
Von Markus Rediger und Michael Wahl
Markus Zemp sorgt als Präsident der Branchenorganisation Milch (BOM) für Ausgleich zwischen Milchbauern, Händlern und Verarbeitern. Nach über sieben Jahren im Amt tritt er voraussichtlich am 27. April 2017 zurück und übergibt den Stab an den vom BOM-Vorstand vorgeschlagenen Ständerat Peter Hegglin.
LID: Sie geben die Präsidentschaft der BOM früher als geplant ab. Haben Sie die Nase voll?
Markus Zemp: Nein. Ich habe immer gesagt, dass ich maximal noch ein Jahr im Amt bleibe. Die Findungskommission, die wir seitens der BOM eingesetzt haben, ist nun schnell fündig geworden. Deshalb macht es aus meiner Sicht keinen Sinn, wenn ich noch länger im Amt bleibe. Denn Peter Hegglin erfüllt das Anforderungsprofil perfekt, insbesondere ist er Parlamentarier und politisch wird in Zukunft einiges auf die Milchbranche zukommen.
Als Sie 2009 zum neuen BOM-Präsidenten gewählt wurden, haben Sie gesagt, dass man Ihnen teils zur Wahl kondoliert habe. Haben Sie es jemals bereut, dieses Amt angenommen zu haben?
In den über sieben Jahren, in denen ich BOM-Präsident war, gab es immer wieder Phasen, in denen ich es bereut habe. Ich war mehrmals kurz davor zurückzutreten. Es waren enorm intensive, aber auch spannende Jahre mit schwierigen wie auch guten Momenten. Die Gesprächskultur und Entscheidfindung innerhalb der BOM haben heute ein Niveau erreicht, auf das man stolz sein kann. Uns ist es zudem gelungen, eine Nachfolgeregelung für das Schoggigesetz zu erarbeiten, etwas, was man uns nicht zugetraut hat. Die BOM ist heute gefestigt, es ist eine Branchenorganisation, die funktioniert.
Die aber immer wieder in der Kritik steht.
Kritik ist ein Abbild der unterschiedlichen Ansprüche an die BOM. Es gibt Kritik von denjenigen, die der Vergangenheit nachtrauern, aber auch Kritik von denjenigen, denen der Wandel in der Milchwirtschaft zu wenig schnell geht.
Sind die Produzenten die Verlierer?
Es gibt nicht nur Produzenten, sondern auch viele Käser, die zu den Verlierern gehören. Der Wettbewerb ist angesichts der offenen Grenzen für einen grossen Teil des Milchmarkts enorm und produziert viele Verlierer.
"Ich gehe davon aus, dass der Richtpreis im Sommer steigt."
Und zu den Gewinnern gehören Milchhändler und Detailhändler?
Ich weiss nicht, ob man von Gewinnern reden kann. Die ganze Milchbranche verliert gegenwärtig Marktanteile wegen Importdruck und Einkaufstourismus. Der Käseimport ist seit 2006 von rund 33‘400 t auf 56‘500 t im Jahr 2015 gestiegen. Zu den Gewinnern gehört also der Importhandel. Treiber hinter dieser Entwicklung ist der starke Franken. Zu den Verlierern gehört übrigens auch der Staat. Denn wer im Ausland einkauft, zahlt keine Mehrwertsteuer. Das ist für mich ein Skandal. Hier ist die Politik gefordert.
Was kann die Schweizer Milchbranche gegen den Verlust von Marktanteilen unternehmen?
Für mich ist das eine der zentralen Aufgaben der Zukunft. Man kann doch als Branche nicht zusehen, wie man derart Marktanteile verliert. Die Branche muss sich selbstkritisch hinterfragen. Wir haben bei der BOM eine Mehrwertstrategie lanciert. Es geht darum, in den Köpfen der Konsumenten ein positives Bild der Schweizer Milchproduktion zu verankern, damit diese bereit sind, Schweizer Milchprodukten den Vorzug zu geben.

