"Die Häuser, Mauern, Weinbergtreppen, Wege, Pflanzungen und Terrassen, alles ist weder neu noch alt, alles ist, als sei es nicht erarbeitet, erklügelt und der Natur abgelistet, sondern entstanden wie Fels, Baum und Moos", schrieb der deutsche Schriftsteller Hermann Hesse 1918 nach einer Wanderung im Tessin. Genau wie damals Hesse steht auch Christine Neff, Geografin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL), immer wieder staunend vor den Terrassen. "Terrassenlandschaften ziehen einen sowohl aus der Ferne wie auch aus nächster Nähe in den Bann. Denn aus Distanz wird einem bewusst, wie viel Arbeit in diesen von Hand geschaffenen Landschaften steckt. Aus nächster Nähe sind etwa die Kartäuserlichtnelken, Heuschrecken oder auch die Trockenmauern wichtige Mosaiksteine des Gesamtkunstwerkes", schwärmt Neff. Doch die jahrhundertealten Terrassen sind nicht nur fürs Auge konstruiert worden, sondern erfüllten und erfüllen zum Teil noch heute eine wichtige Aufgabe in der Berglandwirtschaft. Denn erst durch die Terrassierung wurde es möglich, die steilen Hänge im Wallis, im Tessin, im Graubünden, im Jura oder in anderen Hügelregionen landwirtschaftlich zu nutzen.
Ein uraltes Kulturgut der besonderen Art
Terrassen von besonderem historischem Wert findet man in der Umgebung von Ramosch im Unterengadin. Es wird vermutet, dass die dortigen Ackerterrassen bereits im Mittelalter konstruiert und kultiviert wurden. "In der heutigen Zeit werden die Terrassen aber vorwiegend als Wies- oder Weideflächen genutzt", erzählt Biobäuerin Seraina Peer. Ihre Familie baue nur noch auf einer kleinen Terrasse Kartoffeln für den Eigengebrauch an. Den Getreidebau auf den Terrassen hätten sie schon vor längerer Zeit aufgegeben. Er sei nicht mehr rentabel gewesen, weil eine maschinelle Bewirtschaftung durch die schlechten Zufahrtsmöglichkeiten und die kleinen Parzellen kaum möglich ist. Dass die Terrassen nicht mit Maschinen befahren werden können, sei jedoch nicht nur negativ, betont Peer. Denn so würden die Terrassen nicht all zu intensiv genutzt. Und sie geniesse die Ruhe, welche auf den Terrassen herrsche, halt schon sehr, fügt Seraina Peer hinzu.
Renaissance der Rebterrassen im Maggiatal
Im unteren Maggiatal (TI) war der Weinbau auf Rebterrassen in jüngster Vergangenheit in Vergessenheit geraten. Damit verbunden war der Zerfall der rund 1,000 Jahre alten Terrassenstrukturen. Grund für die Vernachlässigung der Terrassen war wohl die schlechte Erschliessung und der damit verbundene Mehraufwand für die Weinbauern.
Doch seit kurzem erlebt der Anbau von Weintrauben und die Herstellung von Merlot und Grappa in den Dörfern Maggia, Lodano, Gordevio und Giumaglio eine Renaissance. Dazu beigetragen hat ein Projekt der "Vereinigung zum Schutz des künstlerischen und architektonischen Kulturgutes im Maggiatal" (APAV), welches im Jahr 2000 lanciert und von der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL) unterstützt wurde. Durch die vom Projekt initiierten Sanierungsarbeiten, welche hauptsächlich lokale Handwerksbetriebe durchführten, wurden die aus kulturhistorisch und ökologischer Sicht wertvollen Terrassen wieder errichtet. Der Wiederaufbau beinhalteten den Bau von einigen hundert Metern Trockenmauern, das Errichten von Granitpfeilern und die Auslegung von Kastanienholzlatten. Die Konstruktion aus Granitpfeilern und Kastanienholzlatten – auch Pergola oder Laube genannt – dient den Weinpflanzen als Stütze für das Höhenwachstum.
