LID: Sind Sie von der neuen Agrarpolitik frustriert? Schliesslich sind nur 46 Millionen mehr fürs Tierwohl vorgesehen, während 220 Millionen Franken zusätzlich in Biodiversität und Landschaftsqualität fliessen.
Hans-Ulrich Huber: Also, das ist noch nicht entschieden. Ich hoffe schon, dass wir in den nächsten Monaten noch den einen oder anderen Bündnispartner finden, der mithilft, die 46 Millionen anzuheben.
Laut der letzten Univox-Umfrage will die Bevölkerung aber mehr Geld fürs Tierwohl ausgeben und weniger für Biodiversität und Landschaft.
Huber, lacht: Und diese Umfragen werden sogar vom Bundesamt für Landwirtschaft finanziert. Also, ich weiss auch nicht warum unsere Bevölkerung – trotz der direkten Demokratie – so wenig Einfluss hat. Wir sehen aber in allen Staaten, dass wirtschaftliche Interessen immer höher gewichtet werden als ethisch-tierschützerische Aspekte.
Laut Modellrechnungen werden künftig weniger Mutterkühe gehalten – im Berggebiet nimmt die Tierzahl massiv ab. Stimmt Sie das nicht nachdenklich?
Um das Berggebiet ist mir nicht bange. Ich würde sogar behaupten, dass gewisse Talbetriebe sich schwerer tun werden. Ganz einfach, weil die grosse Politik leider nicht mehr bereit ist, das Talgebiet zu unterstützen. Sie müssen deshalb viel mehr selbst erwirtschaften.
Machen Sie diesen Bauern nicht noch zusätzlich das Leben schwer, wenn Sie mit Coop und Migros zusammenspannen, um den Import von tierfreundlich produziertem Fleisch zu fördern?
Wenn schon Fleischimporte, dann wenigstens tierfreundlich produziert. Der Tierschutz kann doch nicht an der Grenze aufhören! Und gerade die Bauern machen uns immer den Vorwurf, nur im Inland Forderungen zu stellen und zu Importen zu schweigen. Wir werden immer auch einen Teil Fleisch importieren müssen. Jetzt machen wir Nägel mit Köpfen und durchleuchten mit einem der beiden Grossverteiler das ganze Fleischsortiment. Das führt unter Umständen dazu, dass ein Teil der Importe aus dem Sortiment gestrichen wird und bei anderen Tierschutzvorschriften à la Schweiz zum Einsatz kommen.
Das könnte auch eine Chance für Labelorganisationen wie IP-Suisse und Bio Suisse sein. Allerdings setzen die inzwischen stärker auf Biodiversität, denn auf Tierwohl.
Die IP-Suisse als Hoflieferant für Kalbfleisch bei der Migros hat es geschafft bei Terrasuisse überall BTS und RAUS durchzusetzen. Da muss ich sagen: Hut ab! Damit kommen ab diesem Jahr 40'000 Kälber oder mehr zu einem Auslauf. Das hat Flächenwirkung und das finde ich toll. Bei Bio Suisse bin ich der Meinung, sie müssten etwas mehr machen und nicht beim RAUS stehenbleiben. Mich stört, dass man international bei Bio auf Freilaufstall setzt, während in der Schweiz Biobetriebe ihre Kühe angebunden halten dürfen. Gerade wegen der Erwartungshaltung der Konsumenten würde ich mir wünschen, dass sich der Biolandbau noch mehr für den Tierschutz engagiert.
Vielleicht braucht es noch mehr Sog vom Markt?
Wir waren immer stark am Markt, wir haben ja mit den ganzen Labelprogrammen und den Freilandeiern angefangen vor dreissig Jahren. Bis in die zweite Hälfte der neunziger Jahre hatten wir mit der Politik noch gar nichts am Hut.
Handkehrum braucht es neben den Labelprogrammen vielleicht gar keine zusätzlichen Direktzahlungen mehr?
Es gibt auch Märkte ohne Labels. Ein Aufzuchtrind oder eine Junghenne können sie nicht in der Migros kaufen, deshalb gibt es hier keine Labelprogramme. Da müssten wir mehr staatliche Unterstützung haben.
