Entgegen dem gängigen Vorurteil "die heutige Jugend meint, Milch komme aus dem Tetrapack", wissen Schweizer Kinder sehr wohl, dass die Milch von Kuh, Geiss oder Schaf kommt und auch, was aus ihr gemacht wird. Im Rahmen einer Studie wurde zu Beginn dieses Jahres das Wissen von rund 500 Schweizer Kindern – Kindergarten- bis Oberstufenalter – über die Landwirtschaft genauer unter die Lupe genommen (vgl. Kasten). "Die Kinder und Jugendlichen in der Schweiz wissen im allgemeinen erstaunlich viel über die Landwirtschaft", sagt Jürg Rindlisbacher, Verantwortlicher für den Bereich Schule beim Landwirtschaftlichen Informationsdienst LID. Kurz: Die Jugend kennt viele pflanzliche Produkte der Schweizer Bauern und weiss was diese zum Wachsen brauchen. Auch die herkömmlichsten Tiere sind bekannt.
Kinder aus der EU hingegen, scheinen zum Teil Mühe zu haben, wenn es darum geht zu entscheiden ob Produkte – vor allem exotische – im eigenen Land hergestellt werden: Ein Viertel der Kinder in England und den Niederlanden glaubt, dass Orangen im eigenen Land wachsen. In Finnland und Schweden meint je ein Fünftel der Kinder, dass Pfirsiche einheimische Produkte sind. Oder 17 Prozent der britischen Kinder glauben, dass Bananen in England wachsen. Dies ist einer Studie zu entnehmen, in der 1999 im Auftrag der Europäischen Landjugend rund 2‘400 Kinder im Alter von neun bis zehn Jahren befragt wurden.
Niemandsland Ernährungswirtschaft
Obwohl in der öffentlichen Diskussion die Landwirtschaft immer mehr in einem Atemzug mit der Ernährungswirtschaft genannt wird, scheint ihre Vernetzung bei Schweizer Kindern und Jugendlichen nicht präsent zu sein. "Der Ursprung von geläufigen Fertigprodukten ist zwar weitgehend bekannt. Wie und wo aber aus Kartoffeln Pommes Frites werden, das ist vielen ein Rätsel", sagt Jürg Rindlisbacher. So können die wenigsten der befragten Kinder und Jugendlichen sagen, wo Süssmost, Wein, Pommes Frites, Teigwaren oder Mehl hergestellt und verarbeitet werden oder Gemüse verpackt wird. Kellereien, Fabriken, Mühlen und der Gemüsehandel werden ins Niemandsland verbannt. Am ehesten wissen die Kinder und Jugendlichen noch was mit Milch und Fleisch geschieht: Molkereien, Käsereien und Metzgereien zählen zu den bekanntesten Verarbeitungsbetrieben.
Angebote für die Schulen verbessern
rd. Über welche Kanäle läuft die Kommunikation zwischen Landwirtschaft und Jugend ab und welche Bedürfnisse bestehen bei Lehrkräften, Kindern und Jugendlichen? Inwiefern bedürfen die bestehenden Angebote der Landwirtschaft einer Anpassung und wie können sie besser koordiniert werden? Diesen Fragen ging eine Studie nach, die der Landwirtschaftliche Informationsdienst – selbst Anbieter von Unterrichtsmaterial – in Zusammenarbeit mit Terrsona Consulting, einer Beratungsfirma in den Bereichen Reorganisation, Marketing und Teamentwicklung, zu Beginn dieses Jahres durchführte. Im Rahmen der politischen und wirtschaftlichen Umstrukturierung müsse die Schweizer Landwirtschaft ihre Kommunikation gegenüber der Öffentlichkeit überdenken und verbessern, steht in der Einleitung. Die Jugend wird von der Projektleitung als wichtige Zielgruppe dieser Öffentlichkeitsarbeit betrachtet.
Die dreiteilige Studie (Zusammenfassung und zwei detailliertere Auswertungsbände) ist erhältlich beim LID, Weststrasse 10, 3000 Bern 6, Tel 031 359 59 77, Fax 031 359 59 79, E-Mail: info@lid.chDie Studie über das Wissen von Kindern im EU-Raum kann auf Englisch über www.ceja.org/english/documents/education eingesehen werden, eine deutsche Zusammenfassung ist im Anhang der Schweizer Studie zu finden.
