Es sorgte für einen heissen Sommer, das Strategiepapier zur Weiterentwicklung der Agrarpolitik "Horizont 2010", welches das Bundesamt für Landwirtschaft im Juli 2000 vorstellte. Der Bauernverband lehnte die Überlegungen und Strategien für die Zeit bis 2011 vehement ab und als das Bundesamt im Sommer darauf seinen 5-Punkte-Plan präsentierte, schien "Horizont 2010" vom Tisch.
Mit den Vorschlägen des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartementes (EVD) für den weiteren Umbau der Agrarpolitik, der Agrarpolitik 2011, wird aber klar, dass weiterhin die Strategie verfolgt wird, die das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) schon in "Horizont 2010" bevorzugte: Den Markt weiter öffnen und die Direktzahlungen anpassen. Das bestätigt BLW-Pressesprecher Jürg Jordi auf Anfrage.
Vorgeschlagen wurde damals, die Mittel für die Marktstützung schrittweise abzubauen und in soziale Begleitmassnahmen umzulagern. Für die Direktzahlungen sollte gleich viel Geld ausgegeben werden, diese aber sollten wettbewerbskonformer und strukturneutraler ausgestaltet werden. Letzteres wurde schon in der Agrarpolitik 2007 teilweise umgesetzt: Die Abstufung der Direktzahlungen mit zunehmender Fläche und Tierzahl wurde abgeschafft, die Vermögens- und Einkommenslimiten zwar beibehalten, aber für Verheiratete erhöht. Die Umsetzung wurde in Zusammenhang mit den Sparprogrammen jedoch sistiert. Die Neuregelung soll erst auf den 1. Januar 2008 in Kraft treten.
Offensiv und autonom
Schon in "Horizont 2010" schlug das Bundesamt vor, die Marktöffnung, die durch internationale Entwicklungen absehbar ist, offensiv und autonom anzugehen. In der Agrarpolitik 2011 wird genau das vorgeschlagen: Die Marktstützung soll schneller abgebaut werden, als die Einigung im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) verlangen wird. In der Diskussionsgrundlage wird ein rigoroser Abbau der Marktstützung vorgeschlagen, obwohl innerhalb der WTO die Details erst ausgehandelt werden. Das eingesparte Geld sollen die Bauern in Form von Direktzahlungen erhalten, eine Strategie, die ebenfalls schon vor fünf Jahren vorgeschlagen wurde.
Sozialplan nötig
Gleich geblieben ist auch die Überzeugung, dass die Zahl der Bauernhöfe abnehmen muss, um das geringere Einkommen der Landwirtschaft wenigstens teilweise aufzufangen. "Um das Ziel einer wettbewerbsfähigen Landwirtschaft zu erreichen, braucht es strukturelle Anpassungen, die das Mass eines natürlichen Strukturwandels – Hofaufgabe im Rahmen des Generationenwechsels – überschreiten wird", hiess es in "Horizont 2010". Das Bundesamt ging davon aus, dass sich ab dem Jahr 2000 das Spannungsfeld hauptsächlich auf die Komponenten Ökonomie und Soziales verlagern wird. In den Neunzigerjahren beherrschten die Bereiche Ökologie und Ökonomie die Diskussion. "Mehr Markt und mehr Ökologie" waren denn auch die Stichworte der Agrarpolitik 2002, die 1999 eingeführt wurde.
In "Horizont 2010" war dann auch klar, dass die Landwirtschaft einen Sozialplan braucht. Betriebsaufgabeentschädigung, auch Vorruhestandsrente genannt, Überbrückungshilfen und Umschulungs- und Weiterbildungsbeihilfe wurden in die Diskussion eingebracht. Letztere wurde im Rahmen der Agrarpolitik 2007 umgesetzt. Die Betriebsaufgabeentschädigung wurde zwar von der Beratenden Kommission befürwortet, Bund und Bauernverband konnten sich aber nicht einigen, aus welcher Kasse die Vorruhestandsrente bezahlt werden soll. Für den Bauernverband ist es undiskutabel, das Geld aus dem Agrarkredit zu nehmen, für den Bund ist eine andere Quelle nicht denkbar. Diese Frage soll in der Agrarpolitik 2011 denn auch nicht wieder aufgerollt. Der Bund bleibt bei der Strategie, den Strukturwandel über das Boden- und Pachtrecht anzukurbeln.
Es gibt einige wenige Elemente aus "Horizont 2010", die in der Agrarpolitik 2011 nicht aufgenommen wurden, zum Beispiel die ökologischen Direktzahlungen zu regionalisieren oder die Direktzahlungen vermehrt an die Arbeitskraft anstatt an die bewirtschaftete Fläche zu binden.
