Auf dem Hof von Reto Grossenbacher im luzernischen Reidermoos sieht es aus wie auf jedem normalen Bauernbetrieb. Nichts deutet darauf hin, dass Grossenbacher nicht nur Milch, sondern auch Strom produziert. Erst wenn man hinter den Kuhstall geht, sieht man das schwarze kuppelförmige Dach, unter dem sich eine Biogasanlage verbirgt. Grossenbacher ist längst nicht mehr nur Landwirt, sondern durch und durch Unternehmer. Mit viel Initiative und Know-how betreibt er seit drei Jahren neben seinem Landwirtschaftsbetrieb eine Biogasanlage. "Ich habe die erste Anlage der Schweiz gebaut, die nicht nur Biogas produziert, sondern auch Kompost", sagt er. Er vergärt mit seiner Anlage jährlich 3‘500 Kubikmeter Rohmaterial, das Blockheizkraftwerk, in dem das Biogas verbrannt wird, weist eine Leistung von 75 Kilowatt auf. Höchstens ein Drittel davon braucht er selbst, der Rest geht ins Netz. Zudem stellt er die komplette Grüngutentsorgung von drei Gemeinden sicher. Zu diesem Zweck erweiterte er seine Biogasanlage mit einer Kompostierung. Dabei werden die Feststoffe nach der Vergärung abgetrennt und getrocknet. Es entsteht so hochwertige Komposterde.
Grosses Potenzial liegt brach
Das Potenzial von Biogas ist gross, und weit mehr als die bestehenden 70 Biogasanlagen auf den Schweizer Landwirtschaftsbetrieben wären ohne weiteres realisierbar. Im Jahr 2001 produzierten alle landwirtschaftlichen Anlagen zusammen 3,8 Gigawattstunden Strom, womit etwa 1‘100 Haushalte beliefert werden können. Schweizweit könnten etwa 1‘200 Betriebe mit mehr als 50 Grossvieheinheiten (GVE) auf Biogas umstellen. Eine Biogasanlage rentiert erst ab dieser Grösse.
Biogas liegt im Trend, denn der Verbrauch erneuerbarer Energien nimmt weiter zu. Zwischen 1990 und 1998 stieg er um 12,5 Prozent. Der Anteil am Gesamtverbrauch beträgt mittlerweile über 15 Prozent. Allerdings stammen nur zwei Prozent der erneuerbaren Energie aus Abfall, Biomasse, Photovoltaik und Wind, der Rest aus Wasserkraft. Bei der Wärmeproduktion hält Biogas bisher nur einen Anteil von 0,2 Prozent am schweizerischen Energieverbrauch. Aber Biomasse gibt es genug: Würde man die gesamte in der Schweiz anfallende Biomasse vergären, könnte man Strom für 40‘000 Haushalte und Wärme für 22‘000 Haushalte oder Treibstoff für eine Milliarde Autokilometer gewinnen.
Neue Anlagen sind rentabler
Biogasanlagen lohnen sich, allen Unkenrufen zum Trotz, und werden technisch ständig weiter entwickelt. Die technischen Verbesserungen haben auch dazu geführt, dass die Anzahl der landwirtschaftlichen Anlagen seit 1998 wieder ansteigt. Vor allem die Kompaktanlagen, die einen besseren Wirkungsgrad haben und weniger Platz benötigen, haben dem Markt einen Schub gegeben. Kompakt heisst, dass der Gasspeicher, sichtbar als schwarze Kuppel, auf dem Betriebsgebäude sitzt. Ausserdem sind die neuen Anlagen um mindestens 30 Prozent billiger als früher. Die neuen Zündstrahl-Motoren ermöglichen ferner eine um 30 Prozent höhere Stromausbeute.
