Ein Liter Apfelsaft für 1.09 Franken? Als Josiane Enggasser vom Schweizer Obstverband (SOV) die Flasche aus dem Ladenregal in die Hand nimmt, stutzt sie. Ein Liter Apfelsaft im Detailhandel ist üblicherweise ab rund 1.20 Franken erhältlich. "Wie kommt ein so günstiges Produkt ins Regal? Geht da alles mit rechten Dingen zu?", fragt sie sich und beschliesst, der Sache auf den Grund zu gehen.
Preisdruck nimmt zu
Tatsache ist, dass der Preisdruck vom Ausland in den letzten Monaten stark zugenommen hat. Erstmals seit über zehn Jahren ist diese Saison denn auch der Mostobstpreis heruntergefallen. Obstbauern erhalten dieses Jahr für gewöhnliche Mostäpfel statt wie bisher 28 Franken je 100 Kilogramm nur noch 26 Franken.
Trotzdem sind die Preisunterschiede zum Ausland noch gross. Grund dafür ist nicht zuletzt der starke Franken. Ein Kilogramm Mostäpfel kostet in der Schweiz zwischen 26 und 33 Rappen. In Deutschland rund halb so viel. Gäbe es nicht den sogenannten Schutzzoll, hätte die Obstbranche keine Chance, mit dem Ausland mitzuhalten. Wer ausländisches Apfelsaftkonzentrat einführen will, zahlt mit Kontingent 100 Franken pro 100 Kilogramm, ohne Kontingent 260 Franken. Ein hoher Preis.
Apfelsaft mit EU-Obst
Ein Blick auf das Angebot der Grossverteiler zeigt: Es wird trotzdem importiert. Bei Migros handelt es sich um das M-Budget Produkt, das aus ausländischem Obst hergestellt wird. Die Apfelsaft-Produkte von Coop enthalten zu fünf Prozent Äpfel aus der EU. Bei den Apfelsäften von Aldi Suisse stammt 50 Prozent des Obstes aus der EU. Lidl Schweiz verzichtet gar ganz auf einheimisches Obst.
Die Getränkeherstellerin Zurzach AG gibt offen zu, dass sie Apfelsaftkonzentrat grösstenteils importiert, statt auf einheimisches Obst zurückzugreifen. "Trotz der hohen Schutzzölle fahren wir immer noch günstiger", sagt Geschäftsführer Hanspeter Brunner.
Diese Entwicklung beobachtet Josiane Enggasser mit Sorge. Wenn die Produkte aus dem Ausland so günstig sind, dass sich ein Import trotz der hohen Schutzzölle lohnt, dürfte es für die Schweizer Mostobstproduzenten immer schwieriger werden, sich am Markt behaupten zu können.
Schlupfloch aufgespürt
Als wäre dies noch nicht Druck genug, kommt hinzu, dass dieses Jahr Firmen ein Schlupfloch im Schweizer Zollwesen entdeckt haben. Sie fügten dem Apfelsaftkonzentrat Aromen bei, was ihnen ermöglichte, es als überaromatisiertes Konzentrat zollfrei zu importieren. Dies ist ausgekommen, weil es Josiane Enggasser nicht gelang, herauszufinden, wie ein Preis von 1.09 Franken pro Liter zustande kommen kann. Ein Besuch bei der Eidgenössischen Zollverwaltung im letzten April verschaffte Klarheit.
Wie viele Tonnen Apfelsaftkonzentrat so in die Schweiz gekommen sind, ist unbekannt und kann auch nicht genau festgestellt werden. Josiane Enggasser vermutet, dass es sich um – auf Mostobst umgerechnet – circa 10'000 Tonnen handelt. Dies entspricht zehn Prozent des Marktvolumens. Die Eidgenössische Zollverwaltung hat nun Massnahmen ergriffen. "Wir haben die Zollstellen über die entsprechenden Importe informiert. In Zukunft wird das nicht mehr möglich sein", sagt Zollexperte Christoph Kempter.
Obwohl dieses Schlupfloch nun gestopft werden konnte, dürfte der Preisdruck bestehen bleiben. Ein grosser Schweizer Apfelsaftkonzentrat-Hersteller, der nicht namentlich genannt werden will, musste laut eigenen Angaben seine Preise gegenüber dem letzten Jahr um 15 Prozent senken. "Der Preisdruck ist enorm. Weil die Preise im Euroraum so tief sind, fordern die Detailhändler, dass auch in der Schweiz die Preise fallen", sagt der Pressesprecher der Firma. Die Verhandlungen seien hart. Es werde um jeden Rappen gefeilscht. Solange der Franken stark bleibt, dürfte sich der Preiskampf fortsetzen.