Kinder vom Land wissen mehr
Kinder und Jugendliche vom Land wissen mehr darüber, wo die erfragten Produkte hergestellt, verarbeitet oder verpackt werden. Auch bei der Frage, wann beispielsweise Erdbeeren, Äpfel, Salat, Kirschen, Trauben, Weizen oder Kartoffeln geerntet werden, schneiden die Kinder vom Land besser ab. Zudem geben sie der Landwirtschaft für die umweltfreundliche Erzeugung guter Produkte, die Landschaftspflege, die artgerechte Tierhaltung, für unternehmerisches Denken und für Innovation bessere Noten als Stadt- und Agglomerationskinder.
Unabhängig von ihrer Herkunft sind die befragten Kinder überzeugt, dass es Bauern und Landwirtschaft vor allem für die Nahrungsmittelproduktion und die Landschaftspflege braucht.
Fleisch gilt eher als ungesund
Auch zu einzelnen Produkten lassen sich Aussagen machen. Bei der Frage nach gesunden Nahrungsmitteln wurde Fleisch nur wenig und nicht an erster Stelle genannt. Auf der Liste der ungesunden Nahrungsmittel taucht es aber etliche Male auf. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Fleischbranche die Jugend mehr auf die gesunden Aspekte ihrer Produkte aufmerksam machen müsste. Die Milchbranche macht dies schon länger. So gibt es vielfältiges Unterrichtsmaterial, wie Ernährungsbroschüren spezifisch zu Milchprodukten. Zum Thema Fleisch existierten viel weniger Unterrichtshilfen, meint Jürg Rindlisbacher vom LID. "Auch wenn Milch schulnaher ist – ein Joghurt eignet sich halt besser zum Znüni als ein Pouletschenkel –, müsste die Fleischbranche diese Umfrageergebnisse zur Kenntnis nehmen."
Aufarbeitung für die Schule ist wichtig
Für die Schweizer Jugend ist die Schule nach den Eltern der wichtigste Informant zum Thema Landwirtschaft. Die Aufarbeitung von landwirtschaftlichen Themen für die Schule scheint deshalb wichtig. Es wurden denn auch Lehrpersonen nach ihren Bedürfnissen gefragt. Sie vermissten stufengerechte Hilfsmittel und eine didaktisch professionelle Aufbereitung des Materials.
Eine grosse Lücke wurde im Vorschul- und Kindergartenbereich entdeckt: Es gibt fast keine offiziellen Lehrmittel für diese Altersstufe. "Gerade hier, wo noch am meisten Freiraum besteht um landwirtschaftliche Themen aufzugreifen", bedauert Jürg Rindlisbacher. Umso mehr besteht Handlungsbedarf, als dass angenommen wird, dass in diesem Alter die Beziehung eines Kindes zur Natur massgebend geprägt wird. "Es ist sehr wichtig, dass Kinder Kenntnisse darüber haben, wie etwas wächst. Das ist Wissen fürs Leben und trägt bei zur Lebensqualität. Am Beispiel der Landwirtschaft lassen sich die natürlichen Kreisläufe gut darstellen", führt Rindlisbacher aus.
Koordination und Information sind gefragt
Die bestehenden Hilfsmittel sind kaum bekannt. Oberstufenlehrkräfte zum Beispiel kennen mit wenigen Ausnahmen das Schülermagazin und Lehrmittel PICK UP nicht. Nicht nur an Information, auch an Übersichtlichkeit und Koordination fehlt es. Fast die Hälfte der Lehrkräfte wünscht sich einen Ausbau des Internetangebots: Die Gliederung der Angebote nach Ausbildungsstufen und die Möglichkeit der Stichwortsuche sollen die Suche nach Lehrmitteln übers Netz erleichtern.
Um diesen Bedürfnissen nachzukommen, müssen sich die Anbieter von Hilfs- und Lehrmitteln innerhalb der Landwirtschaft zusammenraufen und gegenseitig über ihre Projekte informieren. Ein erster Schritt in diese Richtung wurde Mitte August bereits getan. An einer Tagung informierte der LID die verschiedenen Anbieter wie Schule auf dem Bauernhof, Agro Image Plus (vgl. Schwerpunkt im Mediendienst Nr. 2468 vom 8. Juni 2000), Agro-Marketing Suisse und die Lehrmittelkommission über die Untersuchungsergebnisse. Voraussischtlich im November soll diese interne Kommunikation in einem Treffen mit den Branchenorganisationen eine Fortsetzung finden.