Der Abschluss des Projekts wurde am 15. August 2004 mit einem Fest gefeiert.
Viele Terrassen der Schweiz sind bedroht
Viele Terrassen und Trockensteinmauern der Schweiz seien in der heutigen Zeit bedroht, meint Christine Neff. Die derzeitige Agrarpolitik des Bundes und die Tatsache, dass vielerorts eine maschinelle Bewirtschaftung nicht möglich sei, verhindere oftmals, wie auch im Fall der Familie Peer, eine rentable Bewirtschaftung der Terrassen. Viele Landwirte vernachlässigen daher ihre Terrassen. Dies führt innerhalb weniger Jahrzehnten dazu, dass sich Büsche auf den Flächen ausbreiten – das heisst, die Terrassen verganden – und die Trockensteinmauern zerfallen. In einigen Regionen bedrohen Überbauungen oder eine intensivere Bewirtschaftung die Terrassen. Letzteres zehrt an der Fruchtbarkeit der Böden und führt zu einem Verlust der Artenvielfalt.
Doch es gibt auch das Gegenteil, wie Seraina Peer zu berichten weiss. In der Umgebung von Ramosch sei Vergandung kein Problem. Die noch übrig gebliebenen Bauern seien um jedes Stück Land froh. Vor allem durch die Trockenheit im Sommer 2003 habe ein Umdenken stattgefunden. Da habe man wieder auf Matten geheut, welche seit langer Zeit nicht mehr bewirtschaftet worden seien. Nun lasse man diese Parzellen bestimmt nicht mehr verganden.
Nach wie vor unterhalten und bewirtschaftet werden vielerorts die Rebberg-Terrassen. So zum Beispiel in Rheinau im Kanton Zürich. Dort bewirtschaftet die Stiftung Fintan, welche unter anderem geschützte Wohn- und Arbeitsplätze für geistig und psychisch behinderte Personen anbietet, einen 3,3 Hektaren grossen Rebberg. Dieser Rebberg ist erst vor kurzem terrassiert worden. Die Terrassierung bringe ausser dem ökologischen Aspekt zwei weitere Vorteile mit sich, heisst es seitens der Stif-
tung. Einerseits könnten dank den Terrassen auch Personen mitarbeiten, denen die Arbeit am Steilhang aus motorischen Gründen nicht möglich sei. Andererseits könne dank den 1,2 bis 1,4 Meter breiten Terrassen ein schmaler Rebtraktor eingesetzt werden. Der Traktor wird zum Beispiel zum Mähen des Grases oder zum Spritzen der Trauben eingesetzt. Dadurch, dass die Terrassen den Einsatz von Maschinen erlauben, könnten einige hundert Stunden Arbeit pro Jahr eingespart werden.
Landschaftsschützer engagieren sich
Erhaltenswert sind die Terrassen unter anderem, weil sie Lebensraum für viele seltene Insekten, Kleinsäuger, Vögel und Pflanzen sind und weil sie ein beliebtes Fotosujet für Touristen darstellen. "Bei der Erhaltung von Terrassenlandschaften darf es nicht um Folklore gehen, sondern es muss bei allen Massnahmen zur Erhaltung der Terrassen darauf geachtet werden, dass für die Bewirtschafter wenn immer möglich ein Mehrwert entsteht", erklärt Christine Neff. Experten sind sich einig, dass letztlich nur eine sozial und ökonomisch vertretbare Bewirtschaftung die langfristige Erhaltung der Terrassenbauten ermöglicht. Eine solch nachhaltige Nutzung versucht zum Beispiel auch die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL) zu erreichen. Das Projekt "Förderung der Terrassenlandschaft Ramosch", welches von Seraina Peer präsidiert wird, initiierte die SL im Jahr 1998. In Zusammenarbeit mit der Gemeinde, dem Kanton, dem Projekt "Gran Alpin", Landwirten und anderen Interessenten sei eine Trockensteinmauer errichtet, ein Zufahrtsweg angelegt und während dreier Jahre ein Versuchsgarten mit alten Getreidesorten angebaut worden, erzählt Peer.
