Die weltweite Nachfrage nach Milchprodukten wächst. In Asien, Afrika und Lateinamerika entstehen neue Märkte, und damit auch zusätzliche Absatzmöglichkeiten für Schweizer Käse. Zumindest theoretisch. In der Praxis sieht es mitunter anders aus. Denn die meisten traditionellen Schweizer Käsesorten sind Rohmilchkäse. Rohmilchkäse gilt bei Käsegourmets als Qualitätsprodukt – er wird aber in vielen, vor allem asiatischen Ländern, als Risiko angesehen. Und das spürt dann der Käsehandel: So ist derzeit eine Sendung Tête de Moine im Zolllager in Südkorea blockiert, weil dieser Käse nicht auf der Liste mit der zugelassenen Schweizer Rohmilchkäse steht. Obwohl es sich dabei nur um rund hundert Kilo Käse für Konsumententests handelte, ist der Vorfall für Olivier Isler, den Geschäftsführer der Sortenorganisation Tête de Moine, ärgerlich: "Ausgerechnet jene Länder, die selbst nicht in der Lage sind, Rohmilchkäse herzustellen bewerten unsere Qualitätsprodukte als Risiko. Dabei sind Produkte aus pasteurisierter Milch nicht sicherer als Rohmilchprodukte." Er hält die hygienischen Bedenken für vorgeschoben: "In Wirklichkeit handelt es sich sehr wahrscheinlich um eine versteckte Form des Protektionismus."
Künstlich konserviert oder natürlich gereift?
Isler ist mit seiner Einschätzung nicht allein. Auch die Emmentaler Sortenorganisation (ES) machte ähnliche Erfahrungen. Jahrelang konnte Emmentaler problemlos nach Südkorea exportiert werden, bis vor etwa drei Jahren die Einfuhren gestoppt wurden. Jürg Kriech, bei der ES für Qualitätssicherung zuständig, sah sich damals plötzlich mit dem Vorwurf konfrontiert, der Emmentaler AOC enthalte viel zu viel Propionsäure. Kriech: "Propionsäure wird als Konservierungsmittel für bestimmte Anwendungen eingesetzt. Zum Beispiel als Zusatzstoff bei Silage. Im Emmentaler AOC ist es jedoch ein ganz natürliches Stoffwechselprodukt, welches von den Käsebakterien produziert wird." Diese Propionsäure-Bakterien sind für die Löcher im Emmentaler verantwortlich, darauf kann man also nicht verzichten.
Zum Konflikt kam es, als die Koreaner einen Maximalwert für Propionsäure im Käse definierten, welcher auch für Emmentaler gilt. Ein Detail ist in diesem Zusammenhang interessant: Im internationalen Standardwerk "Codex Alimentarius" ist kein Maximalwert für Propionsäure definiert, sondern nur ein Minimalwert. Darunter gilt Emmentaler nicht als Emmentaler. Kriech: "Der Wert bezieht sich auf foliengereiften Grosslochkäse, welcher international unter dem Gattungsbegriff Emmentaler gehandelt wird. Diesen Käse kann man aber überhaupt nicht mit unserem langsam gereiften Emmentaler AOC vergleichen."
Der Versuch, den südkoreanischen Behörden diese Zusammenhänge zu erklären, scheiterte im ersten Anlauf. Auch die Interventionen des Schweizer Botschafters in Seoul, mit unterstützenden Schreiben der involvierten Bundesämter und Expertenberichten der landwirtschaftlichen Forschungsanstalt Agroscope ALP, führten nicht direkt zum Erfolg. Erst als südkoreanische Experten zu einer Studienreise in die Schweiz eingeladen wurden, um sich alles vor Ort zeigen zu lassen, gelang in den Verhandlungen der Durchbruch. Seit Oktober 2012 darf Schweizer Emmentaler – zusammen mit einem amtlichen Propionsäure-Zusatzzertifikat – endlich wieder nach Südkorea exportiert werden. Beim Tête de Moine sind die Würfel dagegen noch nicht gefallen.
Wachsender Inspektionstourismus
Südkorea ist kein Einzelfall, wie Kilian Greter vom Fachbereich Internationale Handelspolitik beim Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) bestätigt. "Wenn die Märkte offener werden, schauen viele Länder genauer hin. Tendenziell werden zwar Zölle abgebaut, dafür steigen aber die Anforderungen im nicht-tarifären Bereich." Statt freiem Handel regiert dann Abschottungspolitik. Oft können die ins Feld geführten Bedenken zwar mit einem aufwändigen Informationsaustausch zwischen den zuständigen Behörden des Import- und Exportlandes ausgeräumt werden. Bisweilen sind aber auch Inspektionen vor Ort nötig. Die Schweizer Behörden werden mit immer mehr Anfragen für Inspektionen konfrontiert. Greter: "Diese Inspektoren arbeiten sehr genau und gehen nicht einfach davon aus, dass in der Schweiz perfekt ist." Diese Aussage gilt nicht nur für Länder, die vermeintlich ähnliche Standards haben wie die Schweiz, also z.B. Südkorea oder Japan, sondern auch für andere: "Gerade China und Russland treten sehr kritisch und selbstsicher auf."
Der Inspektionstourismus geht ins Geld: Allein für Transport und Betreuung fallen pro Besuch Kosten von 10'000 bis 80'000 Franken an. Greter: "Vor allem aber sind die personellen Ressourcen bei den betroffenen Bundesämtern für Gesundheit und Veterinärwesen begrenzt. Mehr als zwei, drei grosse Inspektionen pro Jahr liegen vom Aufwand her nicht drin." Wenn die Schweiz neue Märkte erschliessen will, kommt sie um solche Investitionen nicht herum. Wenn es aber darum geht, bereits bestehende Absatzmärkte zu erhalten, will der Bund die Exporteure künftig zur Kasse bitten. "Mit der Zeit sieht man ja, wer in welchem Ausmass profitiert", sagt Greter, und ergänzt: "Eine Beteiligung der Unternehmen hilft uns Prioritäten zu setzen." Inspektionen von Ländern mit grossen Marktpotential sollten bevorzugt behandelt werden. Ob Südkorea dazu gehört, ist offen. Die Hartkäseexporte machen mit 40 Tonnen pro Jahr jedenfalls nur einen Bruchteil der gesamten Schweizer Käseexporte aus.
Neues LID-Dossier: Die Welt im Milchrausch
Die weltweite Nachfrage nach Milchprodukten wächst und nicht alle Länder werden sie aus eigener Kraft befriedigen können. Ein Teil der Milchprodukte wird deshalb importiert werden müssen. Diese Chance wollen sich die grossen Player im Milchgeschäft natürlich nicht entgehen lassen. Sie wollen sich bereits heute künftige Marktanteile sichern und stampfen gigantische Pulvertürme und riesige Käseproduktionsstätten aus dem Boden. Mit Blick auf die steigende Nachfrage wird auch die weltweite Milchproduktion angekurbelt. Dabei wissen alle Akteure im Milchmarkt, dass der Grat zwischen Unter- und Überversorgung extrem schmal ist. Bereits eine halbe Million Tonnen Milch zuviel oder zu wenig kann den Weltmarkt aus dem Gleichgewicht bringen. Wie beim ehemaligen Goldrausch besteht deshalb auch beim aktuellen Milchrausch die Gefahr, dass es am Ende nur wenige Gewinner, aber viele Verlierer geben wird.
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