
Eigentlich verrückt: Am Morgen waren wir noch Fremde. Jetzt, ein paar Stunden später, würde ich am liebsten hocken bleiben am riesigen Holztisch in der Küche der Familie Sprunger in Bubendorf (BL). Nur Elias (4) will raus: "Der Grossvater ist am Misten, ich will helfen", sagt er und ist weg. "Das wäre dann die fünfte Generation, die auf dem Hofgut Wildenstein bauert", lacht Mutter Rahel Sprunger (31). Sie bringt nochmals Kaffee und dann geht die Diskussion über Gott und die Welt, Stadt und Land im Allgemeinen, über die Folgen der Stallvisite im Speziellen, weiter.
Grossaufmarsch
Letztes Jahr kamen am 25. Mai, dem offiziellen "Tag der offenen Stalltüre", 600 Leute zu Besuch. "Gezählt haben wir sie nicht. Aber entweder hat jeder mindestens zwei Würste gegessen oder sonst waren es wirklich so viele", sagt Dominic Sprunger (38). Nicht nur an offiziellen Tagen, sondern das ganze Jahr über kommen Leute auf den Hof, zu den Laufställen und den Tieren im Freien. Gestört fühlen sich die Sprungers nicht. "Wenn wir Zeit haben, geben wir auch gerne Auskunft", sagt die Bio-Bäuerin, die bis anhin erst einmal eine negative Erfahrung gemacht hat: "Ihr lebt von unseren Steuergeldern", hat ihr mal ein übel gelaunter Zeitgenosse ins Gesicht gesagt. "Damals war ich ziemlich geschockt und konnte darum nicht mal argumentieren", sagt sie. Die unzähligen guten Erfahrungen hätten diese eine schlechte aber schon lange wettgemacht.
Gegenseitige Bereicherung
Irgendwie kann man sehr gut verstehen, warum es so viele Menschen auf den Bio-Hof rund um das mittelalterliche Schloss Wildenstein zieht. Dominic und Rahel Sprunger sind herzlich und offen. Darum haben sie auch 2014 beim Uno-Jahr der bäuerlichen Familienbetriebe mitgemacht. Die Begegnung mit Menschen aus anderen beruflichen und gesellschaftlichen Kreisen betrachten sie nicht nur als Chance, weiteren Bevölkerungsschichten die Landwirtschaft näher zu bringen. "Solche Begegnungen sind auch für uns selber eine Bereicherung. Die Menschen in der Stadt – oder nur schon im eigenen Dorf – wissen oft nicht mehr viel über die Landwirtschaft", erzählt Rahel und verweist auf ihre Tochter Lena: "Im Kindergarten wird sie etwa gefragt, woher die Milch wirklich kommt. Wir wiederum kennen uns vielleicht nicht so gut in der IT- oder der Pharma-Welt aus." Der Austausch, die gegenseitige Wertschätzung, tue allen Beteiligten gut.
Steinobst zu Wasser
Der 80 Hektaren-Pachtbetrieb der Sprungers liegt unmittelbar neben dem Schloss Wildenstein oberhalb von Bubendorf. Schloss und Hof gehören dem Kanton Baselland. Die Tafel-Jura-Landschaft ist wunderschön und wird im Bundesinventar der Landschaften mit nationaler Bedeutung aufgeführt. Ganz in der Nähe des Hofs etwa steht ein Hain mit Eichen, die teilweise über 500 Jahre alt sind. Sehr viel jünger sind die für diese Landesgegend typischen Steinobstbäume, deren Früchte Sprungers Vater mit viel Liebe und Können zu Wasser veredelt: zu Kirsch- und Zwetschgenwasser, um genau zu sein. Daneben betreiben die Sprungers auch Ackerbau und halten drei Esel und ein paar Hühner. Und da ist auch Lasko, der liebste, verschmusteste Hofhund zwischen Basel- und Neuseeland. Das ist ja nicht ganz unwichtig, wenn man eine "offene Stalltüre" hat.
Das Hauptstandbein ist aber ist die Rindviehhaltung. "2013 haben wir von Milchwirtschaft auf Mutterkuhhaltung umgestellt", erzählt Dominic Sprunger. Dabei wurde jedoch nicht der ganze Viehbestand – vorwiegend Holstein-, ein paar Jersey- und Hochlandrinder – ersetzt. Die Bauersleute hängen ja an ihren Tieren. Nein – die Sprungers kauften einen Angus-Stier und jetzt, gut zwei Jahre später, sieht man nicht mehr viel von der Holstein-Genetik im neuen Laufstall. Dafür spielen zahlreiche Angus-Kälber zwischen ihren Müttern Fangis.
Ein Hingucker
Gerade die Tierhaltung macht bei den Besuchern Eindruck: "Seit wir mit der Selbstvermarktung begonnen haben, hat die Zahl der Kunden und die Menge des verkauften Fleisches exponentiell zugenommen", sagt der Bio-Bauer. Das habe primär sicher mit der Qualität des Fleisches zu tun. "Dazu kommt aber, dass tatsächlich immer mehr Leute wirklich wissen wollen, wie und wo die Tiere leben, was sie fressen, wie sie gehalten werden." Neben den Rindern haben die Sprungers noch ein weiteres Standbein entdeckt: Schafe. In den ursprünglichen Stallgebäuden aus dem frühen 19. Jahrhundert war genügend Platz und so lebt seit einiger Zeit eine kleine Herde schottischer Blackface-Schafe auf dem Hof. Sie sind ähnlich genügsam wie Hochlandrinder, die ja ebenfalls aus Schottland stammen. Dass die Basellandschäftler Bauernfamilie auf das Schaf kam, ist eine direkte Folge der offenen Stalltüre: "Wir wurden von den Besuchern immer mal wieder gefragt, ob wir nicht Bio-Lammfleisch anbieten könnten", erzählt die Bäuerin. Gesagt, getan und nun also bereichern Schafe mit schwarzem Gesicht und geschwungenen Hörnern die Attraktivität des Hofes für Besucher. Die Tiere sind ein echter Hingucker.
Aus all diesen Gründen ist für die Sprungers klar: Gäbe es keine offene Stalltüre – man müsste sie erfinden. "Wir können wirklich nur Positives berichten", sagt sie. Berufskollegen, die Menschen mögen und offen sind, könne er das Mitmachen wärmstens empfehlen. Dann ist es eben doch Zeit zu gehen. Elias winkt, Lasko holt sich noch ein paar Streicheleinheiten und die Sprungers sagen Adieu. Nein – eben nicht Adieu. Sondern auf Wiedersehen.
Höfe gesucht
Über 300 Bauernbetriebe in der ganzen Schweiz bieten die Stallvisite an. Der Landwirtschaftliche Informationsdienst sucht laufend weitere Höfe, die für die Bevölkerung ihre Stalltüren öffnen möchten. Das neue Stallvisite-Jahr startet mit dem Tag der Milch am 18. April 2015 und dauert das ganze Jahr. Die Freude am Kontakt mit Konsumenten ist wichtig. Gut geeignet sind Bauernhöfe an einfach erreichbaren Orten, in der Agglomeration und an gut besuchten Wander- und Spazierwegen. Attraktiv ist die Stallvisite auch für Bauernfamilien, die Zusatzangebote wie Direktvermarktung, Schule auf dem Bauernhof, Ferien auf dem Bauernhof oder Lockpfosten anbieten.
Interessierte Bauernfamilien melden sich bei: David Joller, david.joller@lid.ch, 031 359 59 77, www.stallvisite.ch