Das "achte Weltwunder"
Ackerterrassen von besonderer Schönheit und Faszination findet man in der philippinischen Gegend Banaue. Erbaut wurde das als "Achtes Weltwunder" bezeichnete Meisterwerk vor rund 2’000 Jahren von dem vermutlich aus Indonesien stammenden Bauernvolk Ifugao. Mit primitivsten Hilfsmitteln bauten die Reisbauern damals die 1995 von der UNESCO zum Weltkulturerbe ernannten "Stufen zum Himmel". Die Mauern, welche die Terrassen stützen, würden aneinandergereiht den halben Erdball umspannen.
Doch in der heutigen Zeit lohnt sich der Anbau der Reisterrassen kaum mehr. Das Ertragspotenzial der traditionellen Reissorten ist gering und das steile, unwegsame Gelände ist für den Einsatz von modernen Maschinen ungeeignet. Der Arbeitsaufwand von 1,000 Stunden pro Hektare verringert das Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag erheblich. Es ist daher nicht verwunderlich, dass immer mehr junge Leute in die Städte abwandern, mit der Hoffnung auf ein einfacheres und luxuriöseres Leben. Für die Terrassen hat diese Vernachlässigung zerstörerische Folgen. Die UNESCO hat das bedrohte Welterbe deshalb im Jahr 2001 in die "Rote Liste" aufgenommen, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Politiker zu wecken.
Finanzielle Hilfe von Kanton und Bund
Laut der Strukturverbesserungsverordnung haben einzelne Landwirte oder Genossenschaften, welche Terrassen bewirtschaften, die Möglichkeit, ein Gesuch beim Kanton einzureichen um Beiträge zur periodischen Wiederinstandstellung der Terrassen zu erhalten. Ob einem Gesuch stattgegeben wird, entscheidet sich schlussendlich auf Bundesebene. "Unter periodischer Wiederinstandstellung ist nicht das Ersetzen von losen Steinen zu verstehen", erklärt Markus Wildisen, Leiter der Sektion Bodenverbesserung des Bundesamtes für Landwirtschaft "sondern etwa die Sicherung des Fundaments oder andere bauliche Massnahmen". Alle acht bis zehn Jahre könne ein solcher Projektantrag eingereicht werden. Die Vorraussetzung, für ein Projekt Beiträge zu erhalten, sei, dass die Terrassen landwirtschaftlich nachhaltig genutzt würden, so Wildisen. Diese Art von finanzieller Hilfe kann erst seit Januar 2004 beantragt werden und wurde deshalb noch nie in Anspruch genommen.
"Wie die Zukunft der Terrassen in der Schweiz aussehen wird, ist schwer zu sagen", sagt Christine Neff "Sicher braucht es ein Zusammenspiel von Tourismus, Landwirtschaft und Landschaftsschutz, um die Terrassen für die kommenden Generationen zu erhalten". Neff fügt hinzu, dass die Idee des Leasens vielleicht nicht nur bei Kühen funktionieren würde, sondern zum Beispiel auch bei Rebterrassen.
Siehe auch "Der Bergackerbau droht zu verschwinden" im Mediendienst Nr. 2663 vom 22. April 2004.
Die SL ist im Jahr 2004 mit einer Wanderausstellung zum Thema Terrassenlandschaften unterwegs. Bis zum 10. Oktober 2004 kann diese im Freilichtmuseum Ballenberg besichtigt werden.
Bilder zum Text können bestellt werden bei: Landwirtschaftlicher Informationsdienst, Postfach, 3000 Bern 6, Tel. 031 359 59 77, Fax 031 359 59 79, E-mail: redaktion@lid.ch