
Es ist "Wümmetzyt" im geschichtsträchtigen Surbtal, wo der Weinbau seit jeher betrieben wird. In Endingen ist vieles vom alten Dorfkern noch erhalten geblieben. Ein Einfamilienhaus-Quartier am Hang durchquerend führt eine schmale Strasse in Richtung Baldingen. An der Ostflanke vor der Waldgrenze liegt der Sandacher mit mehreren Weingärten in sonnenexponierter Lage.
Aus den Rebzeilen heraus hört man Schnappgeräusche. Hie und da Zwischenrufe. Das emsige Treiben hat zur Mittagszeit eben erst begonnen. Mit Handschuhen, griffigen Scheren, Plastikeimern und gutem Schuhwerk ausgerüstet macht sich eine Truppe von mehr als einem Dutzend Leuten an die Arbeit. Die gelblich-grünen Pinot-blanc-Trauben, die gelesen werden, sind voller Beeren und glänzen im Licht der Sonne.
Schnell werden die traditionellen, orangen Wümmetkisten aus Kunststoff mit den geschnittenen Trauben gefüllt. Die Kistli können auf einen eigens konstruierten Metallschlitten gestapelt und dann so den Hang heruntergezogen werden. Am unteren Ende des Rebhangs ist ein Anhänger mit mehreren Erntestanden (Fassungsvermögen ca. 400-450 kg) bereit estellt.
Seit Jahren bewährt
Starke Männer warten, bis sie das Erntegut der Helfer in solche Behälter sorgfältig umfüllen können. Lukas Baumgartner, der Betriebsleiter und Inhaber des Familienbetriebs Baumgartner Weinbau in Tegerfelden, koordiniert die Arbeitseinsätze und sorgt dafür, dass beim Heben der wertvollen Last nichts schief geht.
Baumgartners setzen seit vielen Jahren auf das beherzte Engagement von Erntehelfern. "Heute haben wir zwei neue dabei. Unsere Equipe baut sich fortlaufend wieder auf", erläutert Baumgartner. "Wir rekrutieren aus unserem Kreis von Verwandten und Kollegen. Aber vor allem sind viele unserer Kunden beste Freunde geworden, auf die wir zählen dürfen." Die temporären Erntehelfer werden nach Anzahl Stunden entlöhnt. Ausbezahlt werden sie in Naturalien in Form von Weinflaschen, die sie aus dem Sortiment des Familienbetriebs auswählen.
Arbeiten bei schönem Wetter
"Der Wein schmeckt besser, wenn man selber daran arbeitet", sagt einer der Helfer. Ein anderer, Hermann Küttel aus Wettingen, ein ehemaliger Bus-Chauffeur, hilft der Familie schon seit mehr als 30 Jahren und ist längst zum Experten geworden. Er referiert zur Stielfäule: "Da muss man beherzt abschneiden." Eine Zeitlang bot er eine ganze Gruppe von Arbeitskollegen auf, um bei der Ernte mitzuhelfen.
Wolfgang Ziller, ein ehemaliger Ingenieur bei der BBC, erzählt: "Ich und meine Frau wohnen in der Nähe des Rebbergs Sandacher, kamen aber erst an einer Gewerbeschau in Wettingen mit ihnen ins Gespräch." Seit der ersten Begegnung hilft er nun schon das achte Jahr bei der herbstlichen Weinernte.
Viele aus der Truppe sind bereits Rentner, die bei dieser Arbeit im Freien sichtlich aufblühen. Es gibt aber auch Jüngere. Sie alle freuen sich auf die Flaschen Wein, die sie am Ende der Saison abholen können. Ein Helfer wendet ein: "Wir gehen nicht des Lohnes wegen wümmen, sondern aus Freude an der speziellen Arbeit, am Beisammensein und der Bewegung an der frischen Luft bei schönem Wetter."
Die meisten Betriebe entlöhnen
lid. Gerade bei jüngeren Pensionären sei die Bereitschaft oft gross, im Weinbau für wenig Geld oder lediglich ein Mittagessen oder ein paar Flaschen Wein mitzuhelfen, sagt Robin Haug, Geschäftsführer des Branchenverbandes Deutschschweizer Weine. Allerdings sei die Anzahl der Betriebe, die ihre Arbeiter für gutes Geld entschädigten klar gestiegen. "Der Anteil an Betrieben, die ihre Erntehelfer sehr gering oder nicht entschädigen ist klein, weshalb die Arbeit nur bedingt ehrenamtlich ist", sagt Haug.

Flexibilität im Weinberg ist Trumpf
Der Weinbau war und ist immer noch ein Geschäft mit erheblichen Risiken. "Heuer hatten wir generell ein sehr schwieriges Jahr. Wir hatten Frost im Frühjahr und mussten gegen den Befall mit Mehltau ankämpfen. Die Kirschessigfliege ist ebenfalls ein grosses Thema."
