Wenn ein Rindsplätzli zäh ist wie eine alte Schuhsohle, kann das vielerlei Gründe haben – angefangen bei der Tierhaltung über die Lagerung bis hin zu den Kochkünsten. Ein wichtiger Punkt, der die Qualität des Rindfleisches beeinflusst, ist die Situation der Rinder vor der Schlachtung. Bringt diese den Rindern viel Stress, kann sich das Fleisch verändern. Die zwei wichtigsten Anormalitäten treten auf, wenn das Fleisch entweder einen zu raschen Abfall des pH-Werts oder einen zu hohen End-pH-Wert aufweist. Im ersten Fall spricht man von PSE-Fleisch, die Abkürzung steht für pale, soft, exudative. Es ist blass, wässrig und strukturlos. Ist der End-pH-Wert zu hoch, wird das Fleisch mit der Abkürzung DFD für dark, firm, dry betitelt. "DFD-Fleischfehler kommen häufiger vor als PSE-Fälle", sagt Pierre-Alain Dufey von der Forschungsanstalt Agroscope Liebefeld-Posieux. Statistiken über diese Fleischfehler gebe es aber keine.
Geschmacklich ist bei beiden Deformationen kein Unterschied zu erkennen, nur Aussehen, Konsistenz und Haltbarkeit dieses Fleisches weichen von der Norm ab. Das Fleisch kann laut Dufey durchaus konsumiert werden: "DFD-Fleisch kann nicht lange gelagert oder vakuumverpackt werden, es wird deshalb als Frischfleisch verkauft oder tiefgekühlt." Der pH-Wert wird nach der Schlachtung gemessen. Liegt er über dem Wert sechs, wird die Ware als DFD-Fleisch deklariert. Ein pH-Wert von zwischen 5,5 und 6 ist laut Dufey normal.
Hohe Abzüge für schlechte Ware
Wie sehr die Rinder vor der Schlachtung gestresst seien, hänge von der Rasse, der Haltung, der Art des Transports und den Bedingungen im Schlachthof ab, sagt Dufey. Sorgfältiger, tiergerechter Umgang mit Schlachtvieh lohnt sich laut dem Fachmann nicht nur in ideeller Hinsicht: "Es liegt auch im wirtschaftlichen Interesse des Produzenten, dass seine Tiere unter optimalen Bedingungen geschlachtet werden – denn bei minderwertiger Ware entstehen ihm Einbussen." Bei einem Durchschnittspreis von 8.50 Franken pro Kilogramm Rindfleisch gebe es vom Schlachthof bis zu zwei Franken Abzug für minderwertiges Fleisch.
Gemäss Tierschutzgesetz sind Tiere so zu befördern, dass sie weder leiden noch Schaden nehmen. Die Interessengemeinschaft für tierschutzkonforme Tiertransporte und Schlachthöfe (IGTTS) setzt sich für den tierschutzkonformen Umgang mit Schlachtvieh ein und vereint Mitglieder aus verschiedenen Verbänden und Branchen. Richtiges Transportieren der Tiere bedingt für die IGTTS geschultes und erfahrenes Personal. Aus diesem Grund organisiert sie Ausbildungs- und Weiterbildungskurse für Schlachthofpersonal und Angestellte von Transportfirmen. "Aufgeregte Tiere bedeuten letztlich auch für die Menschen Stress", erklärt Ernst Rutz, Geschäftsführer der IGTTS.
Transportdauer umstritten
Dass für eine optimale Schlachtung vom Tierhalter bis zum Personal im Schlachthof alle Beteiligten verantwortlich sind, betont Thomas Jäggi vom Geschäftsbereich Viehwirtschaft des schweizerischen Bauernverbands (SBV). Vorab wichtig sei die Vorbereitung der Tiere auf das Schlachtungsprozedere: "Freilaufendes Vieh sollte einige Tage vor dem Transport angebunden werden und so an die Umstände gewöhnt werden", nennt Jäggi ein Beispiel.
Von Gesetzes wegen sind rutschfeste Böden, genügend Platz und gute Belüftung im Transportmittel unabdingbar. Bei der Frage, wie lange ein Tier durch die Landschaft gekarrt werden darf, herrscht bei den Fachleuten Uneinigkeit: "Rinder können Transporte bis zu 15 Stunden ertragen – schlimmer als die Dauer des Transports ist die Zusammensetzung der verladenen Tiere. Wenn sich diese nicht kennen und plötzlich auf engem Raum zusammen stehen, löst dies Stress aus", meint etwa der Forscher Dufey. Jäggi hingegen nennt als Maximum eine Fahrzeit von fünf Stunden.
