Die seit längerem in Russland wütenden Brände haben nicht nur den Verlust von Wäldern und ganzen Dörfern zur Folge – auch die Getreideernte wird empfindlich getroffen. Mehr als zehn Millionen Hektaren Ackerland sind bisher den Flammen zum Opfer gefallen. Weil Russland damit rechnet, dass statt den im Inland benötigten 70 Millionen Tonnen nur gut 50 Mio. Tonnen geerntet werden können, hat die Regierung am 5. August ein Exportverbot für Weizen verhängt, das am 15. August beginnen soll. Damit erhält die Versorgung der eigenen Bevölkerung erste Priorität.
Wichtige Abnehmerländer von russischem Weizen wie Ägypten, Israel oder die Türkei kommen so in die Bredouille. Sie müssen den Weizen zu höheren Preisen in Australien oder den USA beschaffen. Ägypten, der weltweit grösste Weizenimporteur, kauft jährlich sechs bis sieben Millionen Tonnen Weizen, die Hälfte davon aus Russland. Ägypten hat deshalb bereits darauf gedrängt, dass Russland das Exportverbot rückgängig macht.
Noch schlimmer trifft es die ärmsten Länder. Bangladesh etwa hat 65'000 Tonnen russischen Weizen gekauft, höhere Preise für australischen Weizen fallen bei dem bitterarmen Land stark ins Gewicht.
Weltbank warnt vor weiteren Exportverboten
Die weltweiten Getreidebestände und auch die vorläufigen Ernteprognosen sind zwar so hoch, dass eine erneute Ernährungskrise wie in den Jahren 2007/2008 nicht zu erwarten ist. Trotzdem warnte die Weltbank die weizenexportierenden Länder davor, dem Beispiel Russlands zu folgen und Ausfuhrblockaden zu verhängen. Die zu erwartende Preisspirale könnte für die ärmsten Länder trotz der weltweit hohen Bestände zu Beschaffungsproblemen führen. Die Weltbank kündigte auch an, den 2008 geschaffenen Nahrungsmittel-Fonds zu reaktivieren, falls sich eine Weizenknappheit abzeichne. Mit dem Fonds kann die Weltbank Entwicklungsländer beim Einkauf und der Produktion von Lebensmitteln unterstützen.
Gut möglich, dass dies noch notwendig wird, denn die Unsicherheit an den Börsen aufgrund des Entscheides von Russland ruft auch die Spekulanten auf den Plan, die Schwankungen beim Weizenpreis sind derzeit enorm – genau gleich wie 2008, als Spekulationsgeschäfte die Preisanstiege durch das geringere Angebot massiv verstärkten.
Ob das russische Verbot, das vorläufig bis Ende Jahr befristet ist, ausgedehnt oder gar wieder aufgehoben werden soll, ist derzeit offen. Unklar ist auch, was mit den Weizentransporten passiert, die noch auf dem Weg zu den russischen Seehäfen sind. Offenbar reichen deren Verladungskapazitäten nicht aus, um bis zum 15. August, wenn das Verbot in Kraft tritt, sämtliche Exportmengen zu verschiffen. Offen ist derzeit auch, ob sich Kasachstan und die Ukraine, mit denen Russland eine Zollunion bildet, dem Exportverbot anschliessen. Kasachstan hat sich zumindest vorläufig dagegen entschieden, die Ukraine will den Entscheid noch fällen.
Interessant ist ferner, dass nicht nur die russische Regierung ein innenpolitisches Interesse an dem Exportstopp hat. Auch eine russische Tochterfirma des weltgrössten Rohstoffhändlers Glencore mit Sitz in Zug legte der russischen Regierung diesen Schritt nahe. Denn das Exportverbot gilt als "höhere Gewalt" und entbindet die Firma nun davon, Lieferverträge zu erfüllen, die zu viel tieferen Preisen abgeschlossen wurden.