Als Susanne Ming und ihr Mann Alois auf ihrem Bauernbetrieb in Lungern OW die Stalltüre für die Gäste öffneten, erhielten sie die Buchungsanfragen per Post zugeschickt. Seit 1993 bieten sie Übernachtungen im Stroh und Zimmer mit Frühstück an. "Die Gäste haben uns damals einen handgeschriebenen Brief geschrieben, um auf unserem Betrieb Ferien zu buchen", sagt die 60-jährige Bäuerin. Die Gäste hätten früher mit der Ferienplanung begonnen; und sie seien auch länger geblieben – "manchmal zwei bis drei Wochen", wie Susanne Ming erzählt. Heute, 20 Jahre später, geht nichts mehr ohne Internetauftritt und Email. Susanne Ming und ihr Mann – die den Betrieb mittlerweile an ihren Sohn und seine Frau übergeben haben – präsentieren ihre Strohbetten im Internet. Auch Familie Spichtig aus dem Nachbardorf Kerns tut es auf diese Weise. "Viele Gäste finden uns über Google", sagt Edith Spichtig. Zusammen mit ihrem Mann Hansueli und den Schwiegereltern Lisbeth und Toni bewirtschaftet sie den Betrieb.
Schweizer Bauern woher – wohin?
Seit 75 Jahren schlägt der LID Brücken zwischen Stadt und Land. In einer Artikelserie mit Bauern verschiedener Generationen sucht der LID 2012 Perspektiven für die Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft.
Susanne Ming ist bei ihrem Sohn angestellt, sie und ihr Mann helfen auf ihrem Hof in Lungern ebenfalls tatkräftig mit. Ohne Schwiegereltern würde es gar nicht funktionieren, sagt die 32-jährige Edith Spichtig. "Es braucht beide Generationen. Meistens sind wir Freitag bis Sonntag voll ausgebucht." Nicht nur im Stroh schlafen können Gäste auf den beiden Betrieben in Obwalden. Bei Mings gibt es neben Schlaf im Stroh und Bed and Breakfast auch Alphüttenferien und Käsedegustationen, und Spichtigs bieten für Gruppenanlässe und Familienfeste verschiedene Menüs und Spiele an. Daneben geben sie Schulklassen Unterricht und erklären ihnen, woher die Milch kommt und wie Süssmost gepresst wird.
Eingestreut und "nichtsahnend gestartet"
Neben den täglichen Arbeiten auf dem Bauernhof ein touristisches Standbein aufzubauen, braucht viel Zeit. Susanne und Alois Ming sprangen in den Neunzigerjahren wohl oder übel ins kalte Wasser. Ihre Familie habe sich nach einem Zusatzerwerb umgesehen, sagt Susanne Ming. Die Bauernfamilie baute damals den Stall um. Im Sommer, wenn die Kühe auf die Alp gehen, steht der Stall leer. Sie habe in der Zeitung erstmals vom Schlafen im Stroh gelesen, erzählt Ming. "Dann haben wir für die Gäste im Stall eingestreut, Tischgarnituren vom Nachbarn ausgeliehen und sind nichtsahnend gestartet." Viele hätten ihre etwas ungewöhnliche Übernachtungsmöglichkeit zuerst belächelt, sagt die Bäuerin rückblickend. Doch bereits im ersten Sommer wurden sie von Anfragen und vom Medienecho übermannt. "Die Schweizer Illustrierte wollte uns im Blatt haben, die Tageszeitungen interessierten sich für uns und wir erhielten unzählige Telefonanrufe."
