"Es hat ja schon einige Zwetschgen dran", strahlt Vroni Messerli aus Uettligen. "Dabei haben wir den Baum erst vor drei Jahren gepflanzt." Noch ein paar Sonnentage und die ersten reifen Früchte können gekostet werden. Beim Birnbaum nebenan wird die Ernte noch ein paar Jährchen auf sich warten lassen. Er ist noch jung. Gepflanzt wurde er erst vor einem Jahr, kurz nach der Geburt von Messerlis zweitem Grosskind. Beide Bäume sind ein Geschenk von Vroni und Hansjörg Messerli an ihre Tochter. Messerli: "Wir wollten etwas schenken, das Sinn macht und Bestand hat." Das hat sie auch getan. Nur sind Messerlis keine Obstbauern, auch nicht auf Baumschnitt und -pflege spezialisiert und ihr Garten keineswegs gross genug, um für jedes Grosskind einen Hochstamm darin zu pflanzen. Stattdessen haben sie die beiden bäumigen Geschenke in die Obhut von Kaspar Herrmann und seiner Frau Maria Salzmann gegeben. Die Bäume stehen nun im bernischen Möriswil in einer Feldobstanlage. Dafür dass Herrmann-Salzmanns den Boden zur Verfügung stellen und sich um die fachgerechte Pflege der Bäume kümmern, zahlen Messerlis jährlich einen Patenschaftsbetrag. Im Gegenzug erhalten sie das Recht, jederzeit mit und ohne Grosskinder die Bäume zu besuchen und die Früchte ernten.
Serie: Städter zurück zur Scholle
Die Konsumenten entfernen sich immer weiter von der Scholle, gekauft werden oft pfannenfertige Produkte im Supermarkt. Doch es gibt einen Gegentrend: Bauernfamilien bieten Städtern die Gelegenheit, auf den Hof zu kommen und bei der Produktion von Nahrung selber Hand anzulegen. Der LID stellt in der Sommerserie 2012 solche Brückenschläge vor.
Nur noch wenige Plätze frei
Dieses Geschäftsmodell entspricht offenbar einem Bedürfnis. Seit Herrmann-Salzmanns im Jahr 2007 mit der Baumpatenschaft starteten, haben sie 47 Bäume gepflanzt. Dabei standen 30 Parteien Pate. "Obstbäume gehörten schon immer zu unserem Hof. Irgendwann hatten wir dann die Idee, die Bäume mit anderen zu teilen", fasst Herrmann die Entstehungsgeschichte zusammen. Das kam an: Junge und Alte, Männer und Frauen, Paare und Singles, von weit und von fern sind in Möriswil als Paten registriert. Inzwischen sind nur noch wenige Plätze auf der dafür vorgesehenen Wiese frei.
Die Baumpaten können die Früchte "ihrer" Bäume zwar ernten – sie müssen es aber nicht. Es gibt keinen Zwang. Jeder darf die Früchte auch der Natur oder den Bewirtschaftern überlassen. Ausdrücklich erwünscht ist einzig, dass die Paten bei der Pflanzung dabei sind. Denn das ist ein ganz spezieller Moment. Damit die Patinnen und Paten ihren Baum jederzeit besuchen können, sorgt die Bauernfamilie für die nötigen Rahmenbedingungen: Herrmann hat z.B. extra eine niedrige Mulch-Grasmischung unter den Bäumen angesät, damit das Betreten auch während der Vegetationsperiode jederzeit möglich ist. Meistens mäht er zudem einen Streifen neben den Bäumen aus, so dass man auch bei Regenwetter zum Baum gelangt, ohne nasse Füsse zu bekommen. Eine Sitzbank mit Tisch in einer Ecke des Baumgartens lädt ein, den Bäumen beim Wachsen zuzusehen. Die Bäume, die Hecke und der Waldrand tragen das ihre zur Entspannung bei. Der Ort ist eine Oase der Ruhe, und das in der Nähe der Stadt Bern.
