
Die Initiative geht sehr weit: Sämtliche Tier- und Menschenversuche wären verboten, ebenso der Import von Produkten, die mithilfe solcher Versuche zugelassen werden. «Die Initiative fordert auch ein Totalverbot von klinischen Studien und den Handel mit solchen Produkten», betonte Michael Hengartner, Präsident des ETH-Rates, an einer Medienkonferenz des Schweizerischen Nationalfonds (SNF).
«Und ohne Tierversuche und ohne klinische Studien kann es keine neuen Medikamente mehr geben. Das wäre ein riesiges Eigentor», so Hengartner. Ebenso wie die Humanmedizin wäre auch die Veterinärmedizin betroffen. Ein Medikament für die Hauskatze oder für die Milchkuh – das würde künftig schwierig. Auch für das Tierwohl seien Tierexperimente wichtig, erklärte Matthias Egger, Präsident des Nationalen Forschungsrats des SNF. «Wer Hunde und Katzen liebt, muss auch für ihre Gesundheit sorgen. Und das geht nur, wenn man auch an Hunden und Katzen testet», stellte er klar. Und was für die Haustiere gilt, gilt ebenso für die Nutztiere.
Direkte Auswirkung auf Tiergesundheit
«Tierversuche ganz zu verbieten hätte direkt eine Auswirkung auf die Tiergesundheit und das Tierwohl. Denn ein Teil der Tierversuche kommt den Tieren selber zugute; sei es als Einzeltier oder Tierbestände», erklärt Sarah Prasse, Verantwortliche für Tierwohl bei der Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte (GST), gegenüber dem LID. «Denken Sie nur mal an die Entwicklung von Impfstoffen für Haustiere: ohne Tierversuche wäre diese gar nicht erst möglich. Oder an die ganzen Verhaltensstudien, welche ebenfalls als Tierversuche klassifiziert werden.» Diese helfen laut Prasse, die Bedürfnisse der Tiere besser zu verstehen, was wiederum zu mehr Tierwohl führe. Als konkretes Beispiel nennt sie Mastschweine: «Empfehlungen zu deren Beschäftigung im Stall basieren unter anderem auf Erkenntnissen aus Tierversuchen.»
«Ein von den Initianten gefordertes Handels- bzw. Importverbot von sämtlichen Produkten, die unter Anwendung von Tierversuchen entwickelt wurden, würde zudem dazu führen, dass einzelne Medikamente oder Impfstoffe nicht mehr importiert werden könnten», so die Tierwohl-Verantwortliche der GST. Diese seien für die Behandlung und Prävention der Krankheiten von Tieren jedoch zwingend nötig. Die Initiative könnte zu einem Medikamentennotstand und somit unter anderem zur Zunahme von Tierleid führen.
«Will Tieren keine Medikamente geben, die nicht getestet wurden»
«Die Initiative verlangt ein ausnahmsloses Verbot aller Tier- und Menschenversuche, darin eingeschlossen sind simple Beobachtungsstudien, die den Tieren selbst zugutekommen. So müssen Verhaltensstudien bei Nutztieren beispielsweise weiterhin möglich sein, damit die Haltungsformen verbessert und das Tierwohl gesteigert werden kann», sagte auch Maya Graf, Ständerätin der Grünen, an der Medienkonferenz des Nein-Komitees. Und Martin Haab, SVP-Nationalrat und Präsident des Zürcher Bauernverbandes, erklärte: «Persönlich möchte ich meinen Tieren keine Medikamente verabreichen, deren Wirkung noch nie zuvor an einem anderen Tier getestet wurde.» Und auch neue Futtermittel, neue Stallsysteme in der Tierhaltung oder die Digitalisierung im Kuhstall mit Melk- und Fütterungs- und Entmistungsrobotern müssten vor ihrer Zulassung getestet werden. Verzichte man darauf, gehe das auf Kosten der Sicherheit und der Tiergesundheit, so Haab.
GST sieht Verbesserungspotenzial
Die GST sieht aber auch diverses Verbesserungspotenzial bei Tierversuchen. So fordert sie von den Universitäten und Fördergefässen wie dem Schweizerischen Nationalfonds, dass tierversuchsfreie Forschung prioritär unterstützt wird. Zudem sollen Anreize geschaffen werden, damit Projekte gemäss den 3-R-Prinzipien durchgeführt werden und die Publikation der wissenschaftlichen Studien respektive der Zugang z.B. durch «open access» vereinfacht wird. Weiter will die GST unter anderem, dass die Anforderungen an die Haltungsbedingungen von Versuchstieren generell erhöht und die entsprechenden gesetzlichen Vorgaben verschärft werden. Auch müsse es mehr Ressourcen für die Bewilligungsverfahren und Kontrollen von Tierversuchen mit Schweregrad 1, 2 und 3 geben. Und das tierärztliche Fachwissen sollte vermehrt in Tierversuchsinstitutionen einfliessen, namentlich in Versuchstierhaltungen, bei der Durchführung von Tierversuchen sowie in den Tierversuchskommissionen, so Sarah Prasse.
Das ist 3R
Die 3R bei Tierversuchen stehen für «Replace», «Reduce» und «Refine» – also ersetzen, reduzieren und verbessern. Damit sollen Alternativmethoden gefördert werden und die weiter nötigen Versuche möglichst wenig belastend sein. Jenny Sandström, Executive Director am Swiss 3R Competence Centre, ging an der SNF-Medienkonferenz auf Alternativen ein. So finanziere man derzeit die Entwicklung eines 3D-gedruckten Herzens, an dem anstelle von Tierherzen OP-Techniken geübt werden könnten. Oder die «Lunge auf Chip», die das menschliche Lungengewebe möglichst realistisch nachbildet. Eine Annahme der Initiative würde laut Sandström den Fortschritt von Ersatzmethoden behindern.