Eine Biogasanlage sollte auf eine elektrische Leistung von mindestens 40 Kilowatt ausgelegt sein und im Minimum 300 Kubikmeter Biogas täglich produzieren, um rentabel zu sein. Eine 55-Kilowatt-Anlage kostet rund 220‘000 Franken. Diese Investition ist bei heutigen Preisen in 10 bis 15 Jahren durch den Stromverkauf, den Erlös für die Abfallentsorgung und die Einsparungen von Heiz- und Stromkosten auf dem eigenen Hof amortisiert. Der Strom kann als Ökostrom vermarktet werden, den diverse Elektrizitätswerke zu höheren Preisen abkaufen. Ein Abnahmepreis von 15 Rappen pro Kilowattstunde wird garantiert.
In Zukunft könnte die Biogasproduktion noch interessanter werden. "Wenn man das Gas als ‚green gas‘ ins Gasnetz einspeisen könnte, wäre eine Biogasanlage für gewisse Betriebe finanziell noch lohnender, denn dann braucht es kein Blockheizkraftwerk. Das Blockheizkraftwerk macht rund ein Drittel der Baukosten aus", sagt Urs Meier von Meritec, einer Firma für Abwasserreinigung. Einzige Bedingung: Der Biogasanbieter müsste dann in der Nähe eines bereits bestehenden Gasnetzes wohnen. Aber dennoch ist es nach Ansicht von Urs Meier durchaus möglich, dass die direkte Nutzung des Biogases ein "neues Erwachen" der Biogas-Szene bewirken könnte.
Auch Hans Christian Angele von der Informationsstelle Biomasse in Zollikon sieht im Moment grosse Marktchancen für Biogas: "Die Erdgasindustrie setzt stark auf Biogas als Treibstoff." Migros macht es vor: Acht Gas-Lastwagen der Migros Zürich fahren mittlerweile mit Biogas. Auch bieten immer mehr Fahrzeughersteller gasbetriebene Fahrzeuge an. Das Problem ist aber, dass es in der Schweiz noch kein flächendeckendes Gastankstellennetz gibt. Andererseits gibt es bivalente Fahrzeuge, die mit Benzin oder Gas fahren.
Wie entsteht Biogas?
lis. Biogas ist Methan und entsteht bei der Vergärung von organischer Substanz in mehreren Stufen. Als Biomasse eignen sich Abfälle wie Mist und Gülle, Grünabfälle oder Abfälle aus Küchen und aus der Gemüseproduktion oder Pflanzen, die eigens für Energiezwecke angepflanzt werden wie Chinaschilf.
Der Kreislauf beginnt in der Vorgrube, in der die Gülle mit den übrigen Grünabfällen vermischt wird. Vergärt wird das Ganze in einem so genannten Fermenter. Das entstandene Biogas wird gereinigt, in einem Gasspeicher aus dehnbarem Kunststoff zwischengelagert und gelangt dann in das Blockheizkraftwerk. Dort wird es in Strom und Wärme umgewandelt. Biogas wird auch zum Antrieb von Motoren genutzt und kann ins Gasnetz eingespeist werden.
Im Vergleich zu anderen erneuerbaren Energien ist Energie aus Biogas kostengünstig. Sie ist CO2-neutral und hat einen hohen energetischen Nutzungsgrad.
Andere Abfälle mitvergären
Landwirtschaftsbetriebe, welche die für eine rentable Biogasproduktion erforderliche Grösse von 50 Grossvieheinheiten nicht erreichen, können sich mit anderen zusammentun, indem ein Betrieb die Hofabfälle von anderen verarbeitet. Auch Grossenbachers Milchwirtschaftsbetrieb alleine ist zu klein, als dass die Biogasanlage rentabel wäre. "Wir verwerten Hofabfälle von drei bis vier Höfen und verwenden noch Grünabfälle von drei Gemeinden", sagt er. Eine Kompakt-Biogasanlage läuft auch erst dann wirtschaftlich, wenn neben der hofeigenen Gülle andere Substrate mitvergärt werden. Das können neben Grünabfällen auch Speiseabfälle von Restaurants oder Hotels sein. Auch gemischte organische Abfälle wie nicht verwendete Silage oder Klee, Maisstroh oder Molke etc. können der Gülle zugegeben werden. Das lohnt sich auch finanziell, denn die Entsorgungsgebühren kassiert der Landwirt.