Mehr Auflagen als früher
Nachdem Mings für ihr Bettenangebot im Stroh an der Strasse eine Werbetafel aufgestellt hatten, war auch schon die erste Klage da: Die Bewilligung für die Tafel fehlte. Susanne Ming besorgte diese nachträglich, gültig ist sie noch heute. Gesetzliche Auflagen für Agrotourismus gab es damals noch kaum. Die Richtlinien kamen erst mit den gemachten Erfahrungen auf den Bauernbetrieben. Heutzutage ist vieles amtlich geregelt: Von der Selbstkontrolle bei der Gästebewirtung über die Brandschutzbewilligung bis zum Unfallschutz bei Beherbergung von Gästen in der Landwirtschaft. Spichtigs, die ihre Gäste auf Anfrage bewirten, brauchen dafür eine so genannte Gelegenheits-Wirtschafts-Bewilligung. Beide Frauen sind sich einig, dass es Vorschriften braucht. Dies sei auch gegenüber den Gastronomen wichtig. Aber Edith Spichtig findet, dass die Auflagen zu stur ausgelegt würden. "Wenn wir etwas verändern oder ausbauen wollen, bekommen wir oftmals zuerst einmal ein ‚Nein' zu hören." Auch Susanne Ming hat Erfahrungen mit negativen Rückmeldungen. Als Präsidentin der nationalen Dachorganisation "schlaf im Stroh!" bekommt sie oftmals von ihren Mitgliedern zu hören, dass sie wegen gesetzlichen Auflagen nicht ausbauen können. "Ich wünsche mir von den Behörden, dass sie sich erst mal ein Bild vom einzelnen Betrieb machen und dann entscheiden." Vielmals hätten die Behörden nämlich einen gewissen Handlungsspielraum.
Mehr Gehör verschaffen
Derzeit haben agrotouristische Angebote wie "schlaf im Stroh!", "Ferien auf dem Bauernhof" oder Gästebewirtung nicht gross Platz in der agrarpolitischen Diskussion. "In der Botschaft zur Agrarpolitik 2014 bis 2017 ist genau ein Satz zum Thema drin", sagt Susanne Ming. Sie hofft, dass in Zukunft die Politiker den Agrotourismus stärker wahrnehmen. Auch Edith Spichtig wünscht sich mehr Verständnis für agrotouristische Angebote. "Es heisst immer, wir Bauern sollen innovativer werden. Aber dann scheitert es an gesetzlichen Auflagen."
Der Grundstein, dass agrotouristische Angebote in der Öffentlichkeit künftig mehr Gehör erhalten, ist gelegt. Die drei Vereine "Ferien auf dem Bauernhof", "schlaf im Stroh!" und "Tourisme rural" haben mit der Unterstützung des Bundesamtes für Landwirtschaft und des Schweizerischen Bauernverbandes die Dachorganisation Agrotourismus Schweiz gegründet. Die Organisation soll agrotouristische Angebote politisch und marketingmässig weiterbringen. "Nur so haben wir ein Gewicht", ist sich Ming sicher. Es nütze nichts, wenn jeder Verein nur für seine Anliegen kämpfe.
Sowohl für Susanne Ming wie auch Edith Spichtig ist der agrotouristische Bereich zukunftsträchtig. "Aber nicht jeder Landwirt ist ein Gastwirt", meint Susanne Ming. Edith Spichtig glaubt, dass die guten Betriebe auch in Zukunft Gäste anziehen, andere aber ausgesondert würden. Die Zukunft ihres Bauernhofes in Kerns sieht sie jedenfalls im Agrotourismus. Spichtigs haben viel Land gepachtet. "Wie es mit der Milchwirtschaft auf unserem Hof weitergeht, wird früher oder später zu einem grossen Thema." Der Gästebewirtung will die junge Bäuerin treu bleiben. "Der Kontakt mit den Leuten gefällt mir sehr." Und obwohl ihre beiden Kinder nicht immer im Mittelpunkt sind – bei der Arbeit auf dem Betrieb sei zumindest die ganze Familie beieinander. Auf die Frage, ob sie noch einmal von vorne beginnen würde, wenn sie die Wahl hätte, ist auch Susanne Mings Antwort klar ein "Ja". Gerade an diesem Morgen hat sie Kanadiern, Deutschen und einer Familie aus der Schweiz das Zmorge serviert. Sie könne viele Sprachen gebrauchen, schwärmt sie. Und sie hat Gäste im Haus, mit denen sie sonst nie in Kontakt gekommen wäre: Vom Pfarrer über Ärzte zu frisch verliebten Paaren. Diesen Sommer werden es Mings oftmals mit Asiaten zu tun haben, denn bei Asiaten sind Übernachtungen im Stroh derzeit besonders im Trend.


