Puschlaver Kastanien sind im Trend und kämpfen mit Herausforderungen
Über Jahrhunderte waren Kastanien im Puschlav ein Grundnahrungsmittel. Kartoffeln, Getreide, der wachsende Wohlstand ...
Die Ernte war in der Schweiz über Jahrhunderte hinweg ein zentrales Ereignis im Jahreslauf und prägte das Leben der Menschen tief. Eng mit der Landwirtschaft verbunden, umfasste der Begriff nicht nur das Einsammeln der Feldfrüchte, sondern auch die Früchte selbst und den daraus erzielten Gewinn. In der Schweiz sind einige Erntedankbräuche bis heute lebendig und verbinden uns mit einer jahrhundertealten Tradition.
Die Ursprünge des Erntedanks reichen weit in vorchristliche Zeiten zurück, in denen die erfolgreiche Ernte von verschiedenen Völkern als zentrales Ereignis des Jahres gefeiert wurde. So wurde im Alten Ägypten Osiris, der Gott des Jenseits und der Wiedergeburt sowie der Fruchtbarkeit, nach der Ernte geehrt und in der griechischen Mythologie wurde die Göttin Demeter, Beschützerin von Ackerbau und Getreide, mit Festen für die kommende Ernte gnädig gestimmt. In Mittel- und Nordeuropa feierten die Germanen zur Tagundnachtgleiche im Herbst das «Hausblot»-Fest, um für die Ernte des vergangenen Jahres zu danken. In der jüdischen Tradition wird Sukkot, das Laubhüttenfest, als «Fest des Einsammelns» begangen.
Im landwirtschaftlichen Kalender der Schweiz gab es laut dem Historischen Lexikon der Schweiz traditionell drei grosse Erntezeiten: Im Juni und Juli stand der Heuet, also die Heuernte, an, im Juli und August folgte die Getreideernte und der zweite Grasschnitt, das sogenannte Emd, und zum Abschluss die Obst- und Weinernte, der Wümmet, im Herbst. Jede dieser Phasen war ein sozialer und wirtschaftlicher Höhepunkt, der das Leben in den Dörfern bestimmte.
Die Ernte war stets eine gemeinschaftliche Angelegenheit, insbesondere in den sogenannten Zelgdörfern, in denen die Organisation und Durchführung im Kollektiv erfolgte. Vom Gemeinderat festgelegte Termine bestimmten, wann die Felder freigegeben wurden. Die Ernte selbst war ein Kraftakt, der nicht nur die Bauern und ihre Familien, sondern auch eine Vielzahl von Saisonarbeitern beschäftigte. Wanderarbeiter aus den Grenzregionen kamen in die Schweiz: Ob Schwarzwälder, Savoyarden oder Bergamasken – viele Arbeiter zog es saisonal in die Schweizer Dörfer, um während der intensiven Erntezeit zu helfen.
Neben den praktischen Aspekten hatte die Ernte auch eine tiefe religiöse und symbolische Bedeutung. Die zentrale Rolle der Ernte im Leben der bäuerlichen Gesellschaft und die Abhängigkeit vom Ernteergebnis, das massgeblich über das Überleben der Gemeinschaft entschied, spiegelte sich in vielfältigen Bräuchen wider, von denen einige bis heute fortleben.
Schon lange bevor das Christentum seinen Einfluss geltend machte, gab es Rituale wie das Hahnenopfer, das Glück und eine gute Ernte sichern sollte. Mit dem Aufkommen des Christentums verschob sich die Bedeutung dieser Feste zunehmend in einen religiösen Rahmen: Das Erntefest und der dazugehörige Gottesdienst wurden zu einem festen Bestandteil des Jahres, in dem man die mit Früchten geschmückten Kirchen besuchte, gemeinsam betete und für die eingefahrene Ernte dankte.
Herbstfeste sind in der Schweiz so zahlreich wie ihre Namen, doch eines haben sie gemeinsam: Sie feiern die Ernte.
Sichlete
Die «Sichlete» ist eines der ältesten Erntedankfeste der Schweiz und symbolisiert die enge Verbindung zwischen Landwirtschaft und Tradition. Die Sichel, eines der ältesten Werkzeuge für die Getreideernte, gab dem Fest seinen Namen. Seit jeher wurden mit der Sichel verschiedene Erntebräuche gepflegt, darunter auch die sogenannte «Sichellöse», ein festliches Erntedankmahl, das von den Bauern gestiftet wurde.
