossbetrieb Wildegg führt, hat zur Eröffnung den gesamten Aargauer Grossrat und die Bundesparlamentarier geladen. Regierungsrat Markus Dieth, Finanz- und Landwirtschaftsdirektor des Kantons Aargau präsentiert mit Stolz Zahlen und Fakten zur Landwirtschaft und erntet mit seinem launigen Bekenntnis zu den Aargauer Weinen Sympathien beim Publikum.

Beeindruckende Biodiversitätsleistungen des Aargaus

Der Rundgang durch die Ausstellung ist eng getaktet, die Fülle lädt zu einem späteren weiteren Besuch ein. In der aufwändigen Schau, 15 Monate im Voraus mussten die ganzen Bepflanzungen in Gang gesetzt werden, damit möglichst viel davon pünktlich in der Blüte steht – sticht die Biodiversitätsleistung des Kantons Aargau heraus. 7 Prozent der Landwirtschaftlichen Nutzflächen müssen gemäss Bund Biodiversitätsförderflächen - so genannte BFF - umfassen, also mit Elementen wie Hecken, artenreichen Wiesen, Hochstamm-Feldobstbäumen und anderen naturnahen Lebensräumen bewirtschaftet sein. Der Kanton Aargau erreicht mit 21 Prozent das Dreifache der Forderung des Bundes. Das kommt nicht von ungefähr. Der Kanton Aargau hat schon vor über 30 Jahren die Weichen dazu gestellt.

Die ALA 23

Die ALA23 dauert noch bis Sonntag, 3. September.

Am Sonntag, 3. September 2023 ab 16.30 Uhr verkauft die ALA das Gemüse direkt ab Pflanzgarten. Interessierte können für CHF 5.- einen Sack kaufen und ihn mit dem im Pflanzgarten gewachsenen Gemüse füllen.

Biodiversitaetsflaechen COLETTE BASLER
Auf dem Betrieb Uelberg wird schon lange Wert auf Biodiversität gelegt. (Colette Basler)

«Die schönste Buntbrache je»

Die Familie von Colette Basler, Bäuerin und Grossrätin aus Zeihen im Aargauischen Fricktal, ist schon seit den Anfängen dabei. Respektive ihr Vater, der auf dem heimischen Hof Uelberg einen Milchwirtschafts- und Ackerbaubetrieb führte. Begeistert zeigt die Vizepräsidentin des Aargauer Bauernverbandes (BVA) auf ihrem Smartphone Bilder von blühenden Blumenwiesen. «Wir hatten noch nie eine so schöne Buntbrache. Ich bin total begeistert, wie sich bei uns die Vielfalt an Pflanzen, Insekten und Kleintieren ausbreitet», sagt sie und verweist darauf, dass auf ihrem Hof in diesem Jahr wieder fünf neue Steinhaufen entstanden sind. «Der Kessler-Index, ein Mass für die Vielfalt der Pflanzen und Tiere im Kanton, steigt wieder.»

Der Betrieb Uelberg weist eine BFF von gar 30 Prozent auf, was dem vierfachen geforderten Wert entspricht. Basler hat keinerlei Mühe, sich selber für das Einrichten und Hegen von Biodiversitätsflächen auf die Schulter zu klopfen. Der Nutzen für die Natur und damit auch die Landwirtschaft ist unbestritten. Dafür Fördergelder zu erhalten ist voll und ganz gerechtfertigt. Angesichts der aktuellen Debatten um Natur- und Klimaschutz je länger je mehr.

Pionierarbeit mit Agrofutura

Mit Agrofutura hat der Aargau vor über 30 Jahren Pionierarbeit geleistet und ist die Herausforderung Biodiversität systematisch angegangen. Wo macht es Sinn im Aargau Hecken, Buntbrachen und Kleinstrukturen anzulegen. Rasch hat man erkannt: Die Ausläufer des Juras, das Fricktal, insbesondere das obere Fricktal eignen sich sehr gut dafür.

«Wir haben bei uns lehmige, schwere Böden, die sich nur bedingt für intensive Kulturen eignen», sagt Colette Basler. «Mein Vater hat den Nutzen rasch erkannt. Einen verpflichtenden Leistungsvertrag über acht Jahre einzugehen, war damals mutig und wurde längst nicht von allen verstanden», erklärt sie. Mittlerweile steht der Betrieb bereits in der vierten Vertragsperiode. «Wir haben seither mehr Insekten, mehr Vögel, mehr Amphibien und mehr Reptilien», freut sich Basler, die allerdings auch sehr gerne auf dem Traktor unterwegs ist und den Acker pflügt.