Strenge Regeln bei Kagfreiland
Rigider behandelt der Verein Kagfreiland dieses Thema: Die Organisation setzt sich für die artgerechte Haltung von Nutztieren ein. Produzenten, die ihr Fleisch unter diesem Label verkaufen wollen, müssen sich an strenge Regelungen halten – auch was die Transportdauer betrifft "Tiere dürfen nicht länger als eine Stunde oder weiter als 30 Kilometer zu einem Schlachtbetrieb gefahren werden", erklärt Kagfreiland-Mitarbeiter Hans-Georg Kessler. Diese Auflage bedingt, dass sich in der Nähe des Betriebs ein Schlachthof befindet.
Die Kagfreiland-Produzenten Edith Gassmann und Peter Brem vermarkten auf ihrem Kleinbetrieb in luzernischen Wolhausen seit 13 Jahren das Fleisch ihrer jährlich acht Rinder direkt ab Hof. Schlachten lassen sie die Tiere in der Regio-Metzg in Schüpfheim, die etwa 20 Kilometer von ihrem Hof entfernt liegt. "Mein Mann begleitet das Tier beim Transport, damit jemand da ist, den das Rind kennt. So bleibt es ruhig. Weil der Schlachthof klein ist, haben die Tiere mehr Zeit, sich zurecht zu finden. Häufig wird auch nur ein Tier aufs Mal geschlachtet", hebt Edith Gassmann die Vorteile der Regio-Metzg hervor, die ihrer Vorstellung einer stressfreien Schlachtung entspricht. Dass nach den Kriterien Kagfreiland produziert wird, ist das Hauptwerbeargument für den Kleinbetrieb. "Meine Kunden wollen qualitativ hochwertiges Fleisch aus artgerechter Haltung kaufen. Mit dieser Spezialisierung können wir konkurrenzfähig bleiben", sagt Gassmann. Ihr Konzept geht auf: "Unser Fleisch wird gerühmt", sagt sie.
Keine Wartezeit bei Kleinen
Dem Metzger Josef Huwiler, Inhaber der Regio-Metzg in Schüpfheim ist es indes einerlei, ob bei ihm Natura Beef-Rinder oder konventionelles Vieh auf die Schlachtbank geführt werden. Durchschnittlich schlachten er in seinem Betrieb zwölf Rinder und Kälber pro Woche und legt dabei besonderen Wert darauf, dass die Tiere keine lange Wartezeit haben: "Ich vereinbare mit den Produzenten den Zeitpunkt, damit die Tiere nicht länger als eine halbe Stunde warten müssen", erklärt er. Er führt das Tier in die Tötungsbucht und erlegt das Rind von vorne mit einem Bolzenschuss in den Kopf: "Das ist die gängige und humanste Art." Diese Tötungsart wird auch in grossen Schlachthäusern praktiziert und hat keinen Einfluss auf die Qualität des Rindfleisches. Huwiler sieht im kurzen Anfahrtsweg und in der kurzen Wartezeit seinen Vorteil gegenüber grossen, zentral gelegenen Schlachthöfen.
Grosse verbessern sich laufend
Grosse Schlachtstätten haben hingegen mehr Möglichkeiten, den Tieren ein möglichst stressfreies Umfeld zu bieten. Bei Micarna, einem Industriebetrieb der Migros, wo in den Schlachthöfen von Bazenheid SG und in Estavyer VD 2004 rund 40,795 Stück Grossvieh und 45,998 Kälber geschlachtet wurden, wird alles getan, um den Tieren das Sterben so angenehm wie möglich zu machen. "Wir forschen kontinuierlich an Verbesserungen und treffen entsprechende Massnahmen", erklärt der Bereichsleiter des Vieheinkaufs, Ernst Graber. Die Anlieferung der Schlachttiere wird mittels Videokamera überwacht. Und seit einigen Jahren sind zudem spezielle Anpassrampen und eine Maximaltransportdauer von drei Stunden Bestandteil interner Richtlinien. Verboten sind dagegen elektrische Treibhilfen: "Wir achten auf ruhiges Abladen und rutschsichere Böden. Die Laufgänge weisen keine Ecken auf und das Licht in den Räumen ist weder zu dunkel noch zu grell", führt Graber weitere Punkte auf, welche die Tiere beruhigen sollen. Entstehen Wartezeiten von mehr als einer halben Stunde, werden die Rinder mit Wasser berieselt, was sie als angenehm empfinden. "DFD-Abweichungen kommen bei uns sehr selten vor – noch seltener ist PSE-Fleisch", erklärt Graber. Für ihn bestätigt das rare Vorkommen von DFD- und PSE-Fleisch den Erfolg der Massnahmen für stressfreies Schlachten.