"Jetzt gebe ich jahrein, jahraus tagtäglich meine 30 Liter", muhte Mona in aller Herrgottsfrühe. "Nun will ich selber einmal sehen, was eigentlich damit passiert." Gesagt, getan; Mona nahm Reissaus in Richtung Suhr AG. Dort kam die beste Kuh des Bauern Abderhalden nicht mehr aus dem Staunen heraus. In den Gebäuden der Argauer Zentralmolkerei (AZM), war die Hölle los. Nicht nur ihre und die Milch ihrer Kolleginnen aus dem Stall Abderhalden landete in den riesigen Gebäuden. 700‘000 Liter, vor allem aus dem Kanton Aargau, aber etwa auch aus Graubünden, wurden an diesem, wie an jedem anderen Tag, angeliefert. "Wir sind in der für die Schweiz einmaligen Lage, dass wir im Herzen des Mittellandes liegen und sowohl die Produzenten, die Verteiler und die Konsumenten sozusagen vor der Haustüre haben", hörte sie den AZM-Direktor, Gregor Emmenegger sagen. "Alles passiert bei uns unter einem Dach: Anlieferung, Verarbeitung, Auslieferung. Das ist ein grosser Vorteil, den wir gegenüber vergleichbaren Unternehmen haben, welche dezentrale Verarbeitungszentren haben."
Immer wieder neue Produkte
Nachdem Mona gesehen hatte, wie die Milch in Tankwagen angeliefert wurde, schaute sie bei der Produktion vorbei. Dort wurde ihr fast schwindlig: Maschinen surrten, Förderbänder ratterten und Abfüllanlagen funktionierten wie von alleine. "Alles ist blitzblank", erzählte sie später ihren Schwestern, als Mona gegen Abend wieder zurück in den Stall des Bauern Abderhalden gefunden hatte. "Nach der Einlieferung wird unsere Milch auf Bakterien getestet, der Fett- und Eiweissgehalt bestimmt, pasteurisiert, homogenisiert und bactofogiert." Was Bactofogieren heisst, wollte der Muni Toro wissen. "Da werden abgestorbene und lebende Bakterien und Zellen entfernt", erklärte Mona stolz auf ihren Wissensvorsprung und fügte bei. "Die bei der AZM sind die einzigen in der Schweiz, die das machen." Was dann danach mit der Milch geschehe, fragte ihre Nachbarin Cindy. "Du kannst dir das gar nicht vorstellen. Milch bleibt ja nicht einfach Milch: Je nachdem, ob nun Joghurt, Kaffeerahm, Butter, Schlagrahm, Dessertspezialitäten oder Milchpulver produziert wird, landet unser Saft in diesem oder jenem Tank. Die kreieren zudem bei der AZM jedes Jahr im Schnitt zehn neue Produkte, die auf die eine oder andere Art mit unserer Milch hergestellt werden." Mona erwähnt etwa die neuen Life-Style-Milchprodukte, die mit Calcium, Proteinen oder Vitaminen angereichert und in aseptische, also klinisch reinen, Flaschen abgefüllt werden. "Das muss offenbar so sein, weil die Menschen immer wieder etwas Neues wollen und weil der Verdrängungskampf in der Branche härter denn je tobt. Das Verrückte aber ist", schüttelt Mona den Kopf, "dass meine Milch von heute schon morgen in total verschiedenen Verpackungen in den Läden der ganzen Schweiz steht." Und noch so einiges hatte Mona bei ihrem Ausflug in die AZM mitbekommen. Etwa dass es 150 Liter Milch braucht, um 6.3 Kilo Butter, den durchschnittlichen Jahreskonsum eines Schweizrs, herzustellen, oder dass aus 10 Litern Milch 17 Kilo Joghurt entstehen. "Pro Jahr konsumieren die Zweibeiner in der Schweiz 90 Liter Konsummilch", erzählte sie stolz ihren Schwestern um dann nicht mehr ganz so stolz anzufügen: "Die Tendenz ist aber sinkend." Um die Rentabilität zu steigern, liefere die AZM nicht nur eigene Milchprodukte aus, sondern bediene die Kunden auch mit Glacé, Fleisch, Früchten, Käse oder Gemüse.
Auf den Schlauch getreten
fb. Vor rund 13 Jahren wurde der Milchmarkt mit dem Schlauchbeutel revolutioniert. "Der Beutel hatte viele Vorteile", erinnert sich der Direktor und Delegierte des AZM-Verwaltungsrates, Gregor Emmenegger. "Er war nur halb so teuer wie die Brick-Packung, leichter und er erlaubte es dem Handel auch, sich zu profilieren, denn etwas Neues ist immer sexy." Ein Argument wog in der damaligen Zeit schwer: "Die Kunden waren ökologisch sensibilisiert, darum eroberte sich der Schlauch schnell einen grossen Marktanteil." Inzwischen ist der Beutel wieder auf dem Rückzug und wird fast ausschliesslich für die Bio-Milch verwendet. Die Gründe sind vielfältig: Die Verpackung hat einerseits den Reiz des Neuen verloren, andererseits sprechen gemäss Emmenegger auch handfeste Gründe gegen den Beutel: "Er ist nicht stapelbar und somit für die Verteiler nicht optimal. Ausserdem kam es immer wieder einmal vor, dass die Verpackung ein Loch bekam. Wer je mit ausgelaufener Milch im Auto konfrontiert wurde, dem «stank» der Beutel wortwörtlich." Die heutigen Verpackungen, etwa die Tetra-Top der AZM mit dem Schraubverschluss, kommen ökologisch nicht ganz an den Schlauch heran. "Wenn man aber alle Faktoren in Betracht zieht, erreichen wir beinahe ähnliche Werte." Diverse Firmen sind zudem dabei, Verpackungen aus nachwachsbaren Rohstoffen zu kreieren.
Multi-Millionen-Maschine
Am meisten beeindruckt war Mona von Herzstück der AZM, der Tetra-Top