"Der neue Zuchtwert entspricht zu 99 Prozent unserem Konzept der Zucht auf Lebenskraft", sagt Bio Suisse Präsident Ernst Frischknecht zum ökologischen Gesamtzuchtwert (ÖZW), den der Schweizerische Braunviehzuchtverband (SBZV) diesen Herbst erstmals veröffentlicht hat. Im Gegensatz zu der üblichen Berechnung der Zuchtwerte werden Stiere, deren Nachkommen länger leben und ihre Milchleistung mit den Jahren steigern, besser bewertet (Details siehe Kasten).
"Mit dem Öko-Zuchtwert wird sichtbar, dass in unserem Zuchtprogramm nicht nur "Turbo-Kühe" und "Top-Ten-Stiere" Platz finden", schreibt SBZV-Direktor Martin Zogg in der Zeitschrift "Schweizer Braunvieh". Innerhalb der braunen Rasse würden Tiere für die unterschiedlichsten Halte- und Fütterungsverhältnisse Platz im Zuchtprogramm finden. Mit dem ÖZW hat der Verband nun ein wissenschaftlich gesichertes Instrument, das er bei der Stierenproduktion anwenden kann.
Dennoch, der ÖZW stellt letztlich nur eine andere Bewertung und Reihung der Stiere dar, deren Auswahl nach den bisherigen Leistungskriterien getroffen wurde. Das heisst, die Zuchtrichtung hat sich nicht geändert. In erster Linie geht es immer noch darum, dass die Kühe möglichst schnell möglichst viel Milch geben.
Bio-Stiere bleiben auf der Wunschliste
Eine Änderung der Zuchtrichtung müsste bei der Zucht der zukünftigen Stiere für die künstliche Besamung – der gezielten Paarung – erfolgen. Dafür müssten Stierenmütter aus ökologisch wirtschaftenden Betrieben ausgewählt und mit ÖZW-Stieren gezielt gepaart werden. Das planen aber vorderhand weder der Branchenführer, der Schweizerische Verband für künstliche Besamung (SVKB), noch seine zwei Konkurrenten Select Star AG und Triple-Genetics-Service AG. "Gezielte Paarung für die Zucht von Bio-Stieren ist im Programm für dieses und nächstes Jahr nicht systematisch vorgesehen", bestätigt Hans-Ulrich Moser, Fachbereichsleiter Genetik beim SVKB. Jedoch würden Kriterien, die für den Biolandbau wichtig seien, bei der Auswahl der Stierenmütter und –väter berücksichtigt. Damit dies vermehrt geschieht, braucht es eine starke Lobby von Züchtern, welche keine Hochleistungskühe wollen. Ein besonderes Anliegen der Biobauern ist, dass Kühe und Stiere gezielt gepaart werden, die nicht mittels Embryotransfer (ET) gezeugt wurden. Denn ab dem Jahr 2002 wird es im Bio-Landbau verboten sein, ET-Stiere zur Zucht einzusetzen.
Zuchtwert: Entscheidungshilfe für Züchter
mo. Der Zuchtwert schätzt, welche erblich bedingten Leistungen von den Nachkommen eines bestimmten Tieres zu erwarten sind. Grundlage für die Berechnung bilden Daten des Tieres und ihm verwandter Tiere (Ahnen, Geschwister und Nachkommen). Berücksichtigt werden im Ökologischen Gesamtzuchtwert (ÖZW) die Leistungsmerkmale Milch, Fettmenge, Eiweissmenge und –gehalt der Milch, Persistenz (kontinuierliche Milchleistung während der Laktation) und Leistungssteigerung sowie die Konstitutionsmerkmale Nutzungsdauer, Lebendgeburtenrate, Zellzahl und Exterieur.
Der ÖZW unterscheidet sich von den üblichen Zuchtwerten in der Gewichtung der Konstitutionsmerkmale und in der Berechnung der Milchzuchtwerte. Für den ÖZW werden die ersten drei Laktationen nicht gleichmässig gewichtet, sondern die erste mit 20 Prozent, die zweite mit 30 Prozent und die dritte mit 50 Prozent Denn der Biolandbau strebt nicht hohe Leistungen in der ersten Laktation an, sondern eine gute Leistung in späteren Jahren, wenn das Tier ganz ausgewachsen ist.
Lobby für Kühe mit langer Lebensleistung beim Fleckvieh
Eine Lobby für Tiere mit hoher Lebensleistung ist innerhalb des Schweizerischen Fleckviehzuchtverbandes (SFZV) entstanden: die Interessengemeinschaft für eine starke rote Schweizer Fleckviehkuh mit langer Nutzungsdauer (IGFT). Fördern will die IGFT die Fleckviehkuh mit einem Red-Holstein-Blutanteil von 13 bis 74 Prozent (Sektion FT). Diese Sektion wird beim SFZV seit Mitte der 80er Jahre separat betreut, neben den Sektionen Original-Simmentaler, Red-Holstein, Holstein und neu auch Montbéliard.
Allerdings nimmt der Anteil der FT-Kühe am Herdebuch ab. Dem will die IGFT entgegenwirken. Die in ihr zusammengeschlossenen Züchter finden die FT-Kuh ideal, um ökologischen und ökonomischen Ansprüchen gerecht zu werden. Das bestätigt auch Ernst Frischknecht von Bio Suisse: "Diese Kuh entspricht in vielen Bereichen den Anforderungen an eine Bio-Kuh." Momentan sitzen laut der Zeitschrift "bio aktuell" drei Biobauern im zehnköpfigen Vorstand der IGFT. Die Interessengemeinschaft will alle Landwirte ansprechen, die an wirtschaftlichen und langlebigen Kühen interessiert sind.
Literatur zum Thema
LID. Das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) hat während zwei Jahren am Thema Ökologischer Gesamtzuchtwert geforscht. Diese Vorarbeiten konnte der Schweizerische Braunviehzuchtverband nutzen. Das FiBL stützte sich unter anderem auf die Ergebnisse des Forschungsprojektes "Ökologische Tierzucht und Tierhaltung", das von 1995 bis 1998 vom Bayerischen Staatsministerium an der Bayrischen Landesanstalt für Tierzucht in Grub eingerichtet wurde. ¦
Literatur: "Eine Bio-Kuh soll aus tiergerechter Zucht stammen", im LID-Mediendienst 2454 vom 2. März 2000
"Bewegung in der Schweizer Rinderzucht", eine Standortbestimmung in "bio aktuell" 6/2000
"Rinderzucht am Scheideweg", in Kultur & Politik 4/2000, Zeitschrift für ökologische und wirtschaftliche Zusammenhänge