"Kuck mal Mami, ein Maikäfer", ruft der Junge in unverkennbar hochdeutschem Dialekt. "Und da ist noch einer und noch einer", doppelt sein Schwesterchen nach. Auch die Eltern bestaunen nun die Wolke aus Käferleibern, welche hier am Flumser Berg den Waldrand umschweben: "Dass es das noch gibt!" Die Kinder jauchzen und lassen die dicken Brummer auf ihre Finger krabbeln. Deutlich weniger begeistert sind allerdings die Bauern am Berg. Zwar sind die Frassschäden der schwärmenden Maikäfer relativ harmlos. Buchen, Eichen, Ahorn und Lärchen erholen sich in wenigen Wochen vom Kahlfrass. Etwas schwerer wiegt es, wenn sich die gefrässigen Käfer Kirschen, Zwetschgen oder Nussbäume als Mahlzeit aussuchen.
Doch den grössten Schaden gibt es erst mit einem Jahr Verspätung. Denn sobald die Maikäfer beiderlei Geschlechts den Bauch voll haben, wollen sie nur noch Eines: sich vermehren! Das tun sie dann genau so intensiv wie zuvor das Fressen. Nach der Paarung legt das Weibchen bis zu 50 Eier im Boden ab, aus welchen sich später die gefürchteten Engerlinge entwickeln. Die Engerlinge sind ebenso gefrässig und treten genauso massenhaft auf wie ihre Eltern: bis zu 500 Exemplare wurden in einzelnen Befallsflächen auf einem einzigen Quadratmeter gezählt. Im Gegensatz zu den Käfern fressen die Engerlinge jedoch unter der Erde. So sorgen sie für manch unangenehme Überraschung: ganze Wiesenhänge werden auf einmal braun statt grün, Beerensträucher kippen schlaff zur Seite, Obstbäume verlieren ihren Halt und der Rasen von Golf- und Sportplätzen lässt sich wie ein Teppich aufrollen, wenn die Engerlinge erst einmal alle Wurzeln aufgefressen haben.
Im Jahresdurchschnitt verursachen die Engerlinge in der Schweiz auf 20,000 Hektaren Schäden im Wert von rund zwei Millionen Franken. Die Schäden sind nicht versicherbar, im Gegensatz zu Naturgewalten, wie zum Beispiel Hagel. Einzelne Kantone bieten jedoch finanzielle Unterstützung. Im Kanton Thurgau gibt es einen "Pflanzenschutzfonds", welcher sowohl bei Engerlingsschäden als auch für vorbeugende Massnahmen beansprucht werden kann. Am Fonds müssen sich die Bauern zuvor beteiligen: er wird zu je einem Drittel von den Bauern, Gemeinden und vom Kanton gespeist.
Mehr Beweidung entschärft das Problem
Maikäfer unterliegen gewissen Gesetzmässigkeiten, wie den typischen Massenvermehrungen, welche früher alle 30 bis 40 Jahre auftraten, heute jedoch nicht mehr zu beobachten sind. "Gegenwärtig befinden wir uns eigentlich auch in einer Massenvermehrungsphase", erklärt Siegfried Keller, Leiter des Bereichs biologische Schädlingsbekämpfung an der Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz. Allerdings sind die Schäden längst nicht mehr so gross wie noch vor wenigen Jahrzehnten. Das ist nicht nur auf Bekämpfungsmassnahmen zurückzuführen, sondern auch auf eine geänderte Bewirtschaftungsweise. So wird heute das Vieh praktisch überall auf die Weide geschickt. Das Gewicht der Kühe, bei ausgewachsenen Tieren immerhin eine gute halbe Tonne, verursacht bei den Engerlingen, welche sich zeitweise knapp unter der Bodenoberfläche aufhalten, im wahrsten Sinne des Wortes Trittschäden. Auch die intensivere Bodenbearbeitung im Ackerbau macht den Schädlingen das Leben schwer. Heute liegt das Hauptschadensgebiet der Maikäfer vor allem in den Randregionen des Ackerbaus, aber auch in Obstbaugebieten und in Föhntälern, wo die Hänge zu steil zum Beweiden sind. Dieses Jahr werden mit dem so genannten Berner Flug die Käferschwärme vor allem im Wallis, Innerschweiz, östlichen Berner Oberland und vom St.Galler Rheintal bis ins Bündner Oberland erwartet. Doch die jährlichen Rhythmen beginnen sich zu verschieben (siehe Kasten), so dass auch in anderen Regionen Maikäfer en masse nicht ausgeschlossen sind.
