Lange war es ein Wunsch von Schokoladeherstellern, Guetzlifabrikanten sowie Milch- und Getreidebauern: eine neue Regelung der Ausfuhrbeiträge und Einfuhrzölle für Schoggi, Guetzli und Suppen mit der Europäischen Union. "Wenn bilaterale Verhandlungen über das Protokoll 2 möglich wären, würde das Luft geben", meinte Willy Tinner vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) im Dezember 1998 gegenüber dem LID. Luft, mehr Spielraum war gefragt, weil sich die Schweiz in der letzten WTO-Runde verpflichtet hatte, die Exportsubventionen im Rahmen des "Schoggi"-Gesetzes bis ins Jahr 2000 um 36 Prozent auf 114,9 Mio. Franken zu reduzieren. "Schoggi"-Gesetz ist die Kurzbezeichnung für das Bundesgesetz über die Ein- und Ausfuhr von Erzeugnissen aus Landwirtschaftsprodukten (siehe Kasten).
Im Rahmen der bilateralen Verhandlungen II wurde der Wunsch Wirklichkeit: Über das Protokoll 2 wurde verhandelt und nach zehn Treffen der Delegationen im November 2002 eine Einigung erzielt. Seither warteten Bauern und Nahrungsmittelindustrie darauf, dass auch die anderen Dossiers bereinigt werden, damit die Bilateralen II abgeschlossen werden können. Der politische Durchbruch wurde am 19. Mai geschafft. Wann die Verträge in Kraft treten, ist aber noch offen.
Weniger Zolleinnahmen, mehr Exporte
Was bringt die neue Lösung wirklich? Für die Bundeskasse ist das Abkommen über verarbeitete Landwirtschaftsprodukte auf den ersten Blick ein Defizitgeschäft. Sie verliert gemäss einer Berechnung des Seco rund 100 Mio. Franken an Zolleinnahmen, kann aber lediglich etwa 60 Mio. Franken einsparen. Die Hälfte davon, weil Schweizer Milchpulver in Exportschokolade und Schweizer Mehl in Exportguetzli nicht mehr auf den Weltmarktpreis hinunter verbilligt werden müssen, sondern nur noch die Differenz zwischen Schweizer und EU-Preis ausgeglichen wird. Die andere Hälfte, weil die Zollrückerstattung für Zucker wegfällt. Obwohl also der Bundeshaushalt mehr verliert als gewinnt, beurteilt Seco-Mitarbeiter Thomas Roth das Abkommen positiv: "Liberalisierung hat immer einen positiven Effekt für die Gesamtwirtschaft." Zum Beispiel profitieren die Konsumentinnen und Konsumenten: Guetzli aus Deutschland und belgische Schokolade werden billiger. Und die Schoggihersteller und Guetzlifabrikanten rechnen damit, dass sie ihre Exporte weiter steigern können. "Die Zukunft der Schweizer Nahrungsmittelindustrie liegt in den Exportmärkten", erklärt Franz Urs Schmid, Geschäftsführer von Chocosuisse und Biscosuisse. Für die Industrie sei das nun geschlossene Abkommen nicht nur wegen dem "Schoggi"-Gesetz wichtig, sondern weil es den ganzen Handel mit verarbeiteten Landwirtschaftsprodukten liberalisiert. Denn die Inlandmärkte seien gesättigt: Weltweit esse niemand so viel Schokolade wie Frau und Herr Schweizer und die Bevölkerung stagniere.
Schon heute werden gut die Hälfte der Schweizer Schoggi, ein Drittel der Guetzli und zwei Drittel der Bonbons im Ausland genossen. Zwei Drittel der Schokoladenexporte gehen in EU-Länder. Könnten dank mehr Exporten die Maschinen besser ausgelastet werden, würden die Produktionskosten pro Schoggi sinken und die Schweizer Nahrungsmittelindustrie wettbewerbsfähiger. Und das ist wichtig, weil die Bilateralen II nicht nur Spielraum beim "Schoggi"-Gesetz bringen, sondern auch mehr Konkurrenz aus dem Ausland.
Schliesslich könnte sogar die Bundeskasse profitieren, wenn sich die positiven Effekte für die Gesamtwirtschaft in mehr Steuern ummünzen.