Zahlen und Fakten zur Biodiversität im Aargau

Die Biodiversitätsförderfläche (BFF) im Kanton Aargau umfasst insgesamt 12'321 Hektaren inklusive Bäume über 20 Prozent. Die BFF des Aargaus nahm gegenüber 2021 um 500 ha bzw. 4,2 % zu. Acker-BFF wie Brachen und Säume umfassen insgesamt 396 ha (2021: 396 ha). Mit 7'941 ha sind BFF auf Dauergrünfläche am stärksten vertreten (2021: 7'832 ha). Dazu kommen 256 ha Streueflächen (2021: 254 ha). Weitere Strukturelemente sind Hecken, Feld- und Ufergehölze 606 ha (2021: 589 ha) sowie 197'848 Bäume (2021: 194'326).

«Programm «Labiola» kann Vorbild sein für andere Kantone»

Das Aargauer Programm für Biodiversität «Labiola», meint sie, liesse sich angesichts der Systematik und der breit dokumentierten Erfahrungswerte, auch sehr gut auf andere Kantone ausrollen. Der Erfolg sei schliesslich offensichtlich, «und wir haben noch Potenzial in der Schweiz.»

Basler verfolgt sehr bewusst progressive Ansätze. Sie ist der Meinung, dass die Landwirtschaft aktiv mitsteuern soll, wohin der Weg geht, z. B. in den gegenwärtigen Debatten rund Klimaschutz, Trinkwasser, Nutztierhaltung und Biodiversität.

Neue Anforderungen für Ackerflächen kommen

In der Schweiz müssen voraussichtlich ab 2024 Betriebe auf der Ackerfläche 3,5 Prozent BFF ausscheiden. Für viele Betriebe, die freiwillig auf ihren Ackerflächen zusätzliche BFF angelegt haben, ein Ärgernis. Denn diese Flächen sind nicht mehr als Ackerfläche ausgeschieden und gelten deshalb nicht als Teil der 3,5%. Zudem werden einige Biodiversitäts-Elemente, z. B. Hecken, nicht angerechnet.

Eroeffnung ALA 23 Mfl
An der Eröffnung waren zahlreiche Politikerinnen und Politiker sowie Landwirtschaftsvertreter anwesend. Im Hintergrund das Schloss Lenzburg. (mfl)

Zahlen und Fakten zur Aargauer Landwirtschaft

Die Landwirtschaft im Kanton Aargau erwirtschaftet auf einer Nutzfläche, die 43 Prozent der Kantonsfläche erreicht, jedes Jahr einen geschätzten Markterlös von knapp einer Milliarde Franken. Mit seinen gut 3000 Betrieben gehört der Aargauer Bauernstand zu den Top 5 der Schweiz. Mit 20 Hektaren Nutzfläche pro Betrieb liegt der Aargau leicht unter dem schweizweiten Durchschnitt von 21 Hektaren. Im Durchschnitt hält ein Betriebe 29 Kühe und 31 Schweine.

60 Prozent der Nutzfläche oder rund 36'000 Hektaren umfasst der Ackerbau, drei Viertel davon sind offene Ackerflächen und ein Viertel Kunstwiesen. Der Kanton Aargau gehört zu den grössten Gemüseproduzenten der Schweiz, die Gemüsenutzfläche umfasst 2500 Hektaren. Zwei von fünf Erbsen und Bohnen, die die Schweizer Landwirtschaft erzeugt, kommen aus dem Aargau. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung ist der Kanton Aargau gemessen an seiner Produktion kein Rüeblikanton, sondern eher ein Zuckermaiskanton. 

Aber auch im Obstbau spielt der Kanton Aargau eine wichtige Rolle: Mit seinen 231 Betrieben, die ihre Obstkulturen auf rund 300 Hektaren anbauen, ist er nach den Kantonen Wallis, Waadt und Thurgau der viertgrösste Schweizer Obstbaukanton. Die gesamtschweizerisch Obstbaunutzfläche beträgt 6300 Hektaren. Der Aargau baut 11 verschiedene Obstarten an. In der Zwetschgen- und Kirschenproduktion steht der Kanton Aargau im schweizweiten Vergleich an zweiter Stelle.