"Wenn die Welt mit einer wachsenden Bevölkerung und dem Klimawandel klarkommen will, wenn soziale Revolten und ein ökologischer Kollaps verhindert werden sollen, dann wird sich die moderne Landwirtschaft radikal ändern müssen. Business as usual ist keine Option mehr." Zu diesem Schluss kommt der Weltlandwirtschaftsrat in seinem Schlussbericht, der am 15. April in Paris vorgestellt wurde. An dem Bericht "International Assessment of Agricultural Science and Technology for Development" (IAASTD) arbeiteten 400 Forscher aus 60 Ländern mit (siehe Kasten). Leiter des Projekts ist der britische Umweltexperte Robert Watson, der früher beim Weltklimarat mitwirkte und früher auch schon als Umweltexperte im Weissen Haus gearbeitet hatte. Verabschiedet wurde der Bericht von 54 Staaten am 12. April in Johannesburg. Die Mehrheit dieser Staaten sind Entwicklungs- und Schwellenländer. Die einzigen Industriestaaten, die den Bericht ohne Vorbehalte guthiessen, waren Frankreich, Irland, Schweden und Finnland.
Einseitiger Fortschritt
An der heutigen Situation kritisieren die Autoren vor allem, dass die agronomische Forschung sich nur auf die Produktivität konzentriere. Mit diesem Weg, der zu Monokulturen mit viel Pflanzenschutzmittel- und Kapitaleinsatz führe, habe zwar die Landwirtschaft in den Industrieländern und in den Schwellenländern ihre Produktivität stark gesteigert. Die Kleinbauern in vielen Entwicklungsländer seien von dieser Entwicklung aber abgekoppelt.
"Die ärmsten Entwicklungsländer sind auch die Verlierer weiterer Handelsliberalisierungen", sagte IAASTD-Direktor Wilson in Paris. Nötig sei deshalb die weltweite Umstellung auf eine multifunktionale Landwirtschaft, die den Erhalt der natürlichen Ressourcen Wasser, Boden Wälder und Artenvielfalt ins Zentrum stelle. Damit unterstützt der Rat das schweizerische Konzept der Multifunktionalität, das innerhalb der WTO von den Agrarexportländern immer wieder angegriffen und als blosses Handelshemmnis qualifiziert wird.
Kritik an der Weltbank
Die Position des IAASTD steht damit in klarem Gegensatz zur Weltbank, die im letzten Jahr einen Weltentwicklungsbericht mit dem Schwerpunkt Landwirtschaft publizierte. Die Weltbank empfahl in ihrem Bericht eine Steigerung der Produktivität und die Anbindung an die Weltmärkte als Rezept. Genau das sei falsch, meint der Weltlandwirtschaftsrat. Die Öffnung der Grenzen in den Entwicklungsländern dürfe erst erfolgen, wenn grundlegende Institutionen und Infrastrukturen etabliert seien. Sonst werde die Landwirtschaft gefährdet, mit negativen Folgen auf den Wohlstand, Ernährungssicherheit und Ökologie.
Die Autoren betonen, dass Landwirtschaft nicht nur Nahrungsmittelproduktion sei, sondern immer auch einen Bezug zu sozialen und kulturellen Aspekten habe. Deshalb sei es auch wichtig, dass die Forscher die jeweiligen lokalen Gegebenheiten berücksichtigen und mit den Bauern zusammen Lösungen erarbeiten würden. Nur so liessen sich ökologisch stabile Anbausysteme, neue Geräte, neue Methoden der Produktion und der Vermarktung erarbeiten. Wenig erfolgreich sei hingegen das Konzept von Syngenta & Co., mit Saatgut, Dünger und Pflanzenschutzmitteln teure technische Standardlösungen zu bieten.
Im Schlussbericht empfiehlt der Weltlandwirtschaftrat den Agronomen in aller Welt, den Fokus vermehrt auf die Trockengebiete, Fischereiregionen und auf die Berg- und Küstengebiete zu legen, sowie sich vermehrt mit lokalen Nutzpflanzen und Tierrassen zu befassen. Ebenfalls wichtig sei die Erforschung von klimatischen Veränderungen. Ferner müssten in den ländlichen Regionen soziale und wirtschaftliche Sicherheitsnetze für die Bevölkerung aufgebaut und Arbeitsplätze auch ausserhalb der Landwirtschaft angeboten werden. Und schliesslich sei es entscheidend, dass die finanziellen und institutionellen Voraussetzungen geschaffen würden, um lokale und regionale Probleme mit der Wasserversorgung und der Bodenqualität anzupacken.
Pendant zum Weltklimaratwy. Der Weltlandwirtschaftsrat (IAASTD) wurde 2002 auf dem Entwicklungsgipfel in Johannesburg gegründet. Sein Ziel ist es, globale Lösungen gegen den Hunger zu entwickeln. 400 Mitarbeiter, darunter auch bäuerliche Vertreter, werteten für das Projekt Forschungsergebnisse und Erfahrungen aus. Der IAASTD ist ein Pendant zum Weltklimarat, der im letzten November mit seinem Schlussbericht weltweit Aufsehen erregte, und wird von der Weltbank, der UNO und der EU gefördert. |
Streitpunkt Gentechnik
Die Schlussfolgerungen des Weltlandwirtschaftsrates sind umstritten. Die USA und China hielten das Kapitel über Gentechnik für einseitig, die USA waren gemeinsam mit Kanada und Australien auch mit der Kritik an zu raschen Marktöffnungen nicht einverstanden.
Vor allem das Thema Gentechnik sorgte im Weltlandwirtschaftsrat für böses Blut. Eigentlich hatte der Rat das Ziel, die Grabenkämpfe zu diesem heiklen Thema durch eine umfassende Bewertung der vorhandenen Studien zu beenden. Das ist nicht gelungen, zu kontrovers ist das Thema immer noch. Der IAASTD schliesst in seiner Stellungnahme zwar die Gentechnik als eine Möglichkeit zur Problemlösung nicht aus, betonte aber, ihr Stellenwert bei der konkreten Lösung des Hungerproblems sei gering. Die Gentechnik berge ferner unbekannte Risiken und benötige hohe Investitionen, auf die man bei lokal angepasster Forschung verzichten könne. Für die Agrochemiefirmen Syngenta und Monsanto und BASF war dies Anfang Jahr der Anlass, um aus dem Weltlandwirtschaftsrat auszusteigen. Der Schlussbericht enthalte "Fehlinformationen", war die offizielle Begründung.
Weitere Informationen:
www.agassessment.org
www.worldbank.org/wdr2008
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