Wer denkt bei der Arbeit im Stall schon daran, seine Kühe mit Streicheleinheiten zu verwöhnen oder seinen Schweinen mit ein paar Leckerlis Aufmerksamkeit zu schenken. Das sei viel zu zeitaufwendig und bringe nichts, sagen die einen. Produktion und Rationalisierung seien viel wichtiger, betonen die anderen.
Von solchen Vorstellungen hält der Landwirt Reto Bodenmann vom Hof Giren in Flawil SG gar nichts. Denn kaum hat er seinen Laufstall mit Bürste und Striegel betreten, ist er umringt von Kühen. Die einen beschnuppern oder stupsen ihn, andere recken auffordernd ihre Köpfe. Gerne kommt Bodenmann dieser Aufforderung nach. Er nennt jedes Tier beim Namen, nimmt Kontakt mit ihnen auf und striegelt sowie bürstet eines nach dem anderen ausgiebig. Die Kühe geniessen diese Streicheleinheiten sichtlich und können kaum genug bekommen. Der Landwirt strahlt und fühlt sich rundum wohl. Die Wellness-Zeit geht auch weiter, als Bodenmann den Stall längst verlassen hat. Fast zärtlich lecken sich einige Kühe gegenseitig.
Langlebige Kühe
Schon 2006 beim Bau des neuen Laufstalles hatte Reto Bodenmann das Wohl der Tiere im Fokus. Er investierte deshalb mehr als nötig gewesen wäre, zum Beispiel mit Gummimatten in den Gängen. Der Stall ist für seine Lage auf 700 Metern über Meer sehr offen gebaut. Zusätzlich hat der Bauer zwei Ventilatoren installiert, damit die Kühe wirklich genug Luft bekommen. Bodenmann stellt fest, dass seine Tiere gesünder sind als früher, vor allem am Sprunggelenk. "Die Eutergesundheit hat sich verbessert", sagt er. "Zitzenverletzungen und Probleme bei der Geburt sind verschwunden. Die Kühe sind langlebiger." Bereits zwei Kühe gaben mehr als 100'000 kg Milch. "Wenn es den Tieren wohl ist, so ist es auch mir wohl", sagt er aus Überzeugung. "Diese Art der Beziehung zu ihnen macht mir grosse Freude. Was mich zusätzlich freut ist, dass diese Massnahmen den Tagesablauf nicht behindern."
Gute Mensch-Tier-Beziehung zahlt sich aus
Ob durch sein Verhalten die Milchleistung gestiegen ist, kann Reto Bodenmann nicht sagen. Er kämpft nach wie vor gegen Kriechströme, welche die Milchleistung bisher minderten. Auch sonst kann er nicht genau beziffern, welche Auswirkungen seine Massnahmen haben. Diese Aufgabe übernahmen das Bundesamt für Veterinärwesen und Agroscope Reckenholz-Tänikon mit einer Studie, in der die gute Mensch-Tier-Beziehung untersucht wurde. Die Resultate sind noch nicht abschliessend, weil die Studie noch bis nächstes Jahr läuft. Doch eines scheint schon klar zu sein. "Ein aktiver, für das Tier vorhersehbarer und entspannter Kontakt mit dem Menschen hat offensichtlich eine hohe wirtschaftliche Relevanz", sagt Projektleiterin Tanja Kutzer.
Leckerli für Kälber
In der Studienanlage wurden auf durchschnittlich geführten Milchvieh- und Zuchtschweinebetrieben Gruppen von Jungtieren einem speziellen Handling unterzogen (Bürsten, Streicheln, Füttern von "Leckerlis" bei Kälbern, Rindern, Ferkeln und Jungsauen), an die Abkalbe- respektive Abferkelbucht angewöhnt, ein Training der Melkroutine oder das Treiben von Jungsauen durchgeführt. Die Jungtiere wurden mit solchen von Referenzbetrieben verglichen, die keine spezielle Behandlung erfahren haben. Der Zeitbedarf für diese Massnahmen wurde durch eine exakte Zeiterfassung ermittelt. Die Arbeitsleistung des Landwirtes wurde mit 28 Franken pro Stunde verrechnet.
Ausgaben für Medikamente sinken
Die Projektgruppe hat eine ganze Reihe von Auswirkungen festgestellt. "Beispielsweise könnten die Nutzungsdauer erhöht oder die Remontierungsrate gesenkt werden", erklärt Tanja Kutzer. "Die Tierarzt- und Medikamentenkosten können sich verringern. Die Fruchtbarkeit verbessert sich unter Umständen. Dadurch sinken die Besamungskosten." Zu den indirekten Auswirkungen zählt sie die höhere und deshalb günstigere Altersstruktur innerhalb der Herde, weil die Gesundheit der Tiere steigt. Durch die tiefe Remontierungsrate stehen mehr Kühe zur Verfügung.
Erstaunliche Resultate
Im zeitlichen Bereich haben die Messungen der durchgeführten Massnahmen im Projekt ergeben, dass die zusätzliche Arbeitszeit beim Kälber- und Rinderhandling bei rund 40 Minuten pro Kuh und Jahr liegt. Um diesen Aufwand zu kompensieren, müsste die Milchleistung pro Kuh und Jahr um 15 Kilo steigen. Einkommensgleichheit ergibt sich auch bei einer Senkung der Remontierungsrate von 33 auf 30 Prozent oder einer Reduktion der Tierarzt-/Besamungskosten um neun Franken je Kuh.
Bei den Schweinen werden 13 Minuten pro Sau und Jahr verrechnet. Bereits bei 10,23 anstatt 10,2 Ferkeln je Wurf oder bei 2,29 anstatt 2,27 Umtrieben wären die zusätzlichen Arbeitskosten gedeckt. "Es lässt sich also folgern, dass eine vermehrte Investition in die Mensch-Tier-Beziehung mit grösster Wahrscheinlichkeit lohnenswert ist", betont die Projektleitern. "Sicher ist, dass viele Arbeiten leichter gehen und die Arbeitszufriedenheit zunimmt."
