Seide verbindet man eher mit Marco Polo und der Seidenstrasse als mit Schweizer Bauern. Doch auch in der Schweiz wurde einmal Seide produziert, im 19. Jahrhundert war das Züchten von Seidenraupen ein wichtiger Wirtschaftszweig. Der Textilchemiker und Landwirt Ueli Ramseier aus Hinterkappelen BE will die Seidenproduktion wieder in die Schweiz zurückholen. Mit sieben Bauern, der Textilindustrie und weiteren interessierten Kreisen gründet er am Samstag, 13. Juni die Vereinigung Schweizerischer Seidenproduzenten "swiss silk“ (siehe Kasten).
700 Raupen auf dem Dörrex
Bei der Gründung mit dabei sind Urs und Sarah Bernhard, die im bernischen Worb einen Milchwirtschaftsbetrieb führen. Am 20. Mai sind bei Bernhards die ersten Raupen geschlüpft, aus Eiern so klein wie Mohnsamen. Platz brauchen die Raupen nicht viel, im alten Rossstall haben Bernhards ein 15 Quadratmeter grosses Provisorium eingerichtet und dieses mit Plastikwänden abgedichtet, damit die Wärme drin bleibt. Etwa 700 Raupen sind auf den Gittern des Dörrex, damit sie auch von unten mit genügend Luft versorgt werden. Die Raupen brauchen eine Temperatur von rund 25 Grad Celsius und eine Luftfeuchtigkeit von 75 Prozent. Geheizt wird mit einem Elektro-Öfeli, für die Luftfeuchtigkeit sorgt ein Luftbefeuchter.
Der passende Baum
Bernhards machen beim Projekt "swiss silk“ mit, weil auf ihrem Hof das dazu passende Futter wächst. Seidenraupen fressen ausschliesslich die Blätter des weissen Maulbeerbaums. Bereits seit über 150 Jahren steht ein solcher Baum als Spalier vor dem Stall. Bernhards pflücken im Moment jeden Tag gut ein halbes Kilogramm der Blätter, um damit drei Mal die Raupen zu füttern. "Eine Ration à 180 Gramm fressen die Seidenraupen innert kürzester Zeit weg. Übrig bleiben nur die Stengel", sagt Urs Bernhard. Abgesehen davon, dass sie genügend Wärme und genügend Luftfeuchtigkeit brauchen, sind Seidenraupen pflegeleichte Tiere. "Sie sind aber empfindlich auf Erschütterungen und auf schlechte Luft", sagt Ueli Ramseier.
Von der Produktion bis zur Vermarktung
hs. Am Samstag, 13. Juni wird auf dem Hof von Urs und Sarah Bernhard in Worb BE die Vereinigung Schweizerischer Seidenproduzenten "swiss silk" gegründet. Das Projekt sieht vor, dass die Futterpflanze – der weisse Maulbeerbaum – und die Seidenraupen von Landwirten produziert werden. Die Rohseide soll von der Schweizer Textilindustrie weiterverarbeitet und vermarktet werden.
Ein Kilometer Faden je Kokon
Bis sich die Raupen verpuppen, dauert es einen Monat. Nachdem sie sich während ihres Lebens vier Mal häuten, spinnen sie sich in ein Kokon ein. Nach etwa drei Tagen hat sich die Seidenraupe fertig eingesponnen, nach weiteren acht Tagen schlüpft der Schmetterling.
Schlüpfen werden die Schmetterlinge bei Bernhards nicht. Haben sich die Raupen verpuppt, müssen sie getötet werden, damit der Seidenfaden gewonnen werden kann. Überhaupt wäre der Schmetterling nicht lange lebensfähig, weil die Raupe zum Zweck der Seidengewinnung gezüchtet worden ist. Töten werden Bernhards die verpuppten Raupen im 110 Grad heissen Backofen.
"Die Kokons von Bernhards Raupen und den anderen Bauern, die beim Projekt mitmachen, werden danach gesammelt", sagt Ramseier. Damit der Faden überhaupt vom Kokon abgewickelt werden kann, muss der Seidenleim im heissen Wasserbad gelöst werden. Anschliessend muss der Faden vom Kokon abgewickelt werden. "Von einem Kokon lässt sich ein Faden in der Länge von einem Kilometer gewinnen“, erklärt Ramseier. Mehrere Seidenfäden müssen miteinander verzwirnt werden, damit er stark genug ist für die Weiterverarbeitung.
Um ein Kilogramm Seidenfaden zu gewinnen, braucht es um die 7'000 Kokons. Umso klarer ist es Bernhards, dass ihre Raupengemeinschaft mit 700 Tierchen ein erster Versuch ist. Doch Urs und Sarah Bernhard sind sich einig: Wenn etwas aus dem Projekt wird, dann ist es für sie eine langfristige Angelegenheit. Umso mehr, weil die Futtergrundlage zuerst erarbeitet werden muss. Derzeit steigen Bernhards für die Futterbeschaffung noch auf die Leiter, um am grossen Maulbeerbaum die Blätter zu ernten. Wenn das Seidenraupenprojekt funktioniert, wollen Bernhards Setzlinge der Maulbeerbäume pflanzen, die nur bis auf eine Höhe von rund 1.60 Meter wachsen sollen. So könnten die Blätter effizienter geerntet werden.
Krawatte aus Schweizer Seide
Bei "swiss silk" machen nicht nur Bauern, sondern auch Verarbeiter mit; zum Beispiel die Seidenweberei Weisbrod aus dem zürcherischen Hausen am Albis. Schweizer Rohseide wird laut Berechnungen von Projektinitiant Ueli Ramseier rund sechs Mal teurer sein als ausländische. Aber weil die Firma Weisbrod das Know-how und die Einrichtungen für die Rohseidenverarbeitung bereits hat, würde die Krawatte für den Herrn oder der Schal für die Dame aus Schweizer Seide nicht unbezahlbar. Verkaufsargumente hat Ramseier jedenfalls bereits parat: "Die Seide kann damit dem Argument ‚Swissness' beworben werden. Auch ist die Produktion in der Schweiz ökologisch und sozial unbedenklich."
Derzeit machen neben Bernhards sechs andere Bauernfamilien beim Projekt mit. Wenn es mit der Seidenraupenproduktion in der Schweiz klappt, dann stehen vielleicht in Zukunft bei mehreren Bauernfamilie nicht mehr nur Kühe im Stall, sondern es werden auf dem gleichen Hof auch Seidenraupen gezüchtet.

