
Wer sich eine Generalaudienz beim Heiligen Vater in Rom ähnlich wie eine Messe vorstellt, wird enttäuscht. Statt Besinnlichkeit und Ruhe herrscht auf dem grossen Platz vor dem Petersdom ein Trubel wie bei einem Popkonzert. Bereits Stunden vor dem Anlass drängeln die Massen auf den Platz um sich die beste Aussicht auf das Papamobil zu sichern. Wenn nach stundenlangem Warten einer der Kardinale den Namen einer teilnehmenden Organisation vorliest, wird laut geschrien und werden Transparente hochgehalten. An der Generalaudienz vom letzten Mittwoch nahmen rund 24 Organisationen aus zahlreichen Ländern teil. Entsprechend lang und laut war die Vorstellungsrunde, bei der das Verhalten mancher „Pilger“ an das von Cheerleadern in Stadien erinnerte. Nachdem Zirkusartisten dem Papst ihre Aufwartung gemacht hatten, wurde der Eindruck noch verstärkt, dass es sich hier um einen weltlichen, nicht jedoch sehr geistlichen Anlass handelt. Nur die Rede des Papstes, seine Aufforderung zur Barmherzigkeit und sein Hinweis auf das Leid und Elend in dieser Welt, holte die Anwesenden für kurze Zeit zum zentralen Anliegen des Christentums zurück.
Was nach aussen wie ein Fest wirkt, war für viele Teilnehmer eine ernste Sache. Vor allem für jene 140 Milchproduzenten vom European Milk Board, die aus ganz Europa angereist waren. Mit ihren weissen Fähnchen und den weissen EMB-Käppis fielen sie fast nur durch Bescheidenheit auf. Und durch ihre Stimmen: Aus der Ecke des EMB kam kein jugendliches Gekreische, sondern ein erwachsenes Grollen. Die Bauern waren nicht nach Rom gekommen um ein Selfie mit dem Papst zu machen. Ihnen geht es ums Überleben ihrer Betriebe, ihres Berufsstandes, ja der gesamten bäuerlichen Landwirtschaft, wie es sie heute in weiten Teilen Europas noch gibt.
Lobbying auf höchster Ebene
Der 68jährige Jacob de Vries aus Dadow, Mecklenburg-Vorpommern, war 2009 schon einmal beim Papst. Damals war er spontan mit dem Traktor losgefahren, nachdem sich zwei Bauern in seiner Nachbarschaft das Leben genommen hatten. Auf dem Hänger seines Traktors hatte er damals ein Transparent befestigt: „Meinen Glauben an die Politik habe ich verloren - an Gott nicht.“ Er drang nicht bis Papst Benedikt durch. Trotzdem ist er überzeugt, dass er weiter für gerechte Milchpreise kämpfen muss. Seinen Hof mit 450 Kühen hat er den Kindern übergeben. Der Betrieb ist weit und breit der einzige, der noch an der Milchproduktion festhält. Alle anderen haben aufgegeben. „Möglich ist das nur wegen der Biogasanlage. Aber es ist ja nicht der Sinn, mit dem Einkommen vom Biogas die Milchproduktion zu subventionieren.“
Kjartar Poulsen aus Dänemark hat eine andere Strategie: Er produziert mit seinen 850 Kühen Biomilch. „85 Prozent der dänischen Milchbauern verlieren jeden Tag Geld. Die restlichen fünfzehn Prozent sind entweder Biobauern oder sie haben das Glück abgeschriebene Gebäude oder tiefe Zinsen zu haben.“ Poulsen ist zwar Protestant, doch er schätzt das Oberhaupt der katholischen Kirche trotzdem als Würdenträger. „Der Papst gehört zu den drei mächtigsten Männer überhaupt.“ Im Gegensatz zu Obama und Putin hört die Macht des Papstes nicht an den Landesgrenzen auf, sondern umspannt die ganze Welt. Der römisch-Katholischen Kirche gehören etwa 1,2 Milliarden Menschen an. „Der Papst ist ein hervorragender Lobbyist“. Und einen Lobbyisten haben die Milchbauern derzeit nötig.

Volle Unterstützung vom Papst
Verglichen mit den Bauern aus Litauen, Dänemark, England, Irland, Deutschland und anderen Ländern waren die Schweizer Teilnehmer dieser Pilgerreise Kleinbauern. Aber ihre Sorgen sind identisch. Auch wenn sie nur 40 bis 60 Kühe melken, sind ihre Zukunftsaussichten alles andere als rosig. BIG-M-Sekretär Werner Locher sieht dasselbe Problem auf sich zukommen, wie seine Kollegen, nämlich dass die nachfolgende Generation nicht mehr in die Milchproduktion einsteigt. Das bedeutet noch lange nicht, dass die Milchüberschüsse deswegen sinken. Was der eine Betrieb weniger produziert, produziert der andere mehr.
