Die Bäuerinnen sind Allrounderinnen. Welche Aufgaben sie unter einen Hut bringen müssen, demonstrierte die Land- und Hauswirtschaftsberaterin Regula Stricker aus Stein AR am 18. Oktober, dem "Tag der Bäuerin" an der OLMA. Sie zählte nach und nach ihre Tätigkeiten auf – Hausfrau, Mutter, Ehefrau, Bäuerin, land- und hauswirtschaftliche Beraterin, ehrenamtliche Damenriegeleiterin im Turnverein – und zog ein zur jeweiligen Aufgabe passendes Kleidungsstück oder Accessoire an. Am Schluss stand sie bizarr verkleidet da: mit Tracht, Schürze, Blazer, einem Sonntagshut, einem Stiefel, einem Turnschuh und einer Kette um den Hals. Stricker machte deutlich, dass die verschiedenen Rollen nicht nur willkommene Abwechslung sind, sondern eine Notwendigkeit, und dass sie Spannungen und Probleme mit sich bringen. Stricker sprach von überholten Rollenbildern, vom Druck, eigenen und fremden Ansprüchen gerecht zu werden, und vom schlechten Gewissen, wenn nicht alles hundertprozentig erledigt ist.
Die Reaktionen der Bäuerinnen im Saal, das Gelächter über allzu bekannte Situationen zeigten, dass es vielen Bäuerinnen so geht: Sie stehen zwischen Familie, Betrieb und Nebenamt oder Nebenerwerb und versuchen, den Karren am Laufen zu halten. Sie kennen den hektischen Bauernalltag und wissen, wie es ist, wenn vieles organisiert und geplant ist und dann trotzdem alles anders kommt.
Finanzieller Druck führt zu Mehrarbeit
Geht es um Agrarpolitik und ihre Auswirkungen, sind meist die Verbandsleute zuvorderst. Sie erklären und fordern, wissen, was gut kommt und was noch geändert werden muss. Allenfalls liest und hört man von Betriebsleitern, die sich spezialisieren, einen Nebenerwerb annehmen oder gar den Betrieb aufgeben. Von den Bäuerinnen, die hinter den Betriebsleitern stehen, erfährt man selten etwas. Wie geht es ihnen? Wie wirkt sich der Strukturwandel auf die Situation der Bäuerinnen aus?
Regula Stricker kennt die Antwort nur zu gut. "Der finanzielle Druck wird immer grösser", sagt sie. Gerade an der OLMA-Viehauktion habe man wieder gesehen, wie schlecht die Preise seien. Das drücke auf die Stimmung, und diese bekomme zu Hause auch die Bäuerin zu spüren. Häufig sei es denn auch die Bäuerin, die zuerst reagiere und sich überlege, wie man die finanzielle Situation aufbessern könne: mit Einsparungen, mit Direktvermarktung oder einem Nebenverdienst ausser Haus.
Und oft trägt die Bäuerin dann auch die Mehrarbeit, die dadurch anfällt. Sie wird zur Managerin, die ihre Prioritäten setzt, das Notwendige macht, anderes abgibt. Das kann heissen, dass Verwandte zeitweise im Haushalt helfen, dass die Kinder zwischendurch bei der Nachbarin essen, oder dass zum Beispiel der Garten aufgegeben wird. Das ist der Idealfall – Allzu oft bleibt die Mehrarbeit an der Bäuerin hängen oder es stehen eigene oder fremde Vorurteile und Wertvorstellungen im Weg.
Mehr auf sich selber achten
Regula Stricker hält ihre Kursteilnehmerinnen dazu an, Prioritätenlisten zu machen, auch mal innezuhalten, sich selber und die eigenen Bedürfnisse nicht zu vergessen, nicht alles selber und nicht alles perfekt machen zu wollen. "Wir müssen unser Idealbild von der Bäuerin über Bord werfen", ermutigte sie die Zuhörerinnen am Tag der Bäuerin. Die traditionellen Wertvorstellungen seien tief verankert, und so manche Bäuerin, die nicht den ganzen Haushalt selber mache, werde von den Nachbarn als "faul" abgestempelt.
