Wie wirken sich agrarpolitische Massnahmen auf die Höfe im Berggebiet aus? Welchen Einfluss haben sie auf das Bundesbudget? Erhöht sich damit der Energiebedarf oder die Klimabelastung? Diese und ähnliche Fragen bearbeiten die landwirtschaftlichen Forschungsanstalten ständig. Ob die jeweiligen Effekte aber den Wünschen der Gesellschaft entsprechen, das wurde bisher nicht untersucht. Gabriele Mack von der Forschungsanstalt Reckenholz Tänikon nahm sich erstmals dieser Fragestellung an. Als Beispiel wählte sie den Kraftfuttereinsatz bei Milchkühen (s. Kasten).
Billigeres Kraftfutter
Bislang ist Kraftfutter in der Schweiz relativ teuer, weshalb es sich für Schweizer Milchproduzenten nicht lohnt, grössere Mengen zu verwenden. Das würde sich jedoch ändern, wenn die Zölle sinken. Nach der Umsetzung des Agrarfreihandels mit der EU würde Kraftfutter vermutlich nur noch halb so viel kosten. Für die Bauern hiesse das, dass sie mit wenig Aufwand viel mehr Milch produzieren könnten. Doch Mack relativiert: "Der wirtschaftlich optimale Kraftfuttereinsatz hängt auch vom Leistungsniveau der Kühe ab und davon, wie teuer ein Betrieb Heu, Gras oder Silage herstellen kann. Im Berggebiet wäre der Effekt sicher geringer als im Talgebiet.“
Der Einsatz von billigem Kraftfutter bringt den Milchproduzenten Vorteile. Allerdings auf Kosten der Nachhaltigkeit. Denn um Kraftfutter herzustellen, braucht es Energie und Ackerland. Im Prinzip spielt es dabei keine Rolle, ob das Kraftfutter in der Schweiz oder im Ausland angebaut wird. Mack: "Wir haben in der Studie nur die Selbstversorgung mit Kraftfuttermitteln berücksichtigt. Aber das korreliert natürlich mit dem Selbstversorgungsgrad der Bevölkerung.” Und weil beim Berechnen des Netto-Selbstversorgungsgrades die Importe abgezogen werden, wird die Bilanz umso schlechter, je mehr Futtermittel importiert werden.
Powernahrung für Kühe: Allzuviel ist ungesund
ed. Bei der Milchviehfütterung unterscheidet man Kraftfutter und Raufutter. Zum Raufutter gehören rohfaserhaltige Futtermittel wie Gras, Heu, Maissilage, Zuckerrübenschnitzel oder Futterkartoffeln. Kraftfutter besteht dagegen überwiegend aus Getreide. Weil die Nährstoffe im Getreide konzentrierter vorliegen, kann mit dieser Powernahrung die Milchleistung der Kuh gefördert werden. Eine grobe Faustregel lautet: Ein Kilogramm Kraftfutter gibt zwei Liter Milch. Das gilt jedoch nur in gewissen Grenzen. Um gesund zu bleiben, braucht eine Kuh auch strukturreiches Futter wie Heu oder Gras.Schweizer Bauern setzen im europäischen Vergleich ausgesprochen sparsam Kraftfutter ein: In Deutschland wird zum Beispiel rund doppelt so viel und in Spanien etwa die sechsfache Menge Kraftfutter verabreicht. Das ist nicht nur schlecht für die Kuh, sondern auch schlecht für die Konsumenten: Denn je höher der Anteil Kraftfutter in einer Ration, desto geringer ist der Anteil der wertvollen Omega-3 Fettsäuren in der Milch. Viel Kraftfutter macht die Milch zwar billiger, dafür verliert sie ernährungsphysiologisch gesehen an Wert.
Verschiedene Typen, ähnliche Vorstellungen
Um abzuschätzen, wie die Gesellschaft diese Entwicklung beurteilt, verwendete Mack eine Umfrage der Universität St.Gallen aus dem Jahr 2007. Damals wurde die Bevölkerung in drei verschiedene Typen eingeteilt und deren Erwartung an die Agrarpolitik detailliert erfasst.
- Die Strukturbewahrer sind Menschen, denen die Selbstversorgung, die bäuerliche Kultur und die Erhaltung der bäuerlichen Landwirtschaft wichtig sind. Wichtiger jedenfalls als ein weiterer Abbau des Grenzschutzes oder mehr Umweltschutz. Diese Gruppe repräsentiert rund 37 Prozent der Bevölkerung.
