
Es regnet leicht. Ein alter Lastwagen mit rostigem Chassis und nassen, hellbraunen Säcken auf der Ladebrücke fährt vor die Abladerampe. Endlich Arbeit für die wartenden Männer. Es sind etwa zehn, die sofort die Säcke abladen und an Haken befestigen, die an einem Förderband angebracht sind. Zuerst geht es einen Stock nach oben, dann verschwinden die Säcke im Gebäude.
Drinnen ist es feucht, angenehm kühl und laut. Zwei Männer sind damit beschäftigt, jeden zweiten ankommenden Sack auf ein rüttelndes, lärmiges gelb lackiertes Förderband zu leeren. In jedem Sack sind zehn Kilo grüne Blätter, die so vom Feld in die kleine Fabrik gelangen, die im Hinterland von Mauritius zu finden ist und "Bois Chéri" heisst.
Dossier Mauritius
Mauritius, die Insel im Indischen Ozean,muss rund 70 Prozent ihrer Nahrungsmittel importieren und ist damit stark internationalen Preisschwankungen ausgesetzt. Mit einem Programm will die Regierung die Selbstversorgung steigern. Das LID-Dossier „Anbauschlacht im Inselparadies” wirft einen Blick auf die mauritische Landwirtschaft, die Abhängigkeit vom Ausland und die Hoffnung, durch erhöhte Produktion internationale Einlüsse abzufedern. Das Dossier ist unter www.lid.ch abrufbar.
Dass es auf Mauritius überhaupt solche Fabriken gibt, dürfte den Briten zu verdanken sein. Obwohl die Franzosen ursprünglich die Pflanze mit den spitzen grünen Blättern aus China nach Mauritius transportierten, waren es die britischen Kolonialherren, die etwas für ihre berühmte Tea Time benötigten – nämlich Tee. Und dieser Tee wird aus den Blättern hergestellt, die eben von den Männern vom rostigen Lastwagen abgeladen und ausgeleert worden sind.
Mithilfe des gelben Förderbandes werden die Teeblätter gelockert, damit sie gleichmässig trocknen können. Dazu werden sie auf viereckigen Mulden ausgelegt. Während den nächsten 24 Stunden sorgt ein leichter Luftstrom von unten dafür, dass das Wasser auf der Oberfläche verdampfen kann. Insgesamt verliert das Teeblatt so rund einen Drittel seines Gewichts und kann danach weiterverarbeitet werden.
Aufwändiger Prozess
Damit man überhaupt einen Aufguss herstellen kann, muss zuerst das Blatt gehäckselt werden. Zweimal nacheinander erfolgt dies in ebenfalls gelb angestrichenen Trommeln. Aus den leicht welken Blättern wird ein hellgrüner, feiner Schleier, der über zwei schmale Förderbänder weitertransportiert wird und auf einem grösseren Band scheinbar zum Stillstand kommt.
Dass der Tee nicht mehr schnell, sondern langsam weitergeführt wird, liegt an der Zeit. Denn bevor die gehäckselten Teeblätter getrocknet werden können, brauchen sie eine kleine Pause. Sie müssen während 90 Minuten der Raumluft ausgesetzt werden. Der Luftsauerstoff sorgt dafür, dass der nun grüne, etwa zehn Zentimeter dicke Teppich, allmählich seine Farbe wechselt. Nach 90 Minuten nämlich ist der frisch gehackte Tee nicht mehr grün, sondern hellbraun. Enzyme haben gleichzeitig dafür gesorgt, dass das Aroma des Tees intensiver wird. Allerdings ist der Tee in dieser Form weder halt- noch lagerbar. Deshalb wird er wieder durcheinandergewirbelt und getrocknet. Während knapp zehn Minuten wird der Tee durch 110 Grad Celsius warme Luft geblasen. Heraus kommt grober, getrockneter Tee, der lagerfähig und somit transportierbar ist.