Maikäfer als Indikator für eine Klimaerwärmung?
ed. Bereits in den Achtzigerjahren wurde beobachtet, dass Maikäfer unter günstigen Bedingungen ihre Entwicklung von drei auf zwei Jahre reduzieren können. Die milden Winter und warmen Sommer der letzten Jahre, vor allem auch das Jahr 2003, förderten diese beschleunigte Entwicklung offenbar, wie Siegfried Keller von der landwirtschaftlichen Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz feststellte. An einigen Standorten war ein grosser Teil (bis zu 20 Prozent) der Population schon im Herbst nach dem Flug im dritten Larvenstadium; ein Jahr später wurden aus den Larven bereits Käfer. Die Folge dieser asynchronen Entwicklung sind zunächst Flüge in zwei aufeinander folgenden Jahren, später Flüge in allen Jahren. Inzwischen gibt es mehr und mehr Mischpopulationen, die nicht mehr eindeutig in die historische Einteilung der Berner, Basler und Urner Flugjahre passen.
Mit Pilzen umgarnen
Seit 1991 wird in der Schweizer Landwirtschaft Pilzgerste gegen die Engerlinge eingesetzt und ist inzwischen das einzige bewilligte Produkt gegen Engerlinge im Wiesland. Pilzgerste ist ein biologisches Schädlingsbekämpfungsmittel und besteht aus Gerstenkörnern, welche mit dem Pilz Beauveria brongniartii (weisse Muskardine) beimpft wurden. Damit werden die Engerlinge nicht ausgerottet – die Wirksamkeit liegt bei maximal 90 Prozent – aber doch so weit reduziert, dass sich ihre Schäden in Grenzen halten. "Der Pilz ist bei uns heimisch und kommt auch in der Natur vor. Er befällt nur Maikäfer und ihre Nachkommen und ist einfach zu züchten", begründet Keller die Mittelwahl. Die Pilzgerste bildet im Boden Sporen aus. Kommt ein Engerling mit diesen Pilzsporen in Kontakt, so keimen diese, bilden Pilzfäden, durchdringen damit die Haut des Engerlings und nehmen ihn vollständig in Besitz – bis er verendet. Das Mittel wirkt jedoch nur, wenn es auch sachgerecht ausgebracht wurde. Das ist nicht immer so einfach: der Pilz braucht, um sich optimal entwickeln zu können, ausreichend Feuchtigkeit und er muss tief genug in den Boden eingearbeitet werden; acht bis zehn Zentimeter sind ideal. Auf ebenen Flächen lässt sich das mit speziellen Sämaschinen und starken Traktoren bewerkstelligen. Doch wo die Hänge steil sind und der Föhn den Boden hart und trocken macht, kann die Pilzgerste damit nicht tief genug in den Boden gebracht werden. Denn mit den schweren Maschinen, die nötig wären um eine 3,5 Tonnen schwere Sämaschine mit dem notwendigen Bodendruck zu ziehen, lässt es sich am Steilhang weder fahren noch wenden. Wird die Pilzgerste jedoch nur oberflächlich ausgebracht, kann sie ihre Wirkung nicht optimal entfalten. Hier hilft deshalb nur mühsame Grabarbeit von Hand oder die Verwendung von ganz speziellen Geräten.
Käfern gehen ins Netz
Ausser Pilzgerste gibt es auch Schutznetze, welche in Obst- und Beerenkulturen, wie zum Beispiel Himbeeren, eingesetzt werden. Die Netze werden bodendeckend ausgebracht und verhindern, dass sich die Käferweibchen zur Eiablage in die Erde eingraben können. Wichtig ist dabei, dass das Netz nicht zu spät ausgebreitet wird, denn bereits acht bis zehn Tage nach Flugbeginn sind die schnellsten Weibchen zur Eiablage fähig. Da die Netze bei den Pflegearbeiten in den Obst- oder Beerenanlagen stören, werden sie entfernt, nachdem die grosse Schwärmerei vorbei ist. Der Arbeitsaufwand dieser Methode ist deshalb nicht unerheblich.
Informationen zur Maikäferbekämpfung sind bei den Maikäferspezialisten der Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz, Siegfried Keller und Christian Schweizer, erhältlich. www.reckenholz.ch
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