Sie übernahmen das BOM-Präsidium zu einem Zeitpunkt, als die staatliche Milchkontingentierung zu Ende ging und sich die Branche stärker am Markt orientieren musste. Wie hat die Branche diesen Übergang gemeistert?
Am Anfang nicht gut. Die Landwirtschaft war zerrissen. Es gab eine Gruppe von Bauern, welche die Menge begrenzen wollte und eine Gruppe, welche die Menge ausdehnen wollte. Dieser Gegensatz hat die BOM während der ersten Jahre enorm geprägt.
In der Kritik stand über die Jahre immer wieder die Segmentierung.
Ich glaube immer noch daran, dass die Segmentierung preisstützende Wirkung für das A-Segment und eine mengenführende Wirkung mit der C-Milch hat. Die Branche tut sich aber immer noch schwer, die Segmentierung als das zu akzeptieren, was sie ist. Im Moment ist das Mengenproblem nicht virulent. Wir hätten aktuell gar zu wenig Milch, wenn wir nicht gleichzeitig Marktanteil verloren hätten. 2015 ist der Konsum im geschützten Markt, also bei Joghurt, Trinkmilch und Butter, um 2,2 Prozent zurückgegangen und das bei einer wachsenden Bevölkerung.
Milchbauern beklagen, dass die Preise seit längerem die Kosten nicht mehr decken. Es kann doch nicht im Interesse der Verarbeiter und Detailhändler sein, dass Bauern Verluste schreiben.
Im letzten Jahr herrschte in der ganzen Branche ein Commitment, dass die Preise nicht weiter gesenkt werden dürfen. Dabei wäre eigentlich eine Reduktion angezeigt gewesen. Das ist nun der Grund, warum kürzlich der Richtpreis nicht erhöht wurde. Ich gehe aber davon aus, dass der Richtpreis im Sommer steigt.
"Die Ernährung ist zu einem Religionsersatz geworden."
Bei den Milchproduzenten hat sich eine Schere aufgetan: Bauern, die Käserei- oder Bio-Milch produzieren, erhalten deutlich mehr Geld als Bauern, die Molkereimilch produzieren. Warum?
Das ist eines der grossen Probleme. Im gleichen Dorf kann es zwei Bauern geben, deren Milchpreise sich bis zu 30 Rappen unterscheiden. So etwas hat es in der Vergangenheit nie gegeben. Entscheidend ist die Wertschöpfung, die mit der Milch erzielt wird. Wenn man als Bauer einen Abnehmer hat, der ein für das gegenwärtige Marktumfeld ungünstiges Produktportfolio hat, hat man Pech. Ich glaube, dass ein Milchpreis um 50 Rappen pro kg im jetzigen Umfeld zu tief ist. Man ist kein schlechter Bauer, wenn man jetzt kein Geld verdient.
Hat die Molkereimilch-Produktion überhaupt eine Zukunft?
Ja, sie hat eine Zukunft. Möglicherweise haben wir strukturell zu viel Milch, aber das wird der Markt korrigieren. Wir müssen versuchen, den Konsum anzukurbeln und ihr einen Mehrwert zu geben. Diesbezüglich sehe ich das Heumilch-Projekt als eine ermutigende Initiative. Ich glaube auch an eine Trendwende beim Fett. Neuere Studien haben das tierische Fett wieder rehabilitiert, nachdem es lange verteufelt wurde.
Agrarexperte, Politiker, Funktionär
Markus Zemp präsidiert nebst der Branchenorganisation Milch auch die Branchenorganisation Proviande, den Schweizer Brauerei-Verband sowie den IT-Dienstleister Identitas. Zudem ist der promovierte Agraringenieur ETH Präsident der "Beratenden Kommission für Landwirtschaft", die Empfehlungen zuhanden des Bundesrates ausarbeitet. Zemp hat früher beim Schweizer Bauernverband den Schlachtviehbereich betreut und sich stark für die Rindviehzucht engagiert. Von 2006 bis 2011 sass der Aargauer für die CVP im Nationalrat.