Patenschaft in Variationen
Nicht nur in Möriswil, sondern in der ganzen Schweiz können seit ein paar Jahren Konsumenten für einen Baum Pate stehen. Allerdings ist das Angebot auf der landwirtschaftlichen Seite begrenzt. Das ist kein Wunder, denn das Platzangebot auf den meisten Höfen ist beschränkt und ein Baum ist schliesslich eine sehr langfristige Angelegenheit und wer eine Kundenbeziehung über zehn, zwanzig Jahre aufbauen will, braucht die Gewissheit, dass es den Betrieb dann noch gibt.
Nicht jede Baumpatenschaft funktioniert gleich. Manchmal wird nur der Baum gesponsert, ein anderes Mal ist auch die Mitarbeit bei der Pflege erwünscht. Einmal können die Paten selbst Hand anlegen bei der Ernte, ein anderes Mal erhalten sie die Früchte in verarbeiteter Form geliefert – etwa als Süssmost, Apfelringli, Dörrzwetschgen oder Birnbrot.
Mitunter haben die Patenbäume noch eine zusätzliche Funktion: In Hildisrieden LU auf dem Neuhof von Familie Amrein sind sie Teil einer Erhaltungssammlung. In dem Sortengarten mit alten ProSpecieRara-Sorten geben die Patinnen und Paten dem züchterischen Erbgut eine Überlebenschance. Und zwar unabhängig davon, ob ihre Früchte im Ertrag, Aussehen oder Haltbarkeit mit modernen Sorten mithalten können oder nicht.
Oder bei Familie Frey in Buttwil AG: Bei ihnen können die Paten in einem Lebensbaum-Park neben Obstbäumen auch Linden, Speierlinge oder Ebereschen pflanzen, die dann als Landschaftselemente einen wichtigen Beitrag zur natürlichen Vielfalt leisten.
Vroni Messerli möchte den Obstertrag dagegen nicht missen: "Ich glaube, wenn es gar nie Früchte gäbe, wäre ich enttäuscht." Das ist das Spezielle an einem Obstbaum: Dass er sich mit Früchten dafür erkenntlich zeigt, dass man ihn gepflanzt, geschnitten, gehegt und gepflegt hat. Zwar brauchen Hochstammbäume ein paar Jahre, bis sie in Vollertrag kommen. Und in dem einen oder anderen Jahr fällt die Ernte auch mal bescheiden aus oder gar ganz weg. Fürs Wetter und seine Kapriolen kann man Herrmann-Salzmanns nicht verantwortlich machen, damit aber wenigstens eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass einmal Früchte geerntet werden können, pflanzt das Bauernpaar nur robuste Sorten an. Das sind Sorten, die sich für den Bioanbau eignen und auch bei extensiver Pflege wenig krankheitsanfällig sind.
Ausnahmen gibt es nur selten, wie Herrmann erzählt: "Einmal kam eine Familie mit einem Nussbaum. Den hatten die Eltern nach der Geburt ihres Sohnes selbst aus einem Nusskern gezogen und dann im Garten auf dem Einstellhallendach gepflanzt." Weil die Wurzeln das Flachdach früher oder später beschädigen würden, musste der Baum den Platz räumen. Auf der Wiese in Möriswil kann er sich nun ungestört entfalten.
Lebenslange Freundschaft
Nussbäume werden oft 100 Jahre alt und mehr. Auf so eine lange Patenschaft hat sich Herrmann nicht eingelassen: "Wir beurteilen jede Patenschaft nach zwanzig Jahren wieder neu." Dann wird der Vertrag vielleicht verlängert oder ein Baum ersetzt. Sollte ein Baum einmal gefällt werden (müssen), dann dürfen ihn die Paten nach Hause holen. Ob als Bretter, als hölzernes Kunstwerk oder als Brennholz ist offen. Je nach Wuchs und Holzqualität eignet sich ein Baum mehr für die eine oder andere Verwertung. Wenn ein Pate aus dem Holz seines Baumes ein Möbelstück fertigen lässt, kann man zu Recht sagen: Eine Baumpatenschaft hält ewig.