Die wohl bekannteste und grösste «Sichlete» findet jedes Jahr Mitte September in Bern statt. Organisiert vom Berner Bauernverband, vereint das Fest die Tradition des Erntedankes mit dem feierlichen Alpabzug. Daneben sorgen Bauernmarkt, eine Viehschau und folkloristische Attraktionen wie Alphornblasen und Fahnenschwingen für Unterhaltung.
In anderen Regionen der Schweiz wird diese Tradition ebenfalls aufrechterhalten. So findet in Obersiggenthal im Kanton Aargau eine «Sichlete» statt und am ersten Oktoberwochenende wird zudem im Val Müstair in Graubünden mit der «Festa da la Racolta» ein grosses Erntedankfest gefeiert.
Winzerfeste
In allen Weinregionen der Schweiz feiern Winzer die Weinlese. Dabei wird nicht nur der erfolgreiche Abschluss der Weinernte gefeiert, sondern auch das kulturelle Erbe und die Traditionen des Weinbaus hochgehalten.
Das bedeutendste Winzerfest der Schweiz findet in Neuenburg statt. Jedes Jahr Ende September wird die Innenstadt für drei Tage zu einem lebendigen Festplatz, an dem Menschen aus der ganzen Region und darüber hinaus zusammenkommen, um die Weinlese zu feiern. Strassenumzüge, Weinverkostungen und musikalische Darbietungen prägen das Geschehen.
Ein besonderes Highlight unter den Winzerfesten ist das Winzerfest «Fête des Vignerons» in Vevey, die nur alle 25 Jahre stattfindet. Bei diesem Fest ziehen Hunderte von Darstellern und Tieren in prächtigen Umzügen durch den Ort, begleitet von aufwändigen Inszenierungen und traditioneller Musik. Die letzte «Fête des Vignerons» fand 2019 statt und seit 2016 ist das Fest Teil des immateriellen Kulturerbes der UNESCO.
Bénichon
Die Kilbi, auf Französisch «Bénichon» genannt, ist ein traditionelles Fest im Kanton Freiburg, das auf eine lange Geschichte zurückblickt. Ursprünglich war die «Bénichon» ein religiöses Fest, das den Jahrestag der Einweihung der Pfarrkirche feierte. Im Laufe der Zeit verlor das Fest jedoch seinen religiösen Bezug und wandelte sich zu einem Volksfest, das den Abschluss der Ernte sowie die Rückkehr der Viehherden von den Alpen markiert.
Dieses Fest ist eng mit der kulinarischen Tradition der Region verbunden: Dazu gehören Cuchaule AOP, Sensler Brätzele, Bouillon, Kohlsuppe, Jambon de la Borne AOP, Lammgigot mit Poires à Botzi AOP, Meringues mit Doppelrahm und Bretzeli.
Älpler- und Sennenchilbi
In vielen Orten der Zentralschweiz, in denen Alpwirtschaft betrieben wird, finden nach Abschluss der Viehsömmerung religiös abgestützte Erntedankfeste statt. Sie dienen der jeweiligen Dorfbevölkerung und den Bauernfamilien aus den umliegenden Heimwesen als wichtiger gesellschaftlicher Treffpunkt im Jahreslauf.
Am verbreitetsten sind sie unter der Bezeichnung «Älplerchilbi» in den beiden Kantonen Obwalden und Nidwalden. Der hier besonders stark ausgeprägte Lokalbezug zeigt sich in den auf dem Hauptplatz dargebotenen Älplersprüchen, die auf dörfliche Begebenheiten eingehen oder örtlich bekannte Personen auf die Schippe nehmen. Ferner bildeten sich vor allem in der Gegend rund um die Rigi im 20. Jahrhundert Festvarianten aus, die den Akzent auf den Strassenumzug und damit auf die Repräsentation des Älplerlebens und des Brauchtums legen. Sie werden hier «Sennenchilbi» genannt und ziehen ein grosses und überregionales Publikum an.
Brächete
Die «Brächete» ist ein traditionelles Volksfest, das in der Schweiz einst in vielen Dörfern gefeiert wurde, nachdem die Herbstfeldarbeiten abgeschlossen waren. Der Anlass drehte sich um die Verarbeitung von Flachs, der früher zur Selbstversorgung angebaut wurde, bis hin zum fertigen Leinenstoff. Mit dem Aufkommen von billiger Baumwolle aus dem Ausland nach dem Zweiten Weltkrieg verlor der heimische Flachs an Bedeutung, und die «Brächete» geriet in Vergessenheit.