Reto Grossenbacher braucht nicht nur ein Drittel des produzierten Stromes selbst, auch die anfallende Wärme nutzt er auf seinem Hof, nämlich für die Komposttrocknungsanlage. Ein weiterer positiver Nebeneffekt ist für ihn, dass die bearbeitete Gülle eine bessere Qualität hat als Rohgülle. Sie ist weniger aggressiv und dringt besser in den Boden ein. "Allerdings muss man darauf achten, dass man kein Überdüngungsproblem bekommt, denn die Zufuhr von anderen Substraten belastet die Nährstoffbilanz", warnt Meier. Kompostieren oder Abnahmeverträge werden dann nötig.
Biogas macht einen grossen Teil von Grossenbachers Arbeit aus. Die Grüngutsortierung und die Betreuung der Biogasanlage ergeben ein Arbeitspensum von fast 40 Prozent. Daneben berät er Landwirte aus diversen Regionen der Schweiz, die auch in das Geschäft mit der Biogasproduktion einsteigen wollen. "Der wichtigste Punkt bei einer Biogasanlage ist, dass man diese mit der gleichen Sorgfalt betreiben muss wie einen anderen Betriebszweig auch," sagt Grossenbacher. Es reiche nicht aus, eine Anlage zu erstellen und dann zu meinen, sie laufe dann einfach so. Täglich ein bis zwei Stunden müssen man für die Betreuung schon aufwenden. Risikobereitschaft, unternehmerisches Denken und ein gute Portion Eigeninitiative sind wichtige Voraussetzungen für Landwirte, die sich für diese Art der Energieproduktion entscheiden.
Biogas im Clinch mit der Raumplanung
Aber nicht nur mangelnde Inititative hindert viele Landwirte daran, sich ernsthaft mit der Biogasproduktion auseinanderzusetzen. Auch die Rahmenbedingungen sind in vielen Fällen schwierig. Grossenbacher bereitete das neue Raumplanungsgesetz Probleme. Angele von der Informationsstelle Biomasse sagt dazu: "Beim Bund gibt es kein einheitliches Vorgehen. Das Bundesamt für Energie puscht Biogas, aber das Bundesamt für Raumentwicklung und einige Kantone bremsen." Die Kantone sind zuständig für die Bewilligung von Biogasanlagen. Manche sind liberal bei der Umsetzung des Raumplanungsgesetzes, andere hingegen restriktiv. Der Landwirt wird zum Abfallentsorger, wenn er Grüngut verarbeitet. Damit kommt er unter Umständen in Konflikt mit der Landwirtschaftszone. Das Bundesamt für Energie arbeitet daran, dass sich die Rahmenbedingungen verbessern. Aber auch der Interessenverband ist aktiv: "Die Informationsstelle möchte dieses Jahr eine breite Koalition erreichen, die sich für eine einheitliche liberale Auslegung des Gesetzestextes einsetzt", sagt Angele.
Ein weiteres Problem ist, dass fossile Energieträger nach wie vor zu billig sind. Eine Rückzahldauer von mehr als zehn Jahren wirkt für viele Landwirte ebenfalls als Hemmschuh, denn für die meisten müssen Investitionen rasch rentieren. Allerdings könnte die Biogasproduktion neben vielen anderen Innovationen in der Landwirtschaft, wie Kürbisanbau im grossen Stil, Bioproduktion, Büffel- oder Hirschzucht eine weitere Möglichkeit darstellen, sich unabhängiger zu machen von Milchverwertern und Grossverteilern.
Weitere Informationen zum Thema: www.biomasseenergie.ch
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