Wie weiter mit neuen Züchtungsmethoden?

Wie soll die Schweiz mit neuen Züchtungsverfahren für Pflanzen vorgehen? Der Nationalrat will diese im Gegensatz zum Ständerat nicht vom Gentech-Moratorium ausnehmen. Aber er beauftragt den Bundesrat damit, bis Mitte 2024 eine Vorlage auszuarbeiten, um nicht-transgene Pflanzen vom Moratorium auszunehmen, sofern sie einen Mehrwert bieten.
Zuletzt aktualisiert am 10. März 2022
von Jonas Ingold
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Damit schliesst sich der Nationalrat zwar nicht dem Ständerat an, der die neuen Züchtungsmethoden sofort vom Moratorium, das bis 2025 gelten soll, ausnehmen wollte. Er machte jedoch ebenfalls einen Schritt in diese Richtung. Die Vorlage geht nun zurück in den Ständerat, wo sie am 8. März beraten wird.

Erfreut über diesen Entscheid ist der Schweizer Bauernverband (SBV). Er hatte den Entscheid des Ständerats als Schnellschuss kritisiert. Der Nationalrat setze nun auf ein besonneneres Vorgehen, heisst es in einer Mitteilung. Er lege die Basis, damit die Schweizer Landwirtschaft weiterhin GVO-frei bleibe und gleichzeitig ergebnisoffen geprüft werde, wie die neuen Züchtungsmethoden künftig geregelt werden könnten. Der Verband erhofft sich eine Zustimmung des Ständerates.

Bio Suisse und SAG wollen Regelung innerhalb des Gentechnik-Gesetzes

Bio Suisse verlangt, dass auch CRISPR/Cas innerhalb des Gentechnikgesetzes (GTG) reguliert wird. Dass diese wie konventionelle Sorten ausserhalb des GTG geprüft würden, komme für Bio Suisse nicht in Frage, heisst es in einer Stellungnahme. Die Risiken von alten und neuen Gentechniken seien für Bio Suisse, für den Bundesrat und den Europäischem Gerichtshof potenziell gleich hoch und deshalb rechtlich gleich zu behandeln. Bio Suisse sieht insbesondere Probleme, weil Nutzpflanzen ihre Pollen weit verteilen. Eine Koexistenz sei in der kleinen Schweiz äusserst schwierig. Bio Suisse verlangt deshalb eine Intensivierung und Weiterentwicklung der klassischen Pflanzenzucht.

Wenig überraschend spricht sich auch die Schweizer Allianz Gentechfrei (SAG) für eine Behandlung der neuen Züchtungsmethoden innerhalb des GTG aus. Die neuen gentechnischen Verfahren müssten im Gentechnikgesetz geregelt werden, um die Sicherheit von Lebensmitteln und der Umwelt durch eine angemessene Risikobewertung zu gewährleisten und die Koexistenz und die Wahlfreiheit für Landwirtschaft und Konsumierende zu sichern, sowie die Haftungsfrage zu klären, heisst es bei der Allianz.

Was ist noch natürlich?

Die Gentechnik hat sich in den letzten Jahren stark weiterentwickelt. Nicht nur in der Schweiz wird diskutiert, ob neue Züchtungsmethoden wie die Genschere CRISPR/Cas – mit der gezielte, punktuelle Veränderungen am Genom möglich sind - wie die herkömmliche Gentechnik behandelt werden sollen. An einem Online-Talk von Swiss Food, einer Plattform von Bayer und Syngenta, wurde das Thema aufgenommen.

Was ist noch natürlich, stellte sich Detlef Weigel, Direktor der Abteilung Molekularbiologie am Max-Planck-Institut für Biologie in Tübingen D, die Frage. Als Beispiel nahm er den Mais und dessen Urform, die Teosinte. Diese unterscheidet sich in Architektur und insbesondere auch beim Kolben massiv vom heutigen Mais. «Wenn man der Teosinte in der Natur begegnet, kämen die meisten Leute nicht drauf, dass es sich um den Vorläufer des Mais handelt», so Weigel. Kaum eine der heutigen Nutzpflanzen habe noch viel gemein mit ihren Vorläufern.

«Mutation bleibt Mutation»
«Grundlage dafür ist die Genetik: Mutationen, die bewusst oder unbewusst selektiert worden sind», so Weigel. Und das geschieht in grossem Umfang. Laut Weigel entstehen auf einem Hektar Weizen im Schnitt 40 Milliarden Mutationen. «Auch wenn für uns alles gleich aussieht, in Wirklichkeit sind es alles Mutanten. Keine Pflanze gleicht der anderen», so Weigel. Er ist deshalb anderer Meinung als der Europäische Gerichtshof, der zwischen «natürlicher» Mutation und einer durch CRISPR/Cas hervorgerufenen unterscheidet. «Dies bei der genau gleichen Mutation. Aber eine Mutation bleibt eine Mutation», so Weigel. Der Unterschied liege einfach darin, dass man mit modernen Züchtungsmethoden gleichzeitig mehrere Mutationen einfügen können und damit Pflanzen schaffen, die in der Natur so nicht direkt entstehen würden.  

