"Bei den Richtlinien zur Erhaltung alter Landsorten ist die Schweiz der EU um zehn Jahre voraus", gab Uta Schnock vom deutschen Bundessortenamt Hannover unumwunden zu. Während in der Schweiz ein entsprechender Artikel im Landwirtschaftsgesetz verankert ist, hat es die EU, nach jahrelangen Diskussionen, erst vor kurzem geschafft eine Richtlinie auf EU-Verordnungsstufe zu verabschieden. Von der Umsetzung in den Mitgliedsländern ist man noch meilenweit entfernt. Schnock: "Man weiss noch nicht einmal, welche Behörde bestimmen soll, was eine Erhaltungssorte ist und wo deren Ursprungsregion liegt." Wer in der EU alte Landsorten vermehrt, bewegt sich also weiterhin nicht nur im rechtsfreien, sondern häufig sogar im
Einschränkungen aus der EU
Auch in der Schweiz könnte es so weit kommen. Wenn wegen dem Abbau nicht-tarifärer Handelshemmnisse die Schweizer Gesetzgebung an die EU-Richtlinien angepasst wird, betrifft das auch hiesige Saatgutproduzenten und Erhaltungsorganisationen. Deshalb organisierte die Schweizerische Kommission zur Erhaltung von Kulturpflanzen, SKEK, am 11. November eine Tagung über die "Regeln zur Erhaltung der Sortenvielfalt in der Schweiz und in Europa". Der Teilnehmeraufmarsch von rund 100 Personen zeigte, dass das Thema von grossem Interesse ist. Tatsächlich könnte die EU-Verordnung über die Zulassung von Landsorten die Produktion von verschiedenen Spezialitäten in der Schweiz sogar verbieten. Die Richtlinie sieht nämlich vor, dass das Saatgut der speziell definierten Erhaltungssorten nur noch in der Ursprungsregion erzeugt werden darf. Konkret könnte das bedeuten, dass zum Beispiel das Saatgut der rot-weiss-gestreiften Gioggia-Randen nur noch in Venetien produziert werden dürfte. Obwohl diese Sorte seit vielen Jahren in der Schweiz vermehrt wird.
Bis dieser Fall eintritt, dürfte es zwar noch eine Weile dauern. Doch beim Bundesamt für Landwirtschaft arbeitet man bereits an der Anpassung der Schweizer Gesetzgebung an die EU. Hier wie dort werden Höchstmengen für das Saatgut alter Landsorten definiert. Doch während der EU-Entwurf vorsieht, diese Höchstmengen so hoch anzusetzen, dass sie de facto nie erreicht werden, werden die Höchstmengen in der Schweiz teilweise deutlich überschritten.
Zum Beispiel beim Rheintaler Ribelmais: Diese alte Landsorte hat den Durchbruch geschafft und ist heute wieder salonfähig geworden. Die Nachfrage ist gut, Ribelmais wird heute wieder auf 30 bis 40 Hektar Fläche angebaut. Offiziell dürften aber nur 500 Kilo Saatgut pro Jahr in Verkehr gebracht werden – das würde nur für einen Bruchteil dieser Fläche reichen. Diese Situation kennt man auch von den Kartoffeln: Bei alten Sorten, die sich am Markt etablieren, reicht die erlaubte Pflanzgut von zehn Kilo pro Jahr nicht aus, um den Bedarf zu decken. An der Tagung wurde deshalb der Wunsch geäussert, diese Menge nicht zu regeln, sondern dem Markt zu überlassen. Schliesslich, so die Begründung, stellen die alten Sorten keine Gefahr für die modernen Zuchtsorten dar: Ertragsmässig können sie nicht mithalten, sie eignen sich höchstens für eine Nischenproduktion.
Sortenvielfalt wird bestraft
In Wahrheit ging es bei den ganzen Diskussionen nicht darum, ob ein paar Kilogramm mehr oder weniger sinnvoll wären; sondern es ging um die Förderung der genetischen Vielfalt überhaupt. Weit einschränkender als die Erhaltungsrichtlinie 2008/62/EG ist nämlich die EU-Regel, das Verbreiten von pflanzlichem Vermehrungsmaterial nur zu erlauben, wenn die Sorte in einem amtlichen Sortenkatalog aufgeführt ist. Wer Saatgut verschenkt, tauscht, verkauft oder einführt, welches nicht im Sortenkatalog aufgeführt ist, verstösst gegen das Gesetz.