- Die Ökosensiblen wollen zwar die bäuerliche Infrastruktur ebenfalls erhalten, wünschen aber einen Umbau der Agrarpolitik in Richtung strengere Tierhaltungs- und Umweltvorschriften. Sie sind gegenüber der Grenzöffnung misstrauisch und ebenfalls mit 37 Prozent in der Bevölkerung vertreten.
- Die Produktivitätsorientierten sehen sich dagegen als Reformer. Sie wollen die Landwirtschaft wettbewerbsfähiger machen und das Rationalisierungs- und Technologisierungspotenzial nutzen. Sie sind gegen Sonderauflagen beim Tier- und Umweltschutz und grundsätzlich bereit, unrentable Flächen (auch im Berggebiet) aufzugeben. Sie begrüssen die Internationalisierung der Landwirtschaft und repräsentieren etwa 26 Prozent der Bevölkerung.
Das Mittelmass der Dinge
Jede dieser drei Gruppen gewichtet die Faktoren Umweltbelastung, Wettbewerbsfähigkeit und Versorgungssicherheit anders. Mack: "Bei genauerer Betrachtung stellt man jedoch fest, dass die Unterschiede gar nicht so gross sind. Auch die Produktivitätsorientierten urteilen nicht nur nach der Wirtschaftlichkeit.“
Wenn Kraftfutter wesentlich billiger wäre, würde mehr verfüttert. Damit stiege die Umweltbelastung und die Abhängigkeit von ausländischem Kraftfutter. Darüber wäre keine der drei Bevölkerungsgruppen richtig glücklich, nicht einmal die Produktivitätsorientierten. Mack: "Das hängt vor allem damit zusammen, dass die Selbstversorgung mit Kraftfutter reduziert würde. Das will offensichtlich niemand.“ Auch das andere Extrem schneidet bei der Gesellschaft schlecht ab: Wenn sehr wenig Kraftfutter verwendet wird (zum Beispiel, weil es sehr teuer ist), braucht es nämlich mehr Kühe um dieselbe Menge Milch zu produzieren. Damit steigt die Klimabelastung, weil diese Kühe bis zu zehn Prozent mehr klimaschädliches Methan ausstossen. Das ideale Mass liegt also dazwischen. In Macks Modellierung zeigt sich, dass Preissenkungen zwischen 15 und 20 Prozent beim Kraftfutter am ehesten noch den Bedürfnissen der Bevölkerung und den Prinzipien der Nachhaltigkeit entsprechen.
Preisfaktoren unberücksichtigt
Eine derart moderate Preissenkung ist bei einem Freihandel jedoch nicht zu erwarten. Im Gegenteil: Eine ETH-Studie zur Entwicklung des Getreidebaus unter Freihandelsbedingungen geht bei tiefem Preisniveau sogar von einer Verdreifachung des Kraftfuttereinsatzes aus. Das könnte sich für die Bauern als Bumerang erweisen: Wenn die Schweizer Bauern genauso viel Kraftfutter verwenden wie die EU-Bauern, wird ihre Milch zwar billiger. Aber die Konsumenten werden sich irgendwann fragen, warum sie überhaupt noch Schweizer Milchprodukte kaufen sollten, wenn diese genau gleich hergestellt werden wie überall in Europa? Die Studie der Uni St.Gallen zeigte auch, dass die Mehrheit der Bevölkerung zwar bereit ist, für Qualität mehr zu bezahlen, dass aber das Qualitätsargument allein nicht sticht: In erster Linie muss das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmen. Und Kraftfuttermilch ist nicht annähernd so hochwertig wie Milch, die überwiegend mit Gras und Heu produziert wurde.
Kommentar: Export macht abhängig
Obwohl sich die erwähnte Studie nur auf das Thema Kraftfutter bezieht, ist das Ergebnis brisant. Im Klartext bedeutet es nämlich, dass die Bevölkerung die Folgen der Liberalisierung der Agrarmärkte gar nicht tragen will. Wenn mehr Milch, Käse oder Fleisch für den Export produziert werden sollen, braucht es dafür mehr Tiere und mehr Futter. Dieses Futter stammt entweder von Flächen, auf denen bisher Brotgetreide, Gemüse oder Obst angebaut wurde oder es kommt aus dem Ausland. Beides verschlechtert den Selbstversorgungsgrad, die Schweizer Bevölkerung wird damit abhängiger von importierten Lebensmitteln.Eveline Dudda
