
Derzeit ernten Bauern landauf, landab ihren Mais. Zum grössten Teil landet das Getreide nicht auf dem Teller, sondern in den Futtertrögen der Nutztiere. Für die menschliche Ernährung wird in der Schweiz nur wenig Mais angebaut: Etwas Zuckermais, der als Kolben verkauft wird oder Hartmais, der zum traditionellen „Rheintaler Ribelmais” verarbeitet wird. Und Popcorn? Der Mais für den beliebten Snack stammt aus dem Ausland. Denn zur Herstellung von Popcorn wird eine spezielle Sorte benötigt. Die Schalen der Körner müssen zugleich dünn und hart sein, damit sie Druck und Hitze bei der Popcorn-Herstellung zunächst standhalten und dann aufspringen. Vor allem aber: Popcorn-Mais braucht mehr Wärme als Futtermais, der hierzulande gut gedeiht, weil er dank Züchtung weniger kälteempfindlich ist. Popcorn-Mais hingegen ist weniger hochgezüchtet und ähnelt den ursprünglichen, wärmeliebenden Maissorten aus Mexiko.
Popcorn-Mais hat Potenzial
Für Nadja Schütz, Anja Madörin, Daniel Amgarten und Matthias Rutishauser jedoch kein Hindernis, um das auszuprobieren, was hierzulande bislang scheiterte (siehe Textbox): Der Anbau von Popcornmais. Die zwei Frauen und Männer studieren im fünften Semester Agronomie an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (Hafl) in Zollikofen BE. Im Rahmen eines Vertiefungsmoduls erhielten sie die Aufgabe, ein neuartiges, innovatives Produkt zu entwickeln und zu lancieren.
Nach langem Suchen tauchte die Idee auf, Mais für die Popcorn-Herstellung anzubauen. Ohne irgendwelches Vorwissen setzte sich Daniel Amgarten vor den Computer und recherchierte im Internet. „Ich habe gemerkt, dass Popcorn-Mais vollständig importiert wird. Dadurch wurde es für uns natürlich interessant”, sagt Amgarten. Auch die Dozenten hätten gefunden, dass das Projekt Potenzial habe.

Bei null anfangen
Auf die anfängliche Euphorie folgte bald Ernüchterung. „Wir haben zuerst gegoogelt und schnell gemerkt, dass es kaum Informationen zum Anbau gibt”, erklärt Amgarten weiter. Die vier Studierenden mussten daher viel Aufbauarbeit leisten. Wo kann man Saatgut beziehen, was ist bei der Düngung, was beim Pflanzenschutz zu beachten? Dank Beziehungen erhielten sie eine Adresse einer österreichischen Saatgutfirma sowie einen Kontakt zu einem Saatguthändler in der Westschweiz, die bereits Erfahrung im Anbau von Popcorn-Mais haben.
Trick vom Gemüsebau
Im Frühling 2016 fiel dann der Startschuss: Auf insgesamt 25 Aren haben die vier Agronomie-Studierenden Popcorn-Mais angesät, eine Landmaissorte und eine Hybridsorte. Und zwar an zwei Standorten, in Schneisingen AG auf dem Hof von Daniel Amgarten und in Liestal BL auf dem Betrieb von Nadja Schütz.
Der Unterschied zwischen Popcorn-Mais und Futtermais zeigte sich bereits bei der Aussaat: „Das Säen war eine Herausforderung, weil die Körner kleiner und rundlicher sind”, betont Amgarten, der auf dem elterlichen Ackerbaubetrieb bereits viel Erfahrung im Anbau von Futtermais gesammelt hat.
Weil Popcorn-Mais mehr Wärme braucht als Futtermais, bedeckten die vier Studierenden die Felder mit einem Vlies – ein Hilfsmittel, das beim Maisanbau normalerweise nicht zur Anwendung kommt, wohl aber bei der Gemüse- oder Erdbeerenproduktion. Das Vlies schützt die empfindlichen Kulturen vor Frost und sorgt für mehr Wärme im Boden und verschafft ihnen dadurch einen Vorsprung.
Ungnädig zeigte sich Petrus: „Der Frühling war katastrophal. Frost und Dauerregen machten dem Mais schwer zu schaffen”, bilanziert Amgarten. In Liestal kamen Überschwemmungen und Hagel dazu. Die Pflanzen wuchsen nur kümmerlich. „In diesem Moment haben wir gedacht, dass das kein gutes Ende nehmen wird”, sagt Amgarten nachdenklich.
Positiv überrascht
Nun, wenige Monate später, strahlt der 24-Jährige. Mitte September hat Amgarten mit seinen Mitstudierenden auf der Parzelle in Schneisingen die ersten Kolben geerntet – von Hand. Danach wurden sie getrocknet, gedroschen und in der eigens angeschafften Maschine zu Popcorn verarbeitet. „Wir sind echt positiv überrascht von der Qualität. Das Popcorn überzeugt punkto Geschmack und Volumen”, freut sich der angehende Agronom.