Mir fällt auf, dass Ihre Forderungen nicht über BTS, also besonders tierfreundliche Ställe, und RAUS, den regelmässigen Auslauf im Freien, hinausgehen. Warum so bescheiden?
Wir wollten neben BTS und RAUS ursprünglich noch ein drittes Gefäss. Darin wollte Armin Capaul zum Beispiel den Hörnerbeitrag platzieren, während wir an Jungebermast dachten oder an andere innovative Projekte in diesem Bereich. Wir haben dann aber schnell gemerkt, dass das nicht mehrheitsfähig ist. Das will der Bundesrat nicht, das BLW nicht und die Parlamentarier konnten wir auch nicht überzeugen. Dafür scheut man sich offenbar nicht, im Rahmen der Landschaftsqualitätsbeiträge Geld für Liegewiesen für müde Wanderer, attraktive Hofareale oder Blumenstreifen zum Gratispflücken auszugeben. Dafür braucht es doch keine Steuergelder, während wir umgekehrt beim Tierwohl noch derartigen Handlungsbedarf haben.
Auch Ihr Vorschlag, den Begriff "tierfreundliche Haltung" im Landwirtschaftsgesetz zu verankern und Zielvorgaben zu definieren, hat kein Gehör gefunden.
Wir und alle Tierfreunde in diesem Land müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass zwar das Gros der Steuerzahler möchte, dass mehr ihrer Gelder für tierfreundliche Haltungen eingesetzt werden, dass diesem Wunsch aber weder vom Parlament noch vom Bundesrat bislang entsprochen wird. Wenigstens hat das Parlament im Artikel 1e neu aufgenommen, dass der Bund dafür zu sorgen hat, dass die Landwirtschaft einen wesentlichen Beitrag zur Gewährleistung des Tierwohles leistet. Jetzt müsste der Bundesrat eigentlich aktiver werden!
Haben sie zu wenig Lobbyisten?
Absolut! Wir setzen unsere beschränkten Kräfte halt primär zur Sensibilisierung der Konsumenten und Tierhalter, und für die Absatzsteigerung von tierfreundlichen Produkten.
Tierwohl geht Alle an
Die neue Broschüre "Tierschutz und Landwirtschaft" vom Schweizer Tierschutz STS behandelt das Thema auf 63 Seiten in kompakter Form. Der STS zeigt auf, dass Tierwohl alle angeht: Nicht nur die Bauern, sondern auch die Grossverteiler, Gastronomen bis hin zu den Konsumenten sind gefragt. Nach wie vor hebt sich der Tierschutz in der Schweizer Landwirtschaft vom Ausland ab. Dass es keine Käfigbatteriehaltung bei Hühnern gibt, dass Muttersauen nicht fixiert werden dürfen oder Eingriffe an Tieren ohne Schmerzausschaltung verboten sind, ist in anderen Ländern nämlich noch lange keine Selbstverständlichkeit. Rund 40 % der Schweizer Nutztiere leben heute in tierfreundlichen Ställen und über die Hälfte haben regelmässig Auslauf ins Freie. Trotzdem sieht der STS noch einiges Verbesserungspotential, vor allem in der Rinder-, Schweine- und Geflügelmast. Viele dieser Tiere kommen nie ins Freie, können sich nicht ausgiebig bewegen oder liegen ständig im eigenen Mist. Der STS nimmt dabei auch die Konsumentinnen in die Pflicht, weil langfristig nur produziert wird, was am Markt gefragt ist. Und er appelliert an die Politik: Denn es dürfte noch mehr Anreize für tierfreundliche Produktionsweisen geben. So, wie sich das die Steuerzahler wünschen. Die 63-seitige Broschüre Tierschutz und Landwirtschaft geht in den nächsten Tagen in den Druck. Sie kann kostenlos beim Schweizer Tierschutz, STS, Postfach, 4008 Basel bestellt werden oder per Mail an sts@tierschutz.com.
