"Richtiges Fleisch von toten Tieren essen nur noch ein paar reiche Spinner", in seinem Referat zur Zukunft der Landwirtschaft und Ernährung griff Roland Wyss, Chefredaktor der Fachzeitschrift Alimenta, auf aus heutiger Sicht beinahe utopische Vorstellungen zurück. Proteine würden entweder auf Sojafeldern – gentechnisch verändert – oder im Labor, gezüchtet aus tierischen Muskelzellen, entstehen, so eine mögliche Zukunftsvariante von Wyss. Das mag aus heutiger Sicht weit hergeholt tönen. Doch vor 25 Jahren wäre ein GPS-gesteuerter Traktor, der zentimetergenau arbeitet, auch als Utopie abgetan worden. Ebenso wäre es wohl dem Melkroboter oder gentechnisch verändertem Soja ergangen. Heute sind diese Dinge weltweit eine Selbstverständlichkeit.
Alles Bio?
75 Jahre seien aber eine so lange Zeit, dass es schwierig sei, irgendwelche Prognosen zu machen und noch schwieriger sei es, daraus irgendwelche Schlüsse für die Gegenwart zu ziehen. Deswegen habe er sich für diese wilde Fantasie entschieden, in der etwa die Aktienmehrheit von Emmi in chinesischen Händen liegt und niemand mehr von Bio spricht, weil gezwungenermassen ressourcenschonend gearbeitet wird und dank Gentechnik auch keine Pflanzenschutzmittel mehr eingesetzt werden müssen, erläuterte Roland Wyss.
"Wer isst, hat ein Interesse am Erfolg der Landwirtschaft"
Mike Wilson, Agrarjournalist aus Illinois, USA, sprach insbesondere die Schwierigkeit an, künftig die wachsende Bevölkerung noch mit ausreichend Nahrung zu versorgen. Essen sei etwas persönliches, das jeden Menschen weltweit betreffe, ob er nun zu den Glücklichen gehöre, die genug zum Leben habe, oder aber zu jener Milliarde, die jeden Tag hungrig ins Bett geht, so Wilson. "Wer isst, hat eine begründetes Interesse daran, dass die Landwirtschaft erfolgreich ist", zeigte sich der ehemalige Präsident der Internationalen Agrarjournalisten-Vereinigung überzeugt. Um so grösser und bedeutender sei deshalb die Herausforderung, künftig neun oder mehr Milliarden Menschen zu ernähren. Dazu ist es für Wilson nötig, dass Millionen von Kleinbauern in Afrika und Asien die Infrastruktur, das Kapital, die Bildung und den Zugang zu Märkten erhalten, die sie brauchen, um produktiver wirtschaften zu können. Auch in Industrieländern benötige es Veränderungen. Doch leicht sei es nicht, diese zu erreichen. "Ablehnung gegenüber dem Wandel ist der Tod für jegliche Innovation", so Wilson mit einem Vorwurf an die Industriegesellschaft. Er sprach sich zudem für offene Märkte und einen Abbau des Protektionismus aus. "Der Erfolg der Landwirtschaft ist erstaunlich, aber es gibt neue Herausforderungen, denen wir mit Forschung, neuen Strategien und Praktiken begegnen müssen", sagte Wilson und schloss: "Wenn wir in der Landwirtschaft an dieser Herausforderung scheitern, dann scheitern alle."
Detlef Steinert, Chefredakteur dlz agrarmagazin, prophezeite, dass die Grenzen immer offener werden. Produziert werde künftig dort, wo es am billigsten sei. Steinert beklagte, dass die Agrarforschung in der EU in den letzten 20 Jahren zurückgefahren wurde. Wolle man die künftigen Herausforderungen packen, dürfe die Forschung nicht vernachlässigt werden.
Bilder der LID-DV vom 17. Oktober 2012