Fünf Vertreter des EMB - Romuald Schaber aus Deutschland, Kjartar Poulsen aus Dänemark, Sieta van Keimpema aus den Niederlanden, Erwin Schöpges aus Belgien und Roberto de Cavalliere aus Italien - konnten dem Papst an der Generalaudienz ihr Anliegen persönlich vortragen. Schöpges verlas dabei ein Schreiben, indem die Liberalisierung des Marktes kritisiert wurde, welche die katastrophale Überproduktion bei der Milch überhaupt erst möglich macht. Die EMB-Vertreter übergaben dem Papst einen Korb mit Milchprodukten, für die faire Preise bezahlt worden sind. Schöpges: „Der Papst hat gesagt, dass er unsere Ideen zu hundert Prozent unterstützt und wir allen Leuten Mut machen sollen, für den Erhalt einer bäuerlichen Landwirtschaft einzustehen.“ Für die Milchbauern ein Riesenerfolg. Entsprechend motiviert reisten sie zurück.

Der Papst hat Macht
Papst Franziskus hat schon mehrmals die Gier und Masslosigkeit als Ursache der Ausbeutung natürlicher Ressourcen gegeisselt. Damit liegt er auf einer Linie mit Hollywoodstar DiCaprio, der auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos die "Gier der Konzerne der Kohle-, Öl- und Gasindustrie" angeprangert und einen Ausstieg aus der Nutzung fossiler Brennstoffe gefordert hat. So wie der Papst am Donnerstag DiCaprio zu einer Privataudienz empfangen hat, will er nun in einem halben Jahr die Milchbauern zu einem Arbeitstreffen begrüssen, die sich ebenfalls gegen eine Politik wehren, mit der multinationale Konzerne auf Kosten der Bauern und Konsumenten reich werden. Im Gegensatz zu DiCaprio haben die Bauern keinen Fonds mit 15 Mio., den sie verteilen können. Schöpges: „Die Überproduktion an Milch führt gleichzeitig zu Armut in Europa wie in Afrika.“ Das weiss auch der Papst, weshalb er den Neo-Liberalismus verurteilt und sich für fairen Handel einsetzt.
Der Papst hat Macht. Wie viel Macht, hat Lech Walesa einmal in Zahlen ausgedrückt. Der Anführer der ersten freien Gewerkschaft Solidarność im damaligen sozialistischen Lagers sagte gegenüber dem deutschen Magazin Spiegel: "Wenn ich in Prozentzahlen ausdrücken sollte, wer wie viel zum Zusammenbruch des kommunistischen Systems beigetragen hat, würde ich sagen fünfzig Prozent der Papst, dreissig Prozent Solidarność und Walesa. Den Rest besorgten Helmut Kohl, Ronald Reagan und Michail Gorbatschow." Bei Letzterem hatte Papst Johannes Paul II die Hände ebenfalls im Spiel. Er empfing Michail Gorbatschow vorgängig zu einer Privataudienz, die erheblich länger gedauert haben soll, als vorgesehen. Normalerweise werden für Privataudienzen 15 bis 30 Minuten veranschlagt. Schöpges sagt, dass das nächste Treffen mit Papst Franziskus etwa eine Stunde dauern soll.
Päpstliche Audienzen
ed. Das Wort „Audienz“ kommt vom Lateinischen „audire“, welches mit hören oder anhören übersetzt wird. Eine Audienz ist also eine persönliche Anhörung bzw. die Möglichkeit einer deutlich höher gestellten Person sein Anliegen vorzutragen.
Solange der Papst nicht auf Reisen ist, findet jeden Mittwoch eine Generalaudienz auf dem Petersplatz statt. Bei schlechtem Wetter wird sie in der Audienzhalle verlegt, die etwa 10'000 Personen fasst. Dass bei dieser Audienz nur ein paar wenige Personen Gelegenheit haben, ihr Anliegen dem Papst ihr Anliegen persönlich vorzutragen liegt auf der Hand.
Daneben gibt es Gruppenaudienzen mit bis zu 400 Personen und Privataudienzen für Bischöfe, Diplomaten, Politiker, Wissenschaftler usw.. Privataudienzen werden entweder mit Gruppen oder Einzelpersonen in der Privatbibliothek oder in anderen Räumen des Apostolischen Palastes abgehalten.