«GTG wurde dem Fortschritt nicht angepasst»
Teresa Koller, Molekularbiologin der Universität Zürich, forscht in der Schweiz an Krankheitsresistenzgenen. Fügt man zum Beispiel einer Pflanze mit 30'000 Genen ein einzelnes Krankheitsresistenzgen hinzu, wird diesem im optimalen Fall tatsächlich resistent. Sie forscht unter anderem an einer Weizensorte, der ein Gen einer anderen Weizensorte eingepflanzt wird. Damit soll der Pilzkrankheit Mehltau vorgebeugt werden. Ihre Meinung: «Die Versuche sind völlig harmlos. Wenn Besucherinnen und Besucher bei uns sind, verfliegen ihre Ängste rasch», so Koller. Sie sieht in den neuen Züchtungsmethoden viel mehr eine grosse Chance. Koller kritisiert, dass das Gentechnikgesetz dem wissenschaftlichen Fortschritt der letzten 20 Jahre nicht angepasst worden sei. Mittlerweile gebe es viel mehr Erfahrung, man habe das Erbgut der meisten Nutzpflanzen – auch des komplizierten Weizens – entschlüsselt und könne Erbgut deutlich besser charakterisieren. Und die Entdeckung von CRISPR/Cas mit seinen zielgenauen Veränderungen sei ein Meilenstein gewesen. Für sie ist deshalb klar: «Die Pflanze sollte beurteilt werden, nicht die Züchtungsmethode.» Sie wies zudem darauf hin, dass man mit den neuen Methoden nun sehr viel einfacher unerwünschte Gene loswerden könne. Bisher habe man das mit klassischer, ungerichteter Mutagenese mittels Chemikalien oder Strahlung getan. Nun könnte man auf die neue Züchtungsmethoden setzen – wären sie denn erlaubt.  

Reduktion von Pflanzenschutzmitteln
Beat Lehner betreibt in Felben-Wellhausen TG Obstbau und eine Baumschule. «Die Abstimmungen haben gezeigt, dass der Druck auf die Pflanzenschutzmittel steigt. Wir merken das auch bei den Zulassungen», sagt Lehner. Auch Dünger und Energie würden knapp und teuer, zudem komme es zu Klimaveränderungen. «Es braucht deshalb künftig für eine erfolgreiche und umweltverträgliche Produktion alle Bausteine», so Lehner. Lehner ist selbst in der Züchtung von Apfelsorten tätig, unter anderem hat er zusammen mit Partnern den rotfleischigen Redlove gezüchtet.

«15 bis 20 Jahre dauert es aktuell, bis eine neue Sorte entwickelt ist und dem Markt vorgestellt werden kann», so Lehner. Dann muss sie auch noch auf den Markt gebracht werden. Der Thurgauer Obstbauer wies auf das Feuerbrandjahr 2007 hin: «Erst jetzt kommen die Resultate der Feuerbrandzüchtungen.» Für ihn ist deshalb klar, dass die neuen Züchtungsmethoden solche Züchtungen deutlich beschleunigen und dem Obstbau helfen würden, betont aber, dass es die klassische Züchtung weiterhin brauche. Nur durch diese könnten ganz neue Produkte entwickelt werden, so Lehner.

Bedenken ernst nehmen und Akzeptanz steigern
Hoffnung setzt er auch darauf, dass bereits bekannte Sorten verbessert werden könnten, z.B. ein Gala mit besserer Krankheitstoleranz. Denn bei Äpfeln setzen die Konsumentinnen und Konsumenten auf bekannte Sorten. Was neu ist, hat es schwer. Eine verbesserte, bekannte Sorte, wäre Lehners Ansicht nach deshalb optimal. «Für mich als Produzent ist einfach nicht verständlich, dass Mutagenese per Bestrahlung oder Chemikalien angebaut erlaubt ist, aber gezielte Veränderung durch Genom Editing nicht.» Lehner hofft darauf, dass sich das in der Schweiz bald ändert und gesetzliche Grundlagen geschaffen werden, die etwas in Gang brächten. Und es sei besonders wichtig, dass die Pflanzen dann in der kleinräumigen Schweiz auch angebaut werden könnten und dies nicht auf einmal durch neue Regeln verhindert werde. Um das Ziel zu erreichen, müsse man Akzeptanz bei den Konsumentinnen und Konsumenten schaffen. «Wir müssen sie aufklären, ihnen zeigen, was wir machen.» Dem stimmte auch Detlef Weigel zu: «Wir müssen die Bedenken ernst nehmen und über unsere Arbeit kommunzieren.»