Anders als der Molkereimilchpreis ist der Preis für Biomilch stabil. Was macht die Biobranche besser?
Die Biobranche schafft es, ihre Produkte teurer zu verkaufen und sie steuert das Angebot. Sie nehmen nicht mehr Bauern auf, als sie Milch verkaufen können. Aber: Wenn es mal saisonal zu viel Biomilch gibt, wird zu konventioneller Milch deklassiert. Der Molkereimilchkanal muss für vieles herhalten. Auch die Einschränkungsmilch der Käsereien landet in diesem Kanal.
Der Milchmarkt ist teils durch Zölle geschützt, teils liberalisiert. Wie schlimm wäre eine vollständige Öffnung?
Eine vollständige Öffnung wäre angesichts der Unterschiede bei den Produzentenpreisen in vielen Sektoren verheerend. Auch die vor- und nachgelagerten Stufen kämen unter Druck. Der Milchbereich wäre zwar derjenige Agrarsektor, der noch am ehesten Chancen hätte, sich im internationalen Umfeld zu behaupten, dies weil er mit starken Marken im Käseexport bereits international aufgestellt ist.
Trotz starker Schweizer Käsemarken steigen die Importe aber an.
Das Problem ist der starke Franken. Ohne Währungsprobleme wäre der Käseexport höher, der Import tiefer, wir hätten höhere Milchpreise und nicht die Marktanteilsverluste wie heute. Es ist zu befürchten, dass sich Euro und Franken wieder in Richtung Parität entwickeln. Das würde eine Krise in der Milchbranche auslösen. Die Frage ist, ob der Staat nicht ein Versicherungssystem einführen soll. Insbesondere, weil seine Agrarpolitik dazu geführt hat, dass dem durchschnittlichen Betrieb im Tal rund 5 Rappen Milchpreis weggenommen wurden.
Im Detailhandel kostet ein Liter Milch rund 1.50 Franken. Der Bauer kriegt lediglich 60 Rappen. Da stimmt doch etwas nicht.
Vermutlich haben wir ein Margenproblem. Das mal näher anzuschauen, wäre gut. Ich staune zudem, dass bei den Strukturen nichts geändert wird. Es gibt viele Milchhändler, die sich gegenseitig unterbieten und die Preise kaputt machen. Die SMP wollten damals einen Milchpool initiieren, das konnte aber nicht realisiert werden. Es ist jedoch nicht Aufgabe der BOM, die Hausaufgaben der Produzenten zu lösen.
Milch wird meist unspektakulär in Beuteln oder im Tetra Pak im Laden verkauft. Mineralwasser kommen als Marken daher, teils in edlen Flaschen. Könnte man Milch nicht besser vermarkten?
Ich denke schon. In der Gemeinde Rougemont beispielsweise wird in einem Laden Milch mit wunderschönen Landschaftsbildern angepriesen. Das macht «gluschtig». Da spielt der Preis keine grosse Rolle. Viel Potenzial bietet der Regio-Trend. Denn solche Produkte kann man nicht importieren.
"Es ist nicht die Aufgabe der BOM, die Hausaufgaben der Produzenten zu lösen."
Veganismus ist in aller Munde. Ist dieser Ernährungstrend eine Gefahr für die Milch- und Fleischbranche?
Man muss den Veganismus ernst nehmen. Die Ernährung ist zu einem Religionsersatz geworden. Wichtig scheint mir, dass wir standortgerecht Milch und Fleisch produzieren. Schweizer Milch darf nicht wie im Ausland auf Kraftfutter basieren. Problematisch wird es auch, wenn wir im Mittelland plötzlich 500er-Ställe haben, wo Kühe den ganzen Tag auf dem Betonboden stehen.
Täuscht es, oder leiden die Bauern in der Fleischbranche weniger stark unter Preisdruck als bei der Milch? Ist die Proviande die besser eingespielte Branchenorganisation als die BOM?