Agrarreform schmälerte das Einkommen
mo. Die nach dem zweiten Weltkrieg eingeführte Agrarpolitik garantierte den Bauern über kostendeckende Preise ein Einkommen, das mit anderen Wirtschaftszweigen vergleichbar ist. Diese Verknüpfung wurde 1992 gelöst und die Grundlage geschaffen, um die gemeinwirtschaftlichen Leistungen mit Direktzahlungen abzugelten. Die staatlichen Preis- und Absatzgarantien wurden jedoch erst 1999 aufgehoben. Bekamen die Bauern 1991 noch einen Franken und sieben Rappen pro Kilogramm Milch, nehmen sie heute im Schnitt noch 73 Rappen ein, mit grossen Unterschieden. Das Nettounternehmenseinkommen des landwirtschaftlichen Sektors ist laut Bund seit Beginn der Reform um ein Viertel von vier auf drei Milliarden Franken gesunken. Der Arbeitsverdienst pro Familienarbeitskraft liegt heute bei 32,000 Franken pro Jahr, das sind real 11,4 Prozent weniger als vor der Reform und 40 Prozent weniger als mit vergleichbarer Arbeit ausserhalb der Landwirtschaft verdient wird.
Dennoch soll die Entwicklung weitergehen. Im Jahr 2013 werden alle Bauern zusammen noch 2,1 Milliarden Franken verdienen, schätzt der Bund. Damit können die Bauernfamilien ihr Einkommen nominal nur gleich halten, wenn es noch höchstens 46,000 Betriebe gäbe, 20,000 weniger als 2003. Also müssten pro Jahr 2,000 Betriebe aufhören. Bei heute 66,000 Betrieben sind das drei Prozent, bei 50,000 Betrieben schon vier Prozent. Im Diskussionspapier zur Agrarpolitik 2011 ist zwar von 1,500 bis 2,000 Betrieben weniger pro Jahr die Rede, jedoch nur von 2 bis 2,5 Prozent Strukturwandel. Fazit: Entweder hören jedes Jahr mehr als 2,5 Prozent der Bauern auf oder der durchschnittliche Bauernlohn sinkt deutlich unter 3,000 Franken pro Monat.
Info-Grafik "Mit der Agrarreform sinkt der Milchpreis", im LID-Mediendienst Nr.2553 vom 14. Februar 2002
Feine Unterschiede
Die Vorschläge zur Agrarpolitik 2011 sind nicht nur ganz auf der Linie von "Horizont 2010", das Konzept gleicht auch stark der Botschaft zur Agrarpolitik 2007. So ist ebenfalls von fünf Handlungsachsen die Rede, wobei vier gleich bleiben. Neu ist der Punkt "Administration vereinfachen und Kontrollen koordinieren". In der letzten Etappe war die fünfte Handlungsachse "Sicherheit und Qualität der Nahrungs- und Produktionsmittel", weil die Finanzierung der Schlachtabfallentsorgung neu geregelt werden musste. Interessant sind aber einige Detaisl: In der Agrarpolitik 2007 standen Nachhaltigkeit und Multifunktionalität noch an erster Stelle. In der Diskussionsgrundlage zur Agrarpolitik 2011 steht "Gemeinwirtschaftliche Leistungen sicherstellen" nur noch an zweiter Stelle. An erster Stelle steht nun die Ökonomie unter dem Titel "Konkurrenzfähigkeit von Produktion und Verarbeitung verbessern". Und hiess es in der Botschaft zur Agrarpolitik 2007 noch "Sozialverträglicher Strukturwandel", spricht der Bund nun von "Strukturwandel erleichtern und sozial abfedern".
In einem letzten Punkt geht das neue Diskussionspapier weit über "Horizont 2010" hinaus. Während im Sommer 2000 noch unbestritten war, dass eine produktive Landwirtschaft erhalten werden soll, lanciert das Volkswirtschaftsdepartement im ersten Papier zur Agrarpolitik 2011 die Diskussion, ob trotz fortschreitender Globalisierung an einer produzierenden Landwirtschaft festgehalten werden soll.
Siehe auch "Weniger Marktstützung, mehr soziale Massnahmen – Die Reform geht weiter" im LID-Mediendienst Nr. 2473 vom 13. Juli 2000 / "‚Horizont 2010,: Zurück an den Absender – oder doch nicht ganz" im LID-Mediendienst Nr. 2482 vom 14. September 2000 / "5-Punkte-Plan folgt auf ‚Horizont 2010," im LID-Mediendienst Nr. 2523 vom 5. Juli 2001