14 Stunden Fahrtzeit verteilt auf zwei Tage: Während Feriengänger dieser Tage lange Reisen auf sich nehmen, um von ihren Destinationen in Europa oder Übersee heimzukehren, haben es Fernando Camenisch und Rinaldo Lisignoli in dieser Zeit nur gerade vom bündnerischen Schluein auf den Jaunpass geschafft. Das verwundert wenig. Denn für ihre rund 200 km lange Reise haben sie ein unkonventionelles Transportmittel gewählt – ihre Oldtimer-Traktoren, mit denen sie mit gemütlichen 20 bis 25 Stundenkilometern durch die malerische Landschaft tuckerten. Die beiden Bünder sind aber nicht die einzigen an diesem Wochenende Ende Juli, die eine stundenlange Anfahrt auf sich nehmen, um ihre Schmuckstücke am 11. Oldtimer- Traktorentreffen auf dem Jaunpass auszustellen. Aus der halben Schweiz kommen sie angefahren mit ihren Hürlimann-, Bührer-, Massey Ferguson-, IHC- oder Landini- Traktoren.
Glänzen um die Wette
Dicht an dicht stehen die knapp 50 Exemplare aneinandergereiht, alle erbaut in der Zeit zwischen 1930 und 1975. Es ist ein Schönheitswettbewerb der besonderen Art. Erleichterten diese Fahrzeuge früher die Arbeit auf dem Feld, zählt heute weniger der praktische Nutzen, sondern mehr das Optische und die Freude an der Ingenieurskunst vergangener Tage. Es ist geradezu ein Stück Industriegeschichte, die sich den zahlreichen Besuchern präsentiert, eine breite Palette an Formen, Grössen und Farben. Den Traktoren gemeinsam ist indes, dass sie im Gegensatz zu den modernen heutigen Traktoren langsam fahren, nur wenige PS aufweisen, viel kleiner und somit weniger imposant sind. Und dennoch geht von ihnen eine ungemeine Faszination aus, wie an den leuchten Augen ihrer Besitzer abzulesen ist.
Einfache Landtechnik ohne Schnickschnack
Während der 30-jährige Landwirt Fernando Camenisch von den Ausfahrten mit seinem 1967 erbauten Bührer (15'000 Betriebsstunden, 67 PS) schwärmt, spricht Heinz von Allmen von einem Virus, den ihn gepackt habe. Für den Besitzer von zwei Hürlimann-Traktoren – "am liebsten hätte ich noch einen weiteren" – besteht der Reiz in der damaligen, einfachen Landtechnik, die ohne viel Hightech auskommt. Da könne man selber noch dran rumbasteln. "Bei den heutigen Traktoren geht das nicht mehr", erklärt von Allmen, der sich als Hobbymechaniker bezeichnet. Zu Hause im bernischen Wilderswil hat er sich denn auch eine kleine Werkstatt eingerichtet. Als nächstes will er seinen Hürlimann (Baujahr 1969, 45 PS), der jährlich noch während rund 150 Stunden läuft, neu lackieren und verkabeln. Erzählt von Allmen von seinem Traktor, dann sprudelt es nur so aus ihm heraus. Der Schwellenmeister schwärmt von seinen beiden Hürlimanns – "die sind doch einfach herzig" –, und lobt die Qualitätsarbeit des einstigen Schweizer Traktorenherstellers, der sogar Modelle nach Afrika exportiert hatte.
Auf der linken und rechten Seite wird derweil eifrig gefachsimpelt:"Ist das ein Perkins- oder Ford-Motor?", "entsprechen die Lampen dem Original?" Man bestaunt seltene Modelle wie etwa den Schlüter, von dem nur zehn Stück gebaut wurden. Man unterhält sich über Ersatzteile und gibt sich Tipps fürs Restaurieren. Motoren werden gestartet, Runden werden gedreht. Einzelne der mit viel Herzblut auf Hochglanz polierten Traktoren sehen aus, als hätten sie eben erst die Montagehalle verlassen. Dass sie stattdessen 30 Jahre oder älter sind, nimmt man überrascht zur Kenntnis.
Oldtimer-Traktoren: Grosse Anhängerschaft
Oldtimer-Traktoren haben eine grosse Fangemeinde. Rund 5'000 Mitglieder zählt der anfangs der 1990er Jahre gegründete Verband "Freunde alter Landmaschinen der Schweiz" (FALS). "Während andere Vereine mit Mitgliederschwund kämpfen, können wir stetig zulegen", freut sich FALS-Präsident Präsident Jörg Schwaninger. Bei Oldie-Traktoren-Besitzern handle es sich keineswegs nur um Landwirte, die auf ihrem Bauernhof noch einen Bührer oder Hürlimann in der Scheune stehen haben. "Unsere Mitglieder stammen aus allen Berufssparten, vom Handwerker bis hin zum Akademiker und natürlich sind auch Bauern vertreten", erklärt Schwaninger. Beliebt seien die alten Traktoren zunehmend auch bei jungen Erwachsenen. Das Treffen auf dem Jaunpass ist nur eines von unzähligen solchen Anlässen, die von Mitgliedern der zehn Sektionen der FALS jährlich durchgeführt werden. Einmal pro Jahr findet zudem eine gesamtschweizerische Ausstellung statt, wo mehrere hundert Traktoren präsentiert werden. Jeweils im Sommer widmet seit kurzem das Verkehrshaus der Schweiz Oldtimer-Traktoren eine Sonderschau. 2009 wurden Hürlimann-, 2010 Vevey- und 2011 Bührer-Traktoren ausgestellt.
Bührer oder Hürlimann
Am zahlreichsten sind Traktoren der Marken Bührer und Hürlimann vertreten. Das erstaunt wenig, handelt es sich bei den beiden Firmen um Schweizer Traktoren- Hersteller mit langer Vergangenheit. Die Firma Bührer stellte im zürcherischen Hinwil von Anfang der 1930er Jahre bis 1978 über 22'624 Traktoren her, von denen angeblich heute noch rund die Hälfte im Einsatz stehen. Die Hürlimann Traktorenwerke befanden sich im st. gallischen Wil. 1979 wurden sie vom italienischen Hersteller Same übernommen. Bis zu diesem Zeitpunkt sind rund 30'000 Hürlimann-Traktoren hergestellt worden. Heute geniessen beide Kultstatus, wobei man entweder Hürlimann- oder Bührer-Fahrer ist. "Beides geht nicht", erklärt Kurt Baumgartner schmunzelnd, der mit seinem 1960 erbauten Bührer in rund 10 Stunden vom Baselbiet auf den Jaunpass gefahren ist.
Inzwischen ist es ein Uhr nachmittags, für Fernando Camenisch und Rinaldo Lisignoli ist es Zeit um aufzubrechen. Vor ihnen liegt eine 14-stündige Fahrt. Über Grimsel-, Furka- und Oberalppass geht es zurück ins bündnerische Schluein.
www.fettpress.ch, www.buehrertraktoren.ch, www.huerlimannclubschweiz.ch