Margreth Rinderknecht, Bäuerin in Wallisellen und Präsidentin der Landfrauen des Bezirks Bülach, betont, dass die Bäuerinnen in sehr unterschiedlichen Situation stehen können. Manche Frauen, die auswärts arbeiten, hätten sich gut organisiert und seien damit zufrieden. Leider gebe es aber auch viele Bäuerinnen, die weder ein noch aus wüssten, mit dem Mann vielleicht nicht reden können und gar keine Zeit hätten, um einmal Distanz zu bekommen und auch nur über die eigene Situation nachzudenken. "Am meisten Sorgen machen mir diejenigen Frauen, die nicht am Tag der Bäuerin erschienen sind", sagt sie. Dort seien die Frauen doch jeweils recht aufgestellt, und es seien eben auch jene, die einen ersten Schritt in die richtige Richtung gemacht hätten.
Auch Ruth Streit vom Schweizerischen Landfrauenverband hat so einiges mitbekommen. "Eine ehemalige Lehrtocher von uns arbeitet als Krankenschwester. Sie ist schockiert darüber, wie viele Bäuerinnen ins Spital eingeliefert werden, einfach weil sie körperlich und psychisch am Ende sind", erzählt sie. Besonders auf Betrieben, die auf biologische Produktion umgestellt hätten, würden die Frauen an Grenzen stossen, weil mit der Bewirtschaftung und der häufigen zusätzlichen Direktvermarktung die Arbeit stark anwachse, sagt Ruth Streit.
Fragt man nach möglichen Lösungen, tauchen immer etwa die gleichen Antworten auf: Persönlichkeitsbildung und Weiterbildung ganz allgemein. Margreth Rinderknecht etwa hat 1996 einen Kurs bei der Bauern-Unternehmer-Schulung BUS gemacht, wo Persönlichkeitsbildung ein Teil des Programms ist. "Das hat mir sehr viel gebracht", sagt sie. Sich selber kennenlernen und abgrenzen können sieht sie als erste Voraussetzung für ein erfolgreiches Bäuerinnendasein.
Flexible Arbeitsteilung ist von Vorteil für den Betrieb
wy. Ruth Rossier von der Forschungsanstalt für Agrarwirtschaft und Landtechnik in Tänikon (FAT) beschäftigt sich seit längerem mit der Situation der Bäuerinnen und der bäuerlichen Familien. Sie hat anhand von Fallstudien untersucht, wie sich die Familienverhältnisse auf die Betriebe auswirken können. Dabei hat sich gezeigt, dass die Entwicklungsmöglichkeiten eines Betriebs auch davon abhängen, wie die Familie funktioniert, welche Werte und Vorstellungen vorhanden sind. Zukunft haben vor allem Betriebe mit flexibler Rollenverteilung, wo auch der Wille zur Weiterbildung und Neuorientierung vorhanden ist. Rossier hat 1992 eine umfassende Studie über die Schweizer Bäuerinnen gemacht. Seither sind die Verhältnisse härter geworden. Das bedeutet oft vor allem für die Bäuerinnen Mehrarbeit, weil sie von der Arbeitsorganisation auf dem Hof her flexibler sind. Gesicherte aktuelle Zahlen sind aber nicht vorhanden. Im nächsten Jahr soll eine erneute Umfrage bei 1‘500 Bäuerinnen Aufschluss über die aktuelle Situation der Schweizer Bäuerinnen geben.
Immer mehr Scheidungen
Der radikalste Ausweg aus Mehrarbeit und seelischem Druck ist eine Scheidung – und auch dies passiert immer häufiger. Zu spüren bekommen dies etwa die Mitarbeiter des bäuerlichen Sorgentelefons. Sie erhalten immer mehr Anrufe von Bauern, denen die Frau davongelaufen ist. Auch Madeline Ré, Geschäftsführerin des Schweizerischen Landfrauenverbandes sagt, man sei erschrocken, als klar geworden sei, wie weit verbreitet Scheidungen wirklich sind. Ruth Streit spricht gar von einer "Scheidungsepidemie". Sehr viele Bäuerinnen hätten einfach genug von der andauernden Belastung und davon, keine Zeit mehr für die Beziehung und für sich selber zu haben.
Familie und Natur als Kraftspender
Am Tag der Bäuerin wurden viele der Probleme, die Bäuerinnen haben, angetönt und viele Erfahrungen ausgetauscht. Und dabei zeigte sich: Der Beruf Bäuerin hat auch seine schönen Seiten. Die Selbständigkeit, die Arbeit mit der Familie und die Nähe zur Natur sind Dinge, die den Bäuerinnen Freude machen, ihnen Kraft geben und sie so manche negative Seite ihres Berufes erdulden lassen.