Weil der Tee aber noch verunreinigt ist, wird er mit elektrostatisch geladenen Bändern gereinigt und schliesslich sortiert. Nicht für jeden Tee ist jede Teeblattgrösse geeignet. Für die Teebeutel zum Beispiel muss es besonders fein gemahlener Tee sein, der eingepackt wird. Für Tee, der lose aufgebrüht wird, dürfen hingegen auch die gehackten und getrockneten Teeblätter etwas grösser sein.
Meistkonsumiertes Getränk
Tee ist das am meisten konsumierte Getränk der Welt, jährlich werden gut vier Millionen Tonnen getrocknete Teeblätter verbraucht. China ist dabei nicht nur Hauptexportland, sondern auch der wichtigste Teeproduzent, der jährlich um die 1,4 Millionen Tonnen Tee herstellt, was gut einem Drittel der globalen Teeproduktion entspricht. In Mauritius wurden 2012 auf etwa 670 Hektaren knapp 8'000 Tonnen Teeblätter produziert. Bois Chéri ist dabei neben Chartreuse und Corson der grösste Teeproduzent; insgesamt werden auf rund 200 Hektaren Tee angebaut. Jährlich entstehen so gut 3'500 Tonnen Teeblätter, die zu den verschiedenen Schwarztees verarbeitet werden.
Der Schwarztee von Bois Chéri unterscheidet sich nicht nur in der Verpackungsform, sondern es gibt auch unterschiedliche Aromen. Dazu werden die Teekrümel in einer überdimensionalen Waschtrommel mit Essenzen von Vanille oder Kokosnuss besprüht und gleichzeitig gedreht. Damit wird das Aroma gleichmässig über den Tee verteilt. Eigentlich wäre der Tee nun genussfertig. Doch bevor man ihn kaufen kann, wird er noch abgepackt.
Warm, stickig, laut
Dort, wo der Tee verpackt wird, sitzen zwei Frauen an je einer Maschine. Im Raum ist es stickig, warm und laut. In den Maschinen wird oben der Tee eingefüllt und über ein mechanisches System in viereckige Teebeutel abgefüllt. Im Sekundentakt werden die Beutel verschlossen und mit dem Faden und dem Papieretikett versehen, das am Schluss dafür sorgt, dass der Teetrinker den Teebeutel aus der Teetasse fischen kann, ohne sich die Finger am frisch gebrühten Schwarztee zu verbrennen. Je zwanzig Teebeutel werden in einer kleinen Kartonschachtel verpackt.
Eine grosse Maschine im Raum wird von drei Männern bedient. Sie sind damit beschäftigt, den fertig getrockneten Schwarztee lose in 500g-Packungen abzufüllen. Dazu werden zuerst die noch flachen Papierbeutel aufgerichtet und aufgefaltet. Dann fällt der Tee in die Beutel und wird mittels Vibrationselementen verdichtet. Es ist diese Vibration, die den Lärm verursacht und dafür sorgt, dass die fünf im Raum kein Wort wechseln können.
Kaum Neuerungen seit 68
Die Fabrik von Bois Chéri wurde in den 1920er-Jahren erbaut und danach kontinuierlich erweitert. Seit 1968 jedoch hat es keine wesentlichen Anpassungen mehr gegeben. Grund dafür dürfte sein, dass die Produktionsmenge in den letzten dreissig Jahren stark zurückgegangen ist. Noch 1992 wurden über 30'000 Tonnen Teeblätter auf mehr als 3'100 Hektaren angebaut. Seit der Jahrtausendwende ist es noch ein Fünftel davon. Auch bei Bois Chéri hat diese Entwicklung Spuren hinterlassen. Während nach wie vor der lokale Konsum am wichtigsten für Bois Chéri ist, wird Tee auch nach Frankreich und Grossbritannien exportiert. Und seit kurzem dank einem Touristen auch nach Japan. Die Einheimischen indes trinken ihren Tee am liebsten mit Milch und Zucker, ähnlich wie es schon die britischen Kolonialherren getan haben.
