LID: Niederried-Fleisch verkauft Weidebeef an Stadtmenschen. Wie ist das Projekt entstanden?
Samuel Bühlmann: Entstanden ist das Projekt auf dem Hof meiner Eltern. Früher war der Betrieb mit Ackerbau, Milchproduktion und Käserei sehr vielfältig. Vor etwas mehr als fünf Jahren hat mein Vater dann begonnen, auf Mutterkühe umzustellen und das Fleisch über die konventionellen Kanäle zu verkaufen. Damit war es aber nicht möglich, zusätzlich zum Produkt die Arbeit und die Herkunft unseres Fleischs zu kommunizieren. Und das fanden meine Eltern schade, weil auch der Konsument nicht genau weiss, woher das Essen kommt. Diese beiden Enden wollten wir zusammenbringen. Und da meine Eltern die Direktvermarktung nicht als ihre Hauptaufgabe ansehen, haben sie ihre Kinder gefragt.
Und euch hat diese Idee gefallen?
Ja, absolut. Wir haben uns dann Gedanken gemacht, wie wir das Projekt umsetzen könnten. Zuerst wollten wir mit einem Marktstand möglichst direkt an die Kunden gelangen. Mit der Infrastruktur und der Kühlkette ist das aber nicht so einfach, und wir verwarfen die Idee wieder.
"Es ist wichtig, dass wir den Mehrwert unserer Produktion kommunizieren"
Gleichzeitig haben wir uns darauf zurückbesinnt, wie es früher bei uns war, als man noch Quark und Käse im Abo kaufen konnte. So haben wir uns entschlossen, eine Webseite aufzubauen, wo die Kunden Fleisch bestellen können. Die Webseite ist sehr gut angekommen. Und wir folgen jetzt diesem Weg.
Der Anspruch war immer, näher an den Endkonsumenten zu kommen?
Genau. Wir finden es wichtig, dass man den Mehrwert unserer Produktion kommuniziert. Uns Junge fasziniert es, dabei mithelfen zu können. Denn wir können eine traditionelle Form der Landwirtschaft mit neueren Elementen wie dem Internet kombinieren.
Was ist denn das Innovative an Ihrem Projekt?
Wir versuchen nicht das Produkt, unser Fleisch, zu vermarkten, sondern wir erzählen die Geschichte unserer Fleischproduktion. Damit können wir einen gewissen Kundenkreis begeistern, gerade weil der Fleischkonsum umstritten ist. Wir können Fakten liefern, die den Fleischkonsum ein Stück weit rechtfertigen. Und wir können damit spielen, dass es auf unserem kleinen Betrieb so schön ist, wie sich das die Kunden vorstellen. Deshalb wollen wir echte Produzentengeschichten erzählen, nicht die Geschichten, die von den Detailhändlern verbreitet werden. Und diese Geschichten bringen dem Konsumenten einen gewissen Mehrwert, ein authentisches, echtes Produkt.
Wie relevant ist der Direktverkauf für Ihren Vater mit der heutigen Projektgrösse?
Einerseits ist die Nähe zum Kunden nicht zu unterschätzen. Und das war der ursprüngliche Kerngedanke des Projektes. Andererseits stärkt unser Projekt auch die Position unseres Betriebes gegenüber den Konsumenten. Schliesslich muss der Endkonsument die Wahl treffen, ob er sich gesund ernähren möchte.
"Ich wollte die Verantwortung übernehmen"
Und wir können helfen, dass der Konsument eine bewusstere Wahl treffen kann, wenn wir ihm die verschiedenen Arten der Fleischproduktion erläutern können.
Sie wollen im laufenden Jahr neue Produzenten hinzugewinnen. Weshalb?
Wir wollen selbsttragend werden. Darum sind wir darauf angewiesen, dass wir grössere Mengen verkaufen können. Ausserdem wollen wir unsere Bemühungen anderen zur Verfügung stellen, weshalb wir unsere Kommunikation professionalisiert haben. Dass wir mittlerweile ein Netzwerk in und um die Stadt Bern aufgebaut haben, hilft dabei natürlich.
2011 haben Bruder und Cousin mit dem Aufbau der Webseite begonnen. Sie sind etwas später hinzugekommen. Was hat Sie dazu gebracht, ins Projekt einzusteigen?
Als ich 2013 von meinem Studium im Ausland zurückkehrte, fand ich etwas vor, woraus man meiner Meinung nach mehr machen konnte. Da sich ausserdem mein Bruder und die anderen Beteiligten etwas zurückziehen wollten, ist das Projekt an mir hängen geblieben. Und ich wollte auch die Verantwortung übernehmen, so war 2014 der Zeitpunkt gekommen, das Projekt weiter zu professionalisieren. Damals dachte ich noch, ich müsste eine Onlineplattform für Lebensmittel aufbauen. Ich konnte mir noch gar nicht vorstellen, nur Fleisch zu vermarkten. Ausserdem wurde mir aufgrund verschiedener Rückmeldungen klar, dass kein Produzent auf einen Onlinesupermarkt gewartet hat.
Die Produzenten hatten andere Probleme als das Marketing und der Verkauf ihrer Produkte über das Internet?
Nein, so würde ich das nicht sagen. Oft haben die Landwirte Schwierigkeiten, ihre Produkte zu vermarkten, weil die Kosten zu hoch bzw. die Erträge zu tief sind oder weil die Kommunikation nicht gelingt. Es gibt offenbar viele Arbeitsschritte, wo verschiedene Anbieter Mehrwerte schaffen können. Einfach so kann man Produzenten und Konsumenten nicht auf einer Webseite verlinken. Erst seit Anfang dieses Jahres will ich wirklich wissen, ob man mit einem einzigen Produkt, in unserem Fall Fleisch, genügend Absatz erreichen kann.
Kauft der Kunde Fleisch, soll er an Niederried-Fleisch denken?
Das wäre die Idee, ja. Ich bin mir auch nicht sicher, ob sich unsere Landwirte wirklich bewusst sind, wie wichtig ihre Rolle für unsere Gesellschaft ist.
Es ist aber auch wichtig, dass sich einzelne Landwirte öffnen und zur öffentlichen Meinungsbildung beitragen. Trotzdem wird das nicht jedem Landwirt gegeben sein.
Das ist sicher nicht jedem gegeben, nein. Die Frage ist auch, wie weit es zu der Aufgabe der Bauern gehört. Eigentlich ist ihre Aufgabe doch, Essen zu produzieren. Punkt. Trotzdem haben viele Landwirte zu Unrecht das Gefühl, vom Staat abhängig zu sein. Viele nehmen sich nicht einmal das Recht heraus, ihren eigenen Weg zu gehen und eigene Projekte zu lancieren. Und das würde meiner Meinung nach der ganzen Branche guttun.
Dossier "Innovation als Schlüssel zum Erfolg"
Mehr zu Innovation in der Land- und Ernährungswirtschaft sowie eine ausführlichere Version des Interviews lesen sie im LID-Dossier Nr. 470, das unter www.lid.ch abrufbar ist. Das Thema Innovation steht auch im Fokus des Swiss Agro Forum 2015, das am 4. September in Bern stattfindet.