Das "Schoggi"-Gesetz
mo. Schweizer Schoggi, Guetzli und Suppen sollen im Ausland zu konkurrenzfähigen Preisen angeboten werden können, auch wenn die Schweizer Hersteller Milch, Butter und Mehl aus dem Inland verwenden. Dafür gibt es einen Preisausgleichmechanismus, der im "Schoggi"-Gesetz – dem Bundesgesetz über die Ein- und Ausfuhr von Erzeugnissen aus Landwirtschaftsprodukten – geregelt ist. "Schoggi"-Gesetz heisst es, weil der grösste Teil des Geldes ausgegeben wird, um das Milchpulver in der Schoggi zu verbilligen. Konkret übernimmt der Bund heute die Differenz zwischen Schweizer und Weltmarktpreis für Mehl, Milch und Butter in Exportprodukten. Gleichzeitig erhebt er Zölle auf Importprodukten. Seit dem Jahr 2000 darf die Schweiz im Rahmen des "Schoggi"-Gesetzes gemäss Gatt/WTO-Abkommen von 1994 maximal 114,9 Millionen Franken ausgeben. Anfang der 90er-Jahre waren es noch rund 180 Mio. Franken.
Diesen Preisausgleich kann die Schweiz nach dem In-Kraft-Treten der bilateralen Verträge II weiterführen. Bezahlen muss sie den Herstellern aber nur noch die Differenz zwischen Schweizer und EU-Preis, während die EU die Einfuhrzölle auf den Produkten aus der Schweiz streicht. Im Gegenzug muss die Schweiz ihre Importzölle senken und teilweise ganz abschaffen, die Zollrückerstattung für Zucker aufgeben und für andere Grundstoffe reduzieren.
Erste Gefahr: Sparprogramm
Wie viel Spielraum das Abkommen über verarbeitete Landwirtschaftsprodukte bringt, hängt auch von der Sparpolitik ab. Bauern und Nahrungsmittelindustrie wehren sich dagegen, dass dank dem neuen Abkommen beim Preisausgleich über das "Schoggi"-Gesetz gespart wird. Sie möchten, dass mit dem gleichen Geld mehr Mehl, Milch und Butter verbilligt werden. "Wenn die Bilateralen II benutzt werden, um beim "Schoggi"-Gesetz zu sparen, kommt die Milchmenge unter Druck", meint Stefan Hagenbuch, Bereichsleiter Internationales bei der Dachorganisation der Schweizer Milchproduzenten. Aktuell würden rund sechs Prozent der Milchmenge oder die Produktion von 2’000 Milchbetrieben mit Beiträgen aus dem "Schoggi"-Gesetz exportiert.
Die Nahrungsmittelindustrie hat mehr Spielraum: Wenn es weniger oder keinen Preisausgleich mehr gibt, kann sie Mehl, Milchpulver und Butter für Exportprodukte zollfrei im Veredlungsverkehr einführen, was die Produktion der Schweizer Bauern einschränken würde.
Nur, die Finanzverwaltung hat das Sparpotenzial schon vor dem In-Kraft-Treten der Bilateralen II geortet. Im Budget 2003 waren nur noch 100 Mio. Franken vorgesehen und auch dieses Jahr ist wieder so viel budgetiert. Im letzten Jahr ist es der Nahrungsmittelindustrie und den Bauern zwar über einen Nachtragskredit gelungen, den WTO-Plafonds von 114,9 Mio. Franken doch noch ausnützen zu können. Und ähnliche Bestrebungen laufen auch dieses Jahr. Falls aber nach dem In-Kraft-Treten der Bilateralen II der Plafonds mit den getätigten Exporten nicht mehr ausgeschöpft wird, bieten sich die "Schoggi"-Gesetz-Gelder gerade zu als Sparmöglichkeit an.
Zweite Gefahr: WTO
Kommt dazu, dass Exportsubventionen weltweit einen schlechten Ruf haben und in der laufenden WTO-Runde ein Angebot der EU auf dem Tisch liegt, alle Exportsubventionen zu streichen. Konzessionen in diesem Bereich wären dem Schweizerische Bauernverband lieber als bei den Importzöllen, die Exportbeiträge im Rahmen des "Schoggi"-Gesetzes möchte aber auch er verteidigen. Diese Gelder beeinflussen die Agrarmärkte in den Entwicklungsländern nicht, sondern machen den Rohstoffpreisnachteil der Schweizer Schokoladenhersteller wett.
Dennoch hat sich die Schweiz in der letzten WTO-Runde verpflichtet, die "Schoggi"-Gesetz-Mittel um gut ein Drittel zu reduzieren. Würden die laufende Verhandlungsrunde nochmals einen solchen Abbau erfordern, könnte dank den Bilateralen II auch dann noch gleich viel Mehl, Milch und Butter wie bisher verbilligt werden.
Weitere Details in "Spielraum für ‚Schoggi’-Exporte" im LID-Mediendienst Nr. 2599 vom 16. Januar 2003.