Walter Rietmann aus dem thurgauischen Chöll bei Stettfurt erlebte bei der Aufgabe seines Bauernhofs einschneidende Krisen. Der Landwirt stolperte über die neue Tierschutzverordnung, die im August 2013 in Kraft tritt. Rietmann hatte zu entscheiden: Entweder seinen Stall umbauen und die Standbreite pro Kuhplatz um fünf Zentimeter erweitern oder seinen Betrieb aufgeben. Ein Stallneubau kam aus finanziellen Gründen nicht in Frage. Ein Betriebsnachfolger war ebenfalls nicht in Sicht.
"Es tat weh, meine Tiere weggeben zu müssen"
Ehefrau Heidi Rietmann suchte sich eine Arbeitsstelle im Altersheim. Ihr 58-jähriger Ehemann wurde von einem Unternehmer angefragt, ob er in seiner Kiesgrube arbeiten wolle. Jetzt hat Rietmann eine 5-Tage-Woche. Aber der Preis war für ihn hoch. In der Nacht, bevor die ersten Tiere vom Hof geholt wurden, habe es ihn "total geschüttelt", erzählt er: "Es tat wahnsinnig weh, meine Tiere, die mir ans Herz gewachsen waren, weggeben zu müssen." Er wäre gerne Bauer geblieben, aber die zunehmende Enge durch Gesetze und Verordnungen hätten es ihm unmöglich gemacht, seinen Hof am Leben zu erhalten, so Rietmann.
So wie ihm geht es auch anderen Landwirten. Laut Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) ging die Zahl der Landwirtschaftsbetriebe zwischen 2000 und 2010 insgesamt um rund 11'500 zurück. Die Anzahl der Beschäftigten in der Landwirtschaft ist seit dem Jahr 2000 um 36'500 Personen gesunken.
Intakte Chancen auf Arbeitsmarkt
Die Hofaufgabe fällt vielen Bauern schwer, doch sie haben durchaus Chancen auf dem Arbeitsmarkt. "Wenn Bauern nicht mehr Bauern, sind sie attraktiv für die Wirtschaft", sagt Peppino Beffa vom Amt für Landwirtschaft des Kantons Schwyz. "Sie sind sich gewohnt zu arbeiten, fast überall einsetzbar, sich nicht zu schade, auch anstrengende und schmutzige Arbeiten zu erledigen." Zudem hätten auch viele Landwirte eine nichtlandwirtschaftliche Erstausbildung absolviert und könnten daher auch als Facharbeiter eingesetzt werden. Auch Bruno Häller vom Landwirtschaftlichen Institut des Kantons Freiburg in Posieux teilt diese Meinung: "Landwirte sind durchaus begehrte Arbeitskräfte. Wenn ein Landwirt keine gesundheitlichen Probleme hat, hat er meist auch keine Mühe, einen Job zu finden." Hingegen falle dieser Schritt aus psychologischer Sicht häufig sehr schwer. "Sie tun sich schwer, ihre Selbstständigkeit aufzugeben und sich mit der Aufgabe des Betriebes abzufinden", so Häller.
"Mich hat man zu meinem Glück gezwungen", sagt Hanspeter Gnehm, ein ehemaliger Bio-Landwirt aus Hunzikon bei Wängi im Kanton Thurgau, wenn man ihn nach seiner Betriebsaufgabe fragt. Die Hofaufgabe war auch für ihn schmerzhaft, denn er hat 23 Jahre lang in seinen Hof investiert, viel umgebaut und immer wieder Neues ausprobiert und war bereit, sich neuen Herausforderungen zu stellen. Es blieb keine Zeit für Hobbys, alles was gemacht wurde, musste effizient sein und Einkommen abwerfen. Vor sechs Jahren war Gnehm dann so sehr mit Arbeit eingedeckt, dass er aus gesundheitlichen Gründen gelegentlich erst kurz vor Mitternacht mit dem Melken fertig war. Das brachte den 52-jährigen ins Nachdenken. Ihm wurde bewusst, dass er nicht bis zur Pensionierung so viel arbeiten wollte, ohne Zeit für irgendein Hobby zu haben. Als Gnehm dann vor einem Jahr erfuhr, dass in unmittelbarer Nähe zu seinen Arbeitsgebäuden Wohnhäuser geplant waren, wusste der Bio-Landwirt, dass somit Ärger vorprogrammiert war. Denn welche Nachbarin wollte schon jedes Mal Fenster putzen, nachdem Gnehm sein Heu mit dem Gebläse in den Dachstock geblasen hatte. Er verpachtete sein Land, verkaufte seine Tiere und nahm Kontakt mit der Heimstätte für Alkoholiker auf, in der er vor 30 Jahren ein Praktikum absolviert hatte. Dort haben seine Qualifikationen optimal gepasst und er konnte Anfang 2012 im Angestelltenverhältnis mit der Arbeit beginnen. Nachdem alle zukunftsweisenden Entscheidungen getroffen waren, erfuhr Gnehm von der Möglichkeit einer Umschulungsbeihilfe. Diese wird er ab Oktober 2012 in Anspruch nehmen. Von Umschulungsbeihilfen, wie sie Hanspeter Gnehm nutzt, profitieren aber nur wenige Bauern. "Sie werden nur in ganz wenigen Fällen beansprucht", so Bruno Häller. Nicht erfasst werden aber Fälle von Landwirten, die sich wie andere Arbeitssuchende an die kantonalen Berufsberatungsdienste wenden.
Finanzielle Zwangslage oft Ausgangspunkt
Für den Agrarbericht 2009 wurde eine Umfrage unter denjenigen Landwirten durchgeführt, die sich dazu entschlossen haben, ihren landwirtschaftlichen Betrieb aufzugeben und sich beruflich neu zu orientieren. Die Ergebnisse dieser Umfragen zeigen einerseits eine grosse individuelle Vielfalt, aber auch eine Gemeinsamkeit, nämlich die finanzielle Zwangslage, in der sich die Bauern vor der Betriebsaufgabe befinden. Ein frühzeitiger Ausstieg aus der Landwirtschaft ist nicht die Regel. Es sind auch nicht die Umschulungsbeihilfen des Bundes, die jemanden zum Ausstieg aus der Landwirtschaft bewegen. Unbestritten ist hingegen, dass die finanzielle Unterstützung des Bundes hilft, eine neue Berufsausbildung zu realisieren. In den meisten untersuchten Fällen handelt es sich um einen längeren Entscheidungsprozess, der oft schwierig ist und die betroffen Menschen stark fordert.