Denken Sie nur an die BSE-Zeit. Damals waren die Produzenten enorm verzweifelt. Niemand hat mehr an die Zukunft des Rindfleisches geglaubt. Ein grosser Unterschied ist, dass es beim Fleisch seit dem Zweiten Weltkrieg eine Branchenorganisation gibt. Man hat also eine jahrzehntelange Erfahrung. Zudem gibt es beim Fleisch einen hohen Grenzschutz, das macht die Ausgangslage einfacher als bei der Milch. Die Produzentenpreise können dank Zöllen auf einem wesentlich höheren Niveau als im Ausland gehalten werden.
Sie präsidieren nebst der BOM auch den Schweizer Brauerei-Verband. Inwiefern unterscheiden sich die beiden Branchen?
Der Unterschied ist, dass in der Bierbranche keiner an die Vergangenheit glaubt. Zudem setzt man enorm auf Innovationen, es gibt immer wieder eine grosse Anzahl neuer Biere.
Peter Hegglin als BOM-Präsident nominiert
Der Vorstand der Branchenorganisation Milch (BOM) hat als Nachfolger von Markus Zemp CVP-Ständerat Peter Hegglin nominiert. Die Wahl findet am 27. April 2017 statt.
Peter Hegglin ist seit 2015 Ständerat des Kantons Zug. Zuvor war er unter anderem Kantonsrat, Regierungsrat sowie Präsident der Finanzdirektorenkonferenz. Der 56-jährige Meisterlandwirt, der 2003 den eigenen Bauernbetrieb aufgab, war von 1996 bis 2002 Vizepräsident des Schweizer Bauernverbands.


Bundesrat publiziert Milch-Bericht
Der Bundesrat hat diese Woche einen ausführlichen Bericht zum Milchmarkt verabschiedet. Als Stossrichtung schlägt er hauptsächlich eine Differenzierung über die Mehrwerte der Schweizer Milch vor. Der Bericht zeige eine Stossrichtung, wie man vorgehen könnte, betonte Adrian Aebi, Vizedirektor des Bundesamtes für Landwirtschaft (BLW), gegenüber den Medien. Es sei aber keineswegs so, dass der Bundesrat vorgeben wolle, wie man es tun müsse. Dementsprechend hält der Bundesrat im Bericht fest, dass er sich auf die Ausgestaltung guter Rahmenbedingungen konzentrieren wolle.
In seinem Bericht zur Milchbranche skizziert der Bundesrat 3 Handlungsachsen. "Differenzierung", "Sozialverträgliche Kosteneffizienz" und "Internationale Vernetzung und Marktzugang". Im Bereich der Differenzierung schlägt der Bundesrat vor, die Differenzierungsmerkmale und Mehrwerte der Schweizer Milch glaubwürdig in der Positionierung gegenüber den Kunden einzusetzen. Schweizer Milchprodukte würden durch Mehrwerte in Qualität, Tierwohl und geringem Ressourcenverbrauch überzeugen.
Diese unverwechselbaren Mehrwerte der Schweizer Milchbranche sollten in Zukunft bei der Kommunikation für Schweizer Milch in den Mittelpunkt gestellt werden, heisst es im Bericht. Um die Verkaufsargumente im In -und Ausland einzusetzen, brauche es eine gemeinsame Vision und eine klare Strategie der gesamten Milchbranche.
Eine Absage erteilt der Bericht Forderungen nach einer allgemeinen Mengensteuerung. "Ein solche Mengensteuerung hat keinen Effekt auf den Preis", sagte Conradin Bolliger, stv. Vizedirektor des BLW, bei der Präsentation. Begründet wird dies im Bericht mit der starken Verknüpfung des Schweizer Milchpreises mit dem EU-Preis. Anders sieht es hingegen bezogen auf den Einzelbetrieb aus. Eine Mengenreduktion kann dort unter Umständen Sinn machen, wenn der Aufwand stärker als der Ertrag sinkt.
Der Bericht des Bundesrates wurde in Erfüllung eines Postulats der Wirtschaftskommission des Nationalrates erstellt.