Der Mais wird in einer Anlage der Hafl getrocknet, ein Vorgang, der viel Fingerspitzengefühl erfordert. „Es darf nicht zu heiss sein, weil sonst die Proteine kaputtgehen”, so Amgarten. Ähnliches gilt für das Dreschen, wofür die Studierenden eine Maschine der Forschungsanstalt Agroscope verwenden dürfen. „Das Dreschen muss schonend sein, sonst produziert man nur Ausschuss.”
Als Nächstes wird auch die zweite Parzelle abgeerntet. Sind die Kolben verarbeitet, werden die Körner abgepackt, mit der selbstgestalteten Etikette versehen und an rund 20 Läden in der Region Nordwestschweiz ausgeliefert, wo es unter dem Markennamen „TOPCORN” verkauft wird. Amgarten rechnet mit gut einer Tonne Mais. Beworben wird der Popcorn-Mais mit mit Flyern, mit Hilfe der eigenen Website und der Präsenz in den Sozialen Medien. Auch das Marketing ist Teil des Projekts, ebenso wie das Erstellen eines Businessplans und der Finanzierung. Letztere haben sie mittels Crowdfunding sichergestellt. Innert 90 Tagen sind auf diese Weise 4‘500 Franken zusammengekommen.
Zukunft noch offen
Welche Zielgruppe steht im Visier? „Wir wollen Leute ansprechen, welche der Herkunft Schweiz eine grosse Bedeutung beimessen und die bereit sind, etwas mehr für die Produkte zu bezahlen”, so Amgarten. Eine Feier anlässlich der Lancierung des Popcorns ist nicht geplant. „Wir haben uns überlegt, einen Event durchzuführen. Weil wir alle im Moment dermassen ausgelastet sind und bereits viele Freitage draufgingen, lassen wir es sein”, so Amgarten. Wie es im nächsten Jahr weitergeht, sei noch offen.
Anbau in der Schweiz bislang gescheitert
Am Anbau des wärmeliebenden Popcorn-Maises haben sich in der Schweiz schon viele Bauern und Verarbeiter die Zähne ausgebissen. „Wir haben den Anbau schon an vielen Orten der Schweiz probiert”, sagt Marcel Willi, Geschäftsführer von Maya Popcorn aus Ettiswil LU. Unter anderem an sonnenbegünstigen Orten wie dem Tessin oder in Rebbergen. Der Mais wachse zwar und bilde Kolben, ob sich die Körner für die industrielle Popcorn-Herstellung eigneten, sehe man erst nach dem Trocknen. „Die gewünschte Qualität haben wir in der Schweiz nie erreicht”, bilanziert Willi. Die Körner platzten oft nicht wie gewünscht auf. Entscheidend ist laut Willi der Feuchtigkeitsgehalt in den Körnern. Dieser müsse zwischen 14 und 16 Prozent liegen. Sonst klappe es nicht. „Wenn es einem Bauern gelingt, Popcornmais in der erforderlichen Qualität zu produzieren, dann kaufen wir diesen sofort ab.”
Migros sieht Chancen für Schweizer Popcorn-Mais
Die Migros verkauft Mais für die Popcorn-Herstellung wie auch genussfertiges Popcorn. Der Rohstoff stammt in beiden Fällen aus verschiedenen EU-Ländern sowie aus Übersee. Grundsätzlich sei Rohstoff aus der Schweiz immer sehr interessant, sagt Migros-Sprecherin Christine Gaillet auf Anfrage. Regional könnten solche Produkte unter dem Label „Aus der Region. Für die Region.“ vermarktet werden. Allerdings müssten Mengen und Lieferbarkeit stimmen, betont Gaillet.
Auch Coop führt Popcorn-Produkte im Sortiment. Zur Herkunft des verwendeten Rohstoffes habe man noch nie eine Rückmeldung erhalten, sagt Coop-Sprecherin Andrea Bergmann. "Wir vermuten, dass dies wohl auch damit zusammenhängt, dass Popcorn kein typisches Schweizer Produkt ist."
Mais ist nicht gleich Mais
Ob für Tierfutter oder die menschliche Ernährung: Je nach Verwendung werden andere Maissorten angebaut. Futtermais ist dank Züchtung weniger kälteempfindlich und eignet sich bestens für den Anbau in der Schweiz. Insgesamt werden auf rund 60‘000 Hektaren Mais für die Fütterung von Nutztieren angebaut (Zum Vergleich: Beim Brotweizen sind es rund 76‘000 Hektaren). Auf rund drei Vierteln dieser Fläche bauen Landwirte Silomais an, bei dem die ganze Pflanze siliert wird. Auf einem Viertel wächst Körnermais, wo die getrockneten Körner gemahlen und verfüttert werden. Mais wird von Bauern geschätzt, weil er ein energierreiches Futter ist und der Anbau im Vergleich zu Kartoffeln oder Rüben weniger intensiv und damit kostengünstiger ist.
Die Produktion von Mais für die menschliche Ernährung ist in der Schweiz eine Nische – eine aber, die wächst. Die Anbaufläche von Zuckermais hat sich in den letzten 15 Jahren mehr als verdoppelt. Aktuell werden auf knapp 200 Hektaren Zuckermais kultiviert. Das Hauptanbaugebiet liegt im Kanton Aargau.




