
Als 1990 das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) beschloss, zur Schonung der Böden Produktionsland zu reduzieren, war Ueli Freudiger aus dem Seeland einer der Ersten, der sich dieser Herausforderung stellte und verschiedene neue Optionen prüfte. Dabei stiess er auf Chinaschilf, lateinisch Miscanthus, und liess sich vom Potenzial dieser Pflanze begeistern. Seit mehr als 20 Jahren gilt er nun als Pionier, was Anbau und Verwertung betrifft. Zusammen mit der Interessensgemeinschaft Miscanthus Schweiz koordiniert er den Anbau, die Ernte und die Vermarktung des Rohstoffes.
Einsparmöglichkeit beim Erdöl
Chinaschilf ist ein ausdauerndes Gras, das ursprünglich aus Asien stammt. Die Pflanze ist biologisch abbaubar und widerstandsfähig. Hinsichtlich der Klimaneutralität verhält sie sich vorteilhaft, da sie pro Hektare 35 Tonnen CO2 bindet und Unternehmen die Möglichkeit bietet, CO2-Zertifikate zum CO2-Handel zu generieren. Bei sämtlichen Nutzungsformen zeigt sich, dass mit Miscanthus Erdöl gespart werden kann. Sei dies beim Baugewerbe mit nicht brennbarem Isolations- und Dämmmaterial, bei dem das pflanzliche Material den wichtigen Styroporbaustoff problemlos ersetzen könnte. Miscanthus könnte auch als Kunststoffersatz eingesetzt werden. Durch eine mechanisch-thermische Bearbeitung entsteht aus der Pflanze ein biologisch abbaubares Granulat, das spritz-, press- und gussfähig ist und sich für verschiedene Gegenstände eignen würde. Schliesslich lässt sich mit Miscanthus optimal heizen. In der Schweiz gibt es mehrere Fernheizanlagen, die mit den Pflanzenfasern betrieben werden und sehr gute Werte erreichen. Weit häufiger wird der vielseitige Stoff heute aber für Erdmischungen im Gartenbau beigemischt oder in der Landwirtschaft als Einstreu verwendet.
Niemand wartet auf Miscanthus
Wer mit Ueli Freudiger unterwegs ist und sich die verschiedenen Verwertungsmöglichkeiten der Wunderpflanze erklären lässt, bleibt etwas ratlos zurück. Auch wenn sich das SECO und die Berner Wirtschaft mit einigen Hunderttausend Franken an der Forschung beteiligt haben, schafft es Miscanthus nicht, die moderne Welt zu erobern. Sämtliche Nutzungsmöglichkeiten wurden in den vergangenen Jahren erprobt und werden heute im kleineren Rahmen auch angewendet. Doch der Durchbruch lässt auf allen Anwendungsgebieten auf sich warten. Genannt wird von allen Interviewpartnern der tiefe Erdölpreis. "Die Gesellschaft ist heute noch nicht angewiesen, nach Alternativen zu suchen", sagt Thomas Anken, der sich bei der Forschungsanstalt Agroscope mit Agrartechnik und Energie befasst. Auch Patrik Strazzer, Geschäftsinhaber der Firma Nimoulda, Werkzeug- und Formenbau in Täuffelen, erklärt, dass nur ungefähr drei Prozent seiner Kunden interessiert seien, gewisse Werkzeugsteile aus Kunststoff, welcher mit Naturfasern angereichert sind, zu verwenden. Als möglichen Grund nennt er Geruchsemissionen, die auftreten können, wenn die Naturfasern bei hohen Temperaturen beschädigt werden.
Markterfolg ist ungewiss
Thomas Anken ist überzeugt, dass Chinaschilf als Brennstoff einen wertvollen Beitrag zur zukünftigen Energieversorgung der Schweiz leisten könnte. Die Pilotanlage zeige, dass etwa sechs Tonnen Heizöläquivalent pro Hektare zu etwa 3,8 Rappen pro Kilowattstunde gewonnen werden. Seine Berechnungen zeigen, dass sich bei einer konservativ angenommenen Anbaufläche von 50'000 Hektaren Miscanthus, ungefähr 300'000 Tonnen Heizöl sparen liessen.
Auch Ueli Freudiger beheizt mit ungefähr 25 Tonnen seine eigenen Gebäulichkeiten, eine Aldi-Filiale und eine angrenzende Fabrik mit Miscanthus. Eine Handvoll andere Heizanlagen seien ebenfalls in Betrieb.