In Zäziwil im Kanton Bern sann man nach Möglichkeiten, diesen alten Brauch wieder aufleben zu lassen. Engagierte Persönlichkeiten belebten das Fest im Jahr 1955 neu – die Emmentaler Handweberei spielte dabei eine zentrale Rolle.
Auch im Val Müstair wird an der «Brächete» wieder geriffelt, gebrochen und gehechelt. 2023 wurde dort nach vielen Jahrzehnten erstmals wieder eine «Brächete» mit rund 600 Besucherinnen und Besuchern durchgeführt.
Chästeilet
Überall im Alpenraum wird am Ende der Saison der während des Alpsommers produzierte Käse zwischen den Bauern aufgeteilt, im Berner Oberland ist diese Tradition unter dem Begriff «Chästeilet» bekannt.
Der in der Gemeinschaftsalpkäserei hergestellte Käse wird auf Grund der Milchleistung der Kühe eines Besitzers aufgeteilt: Dazu werden die Käselaibe in sogenannte Lose oder Teilquanten unterteilt und anschliessend gemäss den jeweiligen Milchmengen verlost.
So findet am Freitag nach dem Buss- und Bettag beispielsweise der «Chästeilet» im Justistal im Berner Oberland statt: Auf dem Spycherberg werden die Käselaibe aus den Speichern geholt, von Hand zu Hand weitergereicht und in so genannte «Lösli» aufgestapelt. Der Präsident der Alpgenossenschaft zieht aus einem Sack die «Brittli», die Lose mit den Initialen der Viehbesitzer. Die Bauern erscheinen in Tracht, mit geschmücktem Traktor oder auch mit Ross und Wagen.
Der «Chästeilet» steht einerseits als Beispiel für die Traditionen der Alpkultur, die in der Schweiz in allen Bergregionen eine hohe kulturelle und traditionell wirtschaftliche Bedeutung hat und andererseits für die genossenschaftliche Selbstorganisation.
Neben den religiösen Feierlichkeiten entwickelte sich auch eine reiche weltliche Feiertradition: Besonders wichtig war der Ernteschmaus, den die Bauern ihren Arbeitern nach erfolgreicher Ernte stifteten. Diese Feierlichkeiten waren ein Höhepunkt im Dorfleben, bei denen Fleisch, Kuchen, Wein und Most aufgetischt wurden. Auch Umzüge mit prachtvoll geschmückten Erntewagen waren typisch, wobei die letzte Garbe, die «Glücksgarbe», oft besonders kunstvoll dekoriert wurde. Sie symbolisierte den Abschluss der Ernte und sollte der Gemeinschaft Glück für das kommende Jahr bringen.
Denn diese Bräuche sollten auch an den Wert der Gemeinschaft und an die Abhängigkeit von der Natur und dem Wetter erinnern. Besonders in schlechten Jahren, wenn die Ernte durch Nässe, Hagel oder Kälte bedroht war, riefen katholische Obrigkeiten bis ins 18. Jahrhundert die Bevölkerung zu Bittgängen und Busse auf, um göttlichen Beistand zu erflehen.
Doch mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts änderte sich das Bild der Ernte in der Schweiz grundlegend. Die Industrialisierung, der Eisenbahnbau und der Import von Getreide lockerten die Abhängigkeit von der eigenen Ernte, und die Bedeutung der Erntefeste schwand. Auch die Mechanisierung der Landwirtschaft und der Rückgang des Ackerbaus führten dazu, dass viele der saisonalen Erntearbeiter nicht mehr gebraucht wurden. Diese Veränderungen trugen dazu bei, dass das reiche Erntebrauchtum langsam in Vergessenheit geriet.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts jedoch erlebten die Erntedankfeste als folkloristische Tradition eine Wiederbelebung. Zwar haben die Erntedankbräuche heute nicht mehr die existenzielle Bedeutung wie einst, doch erinnern sie an eine Zeit, in der die Ernte den Lebensrhythmus bestimmte und das Dorfleben zusammenhielt und bleiben ein lebendiges Erbe. Sie betonen die Wertschätzung für die Früchte der Erde und die harte Arbeit, die in der Landwirtschaft geleistet wird.
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