Bernard Lehmann ist als Vorsitzender der erste Schweizer im UNO-Gremium HLPE-FSN, seit es 2010 ins Leben gerufen worden ist. Das Gremium ist unter anderem dafür zuständig, den aktuellen Stand der Ernährungssicherheit und die Ursachen der Probleme zu analysieren und zu bewerten. Es liefert zudem wissenschaftliche Analysen und Vorschläge zu politikrelevanten Themen. «Das Ziel ist es immer, die identifizierten Probleme zu entschärfen», sagt Bernard Lehmann. Das HLPE-FSN habe auch den Claim «Where Science and Policy meet». Er habe in seiner Laufbahn beides gesehen (siehe Textbox) und könne jetzt in einer Brücke dazwischen arbeiten.
Guidelines für Agrarpolitik
Das HLPE-FSN gehört zum Committee on World Food Security (CFS), einem Ernährungsausschuss der Vereinten Nationen. Vom HLPE-FSN entwickelte Guidelines gehen erst in dieses Parlament, in dem Staaten, UN-Organisationen, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und die Privatwirtschaft vertreten sind, und erfahren dort eine Art Vernehmlassung. Nachdem sie diese durchlaufen haben, können sie von den Staaten angewendet werden.
«Das ist extrem wertvoll», sagte Bernard Lehmann an einer Veranstaltung von «SVIAL – My Agro Food Network» in Bern. «Gerade die armen Ländern betonen immer wieder, das sei genau, was sie für ihre Agrarpolitik bräuchten.» Diese Länder haben keine mit der Schweiz vergleichbaren Bundesämter, welche eine Agrarpolitik entwickeln. Sie können die Guidelines übernehmen und darauf basierend ihre Gesetzgebung ausrichten. Es sei zudem ein grosser Vorteil, dass die Agrarpolitiken der verschiedenen Länder in dieselbe Richtung gingen, wenn die Guidelines übernommen würden, so Lehmann.
Multilaterität schärft Blick fürs Ganze
Besonders wichtig im Gremium sei die multilaterale Zusammenarbeit, die einen Blick aufs Ganze ermögliche und zahlreiche Aspekte miteinbeziehe, betont Lehmann. Das ganze Food System sei riesig – da sprechen nicht nur Agronomen mit, sondern auch Mediziner oder Klimaexperten. Entsprechend reichhaltig ist denn auch die Anzahl an Organisationen, die im Food System tätig sind.
Die Ernährungssicherheit zu stärken, ist dringend nötig. 1,6 Milliarden Menschen leiden aktuell an Hunger und Mangelernährung. Das sei ein riesiges Problem, so Lehmann. Die Kinder entwickelten sich schlecht, was sich unter anderem auch auf die intellektuellen Fähigkeiten auswirke. «Es ist dramatisch», so Lehmann. Es gebe für die Situation direkte Gründe wie die mangelnde lokale Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln.
Mangelnde Kaufkraft verhindert Zugang zu Essen
Aber ebenso bedeutend sind die indirekten Gründe, von denen Lehmann vor allem die mangelnde Kaufkraft hervorhob. Die Menschen können es sich schlicht nicht leisten, genügend oder richtig zu essen. Die Covid-Pandemie verschlechterte die Situation. «Viele Menschen weltweit arbeiten als Tagelöhner. Bei einem Lockdown verlieren sie sofort ihren Job», so Bernard Lehmann. Im Schnitt hätten diese Menschen noch drei Tage Geld für Nahrungsmittel gehabt, danach sei Schluss gewesen.
Ebenso ein Ernährungsproblem ist die Fehlernährung, die z.B. zu Übergewicht führt. Auch hier sind weltweit 1,6 Milliarden Menschen betroffen. «Zusammengenommen haben rund 40% der Menschheit wegen dem Essen ein echtes oder ein potenzielles Gesundheitsproblem», betont Lehmann.