Patrik Strazzer verarbeitet zwischen 100 bis 200 Kilogramm Miscanthusfasern im Jahr für Werkzeugteile. Strazzer ist überzeugt, dass sich der Markt in Zukunft öffnen wird. Ganz anderer Meinung ist der Verband Swiss Plastics. Die Kunststoffindustrie benötige nur ungefähr vier Prozent der weltweiten Erdölfördermenge, deshalb suche man nicht nach Alternativen, sagt Urs F. Meyer, Geschäftsführer von Swiss Plastics.
Erfolge in der Baubranche
Hingegen unternimmt die Firma nawarRo AG aus Gurmels alles, um die Produktion mit Miscanthus im Baugewerbe zur Marktreife zu führen. Geschäftsführer Roland Auderset schildert die Vielzahl von Anwendungsmöglichkeiten, in welchen die Miscanthusfasern in verschiedenen Formen mineralisiert werden. Sei dies für die vorgefertigten Holz-Fachwerkkonstruktionen, für das Isolieren, für tragende Mauerwerksteine, Lärmschutzwände, Oberflächengestaltungen. "Die guten thermischen Eigenschaften, die 100-prozentige Abbaubarkeit und die Feuerresistenz bieten dem Baugewerbe grosse Entwicklungsmöglichkeiten", ist Auderset überzeugt. So sind im Berner Seeland bereits drei Wohnhäuser, eine Garage, ein Melkstand, ein Büroanbau und ein Bio-Schweinestall mit Miscanthus neu gebaut worden.
Keine Direktzahlungen mehr
Vor zehn Jahren gabe es noch 120 Produzenten, die auf 260 Hektaren Miscanthus anpflanzte. Heute sind es noch ungefähr 80 Produzenten mit 230 Hektaren und 3'400 Tonnen Erntemenge.
Bis zur Agrarpolitik 14-17 haben die Produzenten pro Hektare 1'400 Franken Direktzahlungen erhalten. Dann wurden diese Zahlungen gestrichen. Deshalb hört Ueli Freudiger immer öfters, dass sich Landwirte von Miscanthus verabschieden möchten.
Francis Egger vom Schweizer Bauernverband sagt dazu: "Die Agrarpolitik hat sich auf die Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln konzentriert und deshalb die Unterstützung für die Produktion von erneuerbaren Energien gestrichen." Die Möglichkeit, mit der AP 17-21 etwas zu ändern sieht Egger nicht, weil der Anbau von Miscanthus sehr marginal bleiben werde und die Politik die Stärkung der Produktion von einheimischen Lebensmitteln stärker gewichte.
Ueli Freudiger ist enttäuscht über diese Entwicklung und will die Miscanthus-Geschichte nicht einfach sang- und klanglos versickern lassen. "Wir bleiben am Ball und wollen alles unternehmen, dass dem Miscanthus die Ehre zukommt, die ihm gebührt." Zumindest hoffe er, dass die zukünftigen Kinder schon bald mit Miscanthus angereicherten Legosteinen spielen dürfen. Die Anfrage an den weltweit tätigen Spielzeughersteller Lego in Dänemark, der täglich 17 Tonnen Erdöl brauche, um Legosteine herzustellen, sei bereits erfolgt.
Miscanthus - Chinaschilf
Die Kultur wird mittels Rhizomen im Frühjahr angepflanzt. Der Standort sollte so gewählt werden, dass die Pflanzen über mehrere Jahre gut gedeihen können. Auf eine Hektare braucht es ungefähr 10 000 Pflanzen. Ab zwei Hektaren reduzieren sich die Erntekosten erheblich. Geeignet sind mittelschwere bis schwere, tiefgründige Böden. Im ersten Jahr braucht es eine Unkrautbekämpfung, später ist diese nicht mehr nötig. Die Kultur muss nicht gedüngt werden. Krankheiten oder Schädlinge sind keine bekannt. Die Ernte findet im Februar/März statt, der Wassergehalt sollte zwischen 10 bis 20 Prozent sein. Ab dem dritten Jahr kann bei einem durchschnittlichen Wassergehalt von 14 Prozent wird mit einer Ernte von 19 000 Kilogramm gerechnet.

