Bauern fordern dringend neue Pflanzenschutzpolitik

Die pflanzliche Produktion befinde sich derzeit im Notfallmodus und benötige dringend eine überarbeitete Pflanzenschutzpolitik. So seien in den letzten zehn Jahren fast hundert Pflanzenschutzmittel zurückgezogen worden, aber nur knapp 50 neue, alternative Wirkstoffe auf den Markt gelangt.
Zuletzt aktualisiert am 9. Oktober 2023
von Renate Hodel
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Gemueseabo 01 Rh

Die Bauern schlagen angesichts der zunehmenden Verbote von Pflanzenschutzmitteln und der mangelnden Verfügbarkeit effektiver Alternativen Alarm. Dies stelle eine ernsthafte Bedrohung für den Schutz vieler Kulturpflanzen dar, was nicht nur erhebliche Ernteverluste verursache, sondern auch langfristig zur Aufgabe wichtiger Nahrungsmittelkulturen führen könnte. Die pflanzliche Produktion befinde sich derzeit im Notfallmodus und benötige dringend eine überarbeitete Pflanzenschutzpolitik.

Um darauf aufmerksam zu machen, verteilt der Berner Bauernverband zusammen mit den Schweizer Rübenproduzenten sowie der Vereinigung der Schweizerischen Kartoffelproduzenten und Gemüseproduzenten am 13. Oktober auf dem Bundesplatz Gemüse aus der Region, das aufgrund mangelnder Schutzmittel nicht mehr vermarktet werden kann.

Damit soll die Notwendigkeit nach klaren Perspektiven und Aussichten für den Pflanzenbau betont werden, insbesondere vor dem Hintergrund der Forderungen von Gesellschaft und Politik nach einer verstärkten pflanzlichen Produktion.

Interview mit Markus Lüscher, Produzent und Vorstandsmitglied im Berner Bauernverband

LID: Warum braucht es dringend eine neue Pflanzenschutzpolitik?
Markus Lüscher: Beizungen zu verbieten und Schädlinge übers Spritzen zu bekämpfen, ist nicht zielführend und nicht genügend wirksam – und dass noch bei viel höherem Aufwand mit Insektiziden.

LID: Welche Kulturen sind oder waren zuletzt von dieser «falschen Pflanzenschutzpolitik» betroffen?
Markus Lüscher: Zuckerrüben, Kartoffeln, Hülsenfrüchte, Raps, Gemüse – primär Produkte die nicht zur Veredlung gedacht sind.

LID: Offenbar gibt es nur wenig zuverlässige und wirksame Alternativen – wie äussert sich das?
Markus Lüscher: Für den Schutz der Kulturen stehen häufig nur noch wenige Produkte von einer oder zwei Wirkstoffgruppen zur Verfügung. Der chemische Pflanzenschutz funktioniert aber nur durch den regelmässigen Wechsel von Wirkstoffgruppen – gleich wie bei der Humanmedizin. Dies ist für die pflanzliche Produktion und die Ernährungssicherheit verantwortungslos.
In der Periode zwischen 2013 und 2022 wurden 88 Pflanzenschutzmittel zurückgezogen, während nur gerade 41 neue Wirkstoffe folgten und davon waren 12 Mikro- und Makroorganismen. Die Neuzulassungen konnten die Rückzüge der alten Substanzen in der Zahl und auch in der Wirkung bei Weitem nicht ausgleichen. Zudem stauen sich aktuell 700 Gesuche bei den Zulassungsbehörden.

LID: Was ist die Folge?
Markus Lüscher: Pflanzenschutz und pflanzliche Produktion stehen in einem engen Zusammenhang. Wo Schutzmöglichkeiten für die Kulturen fehlen, unzuverlässig funktionieren oder Alternativen arbeits- und kostentechnisch nicht mehr bewältigbar sind, wird der Anbau sehr schnell aufgegeben oder sehr stark zurückgefahren.
Der Selbstversorgungsgrad der pflanzlichen Produktion im Jahr 2022 ist mit 33 Prozent auf einem Tiefstand angelangt. Er wird weiter abnehmen – insbesondere aufgrund der Einschränkungen und Verbote im Bereich Pflanzenschutz.

LID: Was erhofft man sich von der Kundgebung? Welche konkreten Resultate sollen allenfalls herausschauen?
Markus Lüscher: Wir wollen die Aufnahme eines Dialogs zur Anpassung der Agrarstrategie bei Saat und Pflanzung mit dem Ziel, zu ernten, CO2 zu senken und möglichst keinen Abdruck in der Umwelt zu hinterlassen – und nicht Saat und Pflanzung auf den Feldern vernichten zu müssen oder dass die Ernte in den Biogasanlagen landen. Wir wollen nicht in den Müll produzieren!
Der Pflanzenbau braucht dringend Perspektiven und klare Aussichten – ganz besonders darum, weil Gesellschaft und Politik einen starken Ausbau der pflanzlichen Produktion fordern.