Ähnlich war es 2014 mit Mengenausfällen von bis zu einem Fünftel. Die schlechten Beeren mussten aus den Trauben herausgeschnitten werden. Allein mit diesem Arbeitsschritt schnellte die Anzahl Stunden im Weinberg auf das Doppelte hoch. "Wir waren am Anschlag. Unsere bewährten Helfer hielten uns zuliebe durch", erinnert sich Ehefrau Sandra Baumgartner, die sich im Betrieb ums Büro und ums Marketing kümmert.
In sehr guter Erinnerung bleibt die 2015er-Ernte, ein Jahrhundertjahrgang. Wunderschönes, gesundes Traubengut, geerntet bei prächtigstem Herbstwetter. Der heisse Sommer liess damals der Vermehrung der Kirschessigfliege keine Chance.
Mit dem Pinot-blanc-Bewuchs hier am Sandacher hatten die Baumgartners dieses Jahr Glück. "Wir haben den Weinberg aus einem Konkurs erworben und neu angepflanzt", so Lukas Baumgartner. Bis am Abend wird die Truppe fast 4 Tonnen Pinot-blanc-Trauben (Weissburgunder) geerntet haben.
Betriebsorganisatorisch macht der Einsatz von ad-hoc-Erntehelfern für den Familienbetrieb Sinn. Baumgartners Weinberge liegen in fünf Gemeinden, die mit diversen Traubensorten bestückt sind. "Wir ernten parzellenweise und planen die Einsätze je nach Reifegrad der Traubensorte flexibel: Wir bieten die Helfer je nach Wetterlage kurzfristig auf." Bis zu zwanzig Mal wird ausgerückt, verteilt über ca. 4-6 Wochen. Bei Regen wird der Einsatz auch abgeblasen. "Wir brauchen also sehr flexible Leute", sagt der Winzer.
Qualität vor Quantität
Was gilt es zu tun als Vorbereitung, wenn Laien ans Werk gehen? Baumgartners Kerntruppe besteht aus dem Senior Alois Baumgartner, einem Winzermeister und den zwei langjährigen Mitarbeitern aus Portugal sowie einem Lernenden. Diese instruieren die Freiwilligen jeweils zu Beginn des Einsatzes, wie mit den Werkzeugen umzugehen ist.
Wenn Trauben gesund sind, bereitet die Lese weniger Probleme als wenn gehäuft Schäden auftreten, da dann einzeln befallene Beeren entfernt werden müssen. "Das braucht Routine. Nicht jeder ist gleich behände, aber wir erwarten lieber sorgfältige Arbeit als ein Maximum an Menge pro Helfer", sagt der Chef. Neulinge werden Erfahrenen zugeteilt, die gemeinsam die Rebzeile abernten. Der Sanitätskasten mit Pflästerli, der vor der Saison aufgefüllt sein muss, ist zwar in der Nähe. Doch es passiere zum Glück selten etwas.
Unablässig werden Kisten geleert und neue Trauben geschnitten. Doch bald gibt es Kaffee und Kuchen, bevor die Weinlese fortgesetzt wird. Am Ende des Arbeitstages wird das von Grossmutter Margrit Baumgartner zubereitete Abendessen aufs Feld geliefert.
Der enge Kontakt zu Helfern und Kunden zieht sich wie ein roter Faden durchs ganze Jahr - vom Rebgötti-Event über den Kunden-Wümmet, den Fondueplausch zum Wümmetabschluss. Dazu Lukas Baumgartner: "Jeder im Verkauf weiss, es wird immer anspruchsvoller. Die Güte des Produkts muss stimmen. Aber auch sonst wollen wir uns unablässig von der Konkurrenz abheben."

Freiwillige Helfer entlasten Bergbauernfamilien
mw. Caritas-Bergeinsatz vermittelt jährlich zwischen 700 und 800 freiwillige Helferinnen und Helfer an Bergbauernfamilien, die in einer Notsituation sind. „Der Personenkreis ist durchmischt und reicht von Studenten, Ärztinnen, Handwerkern bis zu Rentnern”, sagt Franziska Bundi von Caritas-Bergeinsatz, einer Fachstelle von Caritas Schweiz. "Ihnen gemeinsam ist die Bereitschaft, sich auf etwas Neues einzulassen", so Bundi. Die Motive für einen Einsatz sind verschieden: Etwas Sinnvolles tun, mit den Händen arbeiten sowie Interesse an der Berglandwirtschaft sind laut Bundi die Gründe, warum sich die Freiwilligen eine oder mehrere Wochen engagieren. Im letzten Jahr erhielten 101 Bergbauernfamilien während 1'113 Wochen Unterstützung. Laut Caritas-Bergeinsatz gaben über 90 Prozent der Bauernfamilien in einer Umfrage an, dass die Freiwilligen sie in ihrem Alltag wirkungsvoll entlastet haben.