Frankreich hat diesbezüglich bereits ein Exempel statuiert: Dort wurde der Verein Kokopelli, der mit alten Saatgutvarietäten handelt, von der halbstaatlichen Organisation GNIS (Groupement National Interprofessionell des Semences et plants) und der Berufsvertretung der Saatguterzeuger FNPSP (Fédération Nationale des Professionnels des Semences Potagères et Florales) angeklagt.In zweiter Instanz wurde Kokopelli am 22. Dezember 2006 zu einer Geldstrafe von 20'000 Euro verurteilt – wegen Vertrieb von nicht eingetragenem Saatgut.
Hierzulande gibt es zwar auch Sortenkataloge. Doch gelten diese nur für Getreide, Kartoffeln, Mais und Futterpflanzen. Beim Gemüse, Obst und Zierpflanzen ist die helvetische Praxis liberaler: Da genügt es, gewisse Mindestanforderungen einzuhalten. Alles andere regelt der Markt.
Die Hälfte der Lauchsorten ist gefährdet
Biosaatgutproduzent Robert Zollinger warf in Bern einen Blick zurück in die Geschichte: "Die Einführung eines Sortenkataloges im Jahr 1934 hat in Deutschland 72 Prozent der damals erhältlichen Sorten zum Verschwinden gebracht." Er glaubt, dass das in der Schweiz ähnlich wäre. So sind zum Beispiel von 48 für die Schweiz relevanten Lauchsorten-Herkünften nur 24 im gemeinsamen Sortenkatalog der EU aufgeführt. Zollinger: "Das bedeutet, dass die restlichen 24 vermutlich verschwinden würden." Bei anderen Gemüsearten wäre das nicht anders. Denn der Aufwand für die Aufnahme in einen Sortenkatalog ist gross, die Anforderungen an Homogenität, Beständigkeit und Unterscheidbarkeit werden nicht von allen alten Sorten erfüllt.
Während der intensive Erwerbsgemüsebau davon nicht betroffen wäre – hier werden ohnehin nur ertragsstarke Hybrid-Züchtungen verwendet, meistens Züchtungen aus der EU –, könnte die Einschränkung der Sortenvielfalt für Marktfahrer, Direktvermarkter oder Hobbygärtner einschneidende Folgen haben. Denn diese Anbauer suchen Sorten mit speziellen Eigenschaften wie einem ausgeprägten Geschmack, langer Lagerfähigkeit, hoher Kälteresistenz oder speziellem Aussehen. Für viele Produzenten sind diese Nischen überlebensnotwendig.
Vielfalt sichert das Überleben der Menschheit
Dass die Erhaltung der genetischen Vielfalt nicht einfach Liebhaberei ist, betonte François Pythoud vom BLW: "Es geht nicht darum, etwas um des Bewahrens willens zu bewahren. Sondern es geht um die Ernährungssicherheit der Zukunft!"
Um die Auswirkungen des Klimawandels abzufedern wird es neue Züchtungen brauchen; Sorten, die auch dann noch Erträge bringen, wenn die Sommerniederschläge zu- und die winterliche Kälte abnimmt. Die Welt braucht Sorten die gegen Feuerbrand resistent sind, die dem Pilzbefall trotzen oder denen Trockenheit nichts ausmacht. Für diese Züchtungen sind die Züchter auf einen grossen Genpool angewiesen und zwar nicht nur tiefgekühlt in Genbanken. Damit sich die Gene an veränderte Umweltbedingungen anpassen können müssen sie auch "in-situ" erhalten, also angebaut und genutzt, werden. Und zwar in ihrer ganzen Vielfalt.
Weiterführende Links: www.cpc-skek.ch/
Siehe auch LID-Mediendienst Nr. 2891 vom 17. Oktober 2008: "Die Hüter der seltenen Samen"; LID-Mediendienst Nr. 2794 vom 10.November 2006: "Alte Sorten – neue Marktchancen?".
Landsorten sind vielfältig
ed. Landsorten sind Sorten, die von den Bauern selbst erhalten und vermehrt wurden. Sie sind ganz besonders gut an ihre Umgebung, an die jeweiligen Standortbedingungen, angepasst. Landsorten sind selten einheitlich, oft bestehen sie sogar aus einem Sortengemisch. Das war früher durchaus erwünscht, weil es die Ertragssicherheit erhöhte: Je nach Witterungsverlauf gedieh mal die eine, mal die andere Sorte besser. Weil Landsorten nicht homogen sind, entsprechen sie nicht den Anforderungen an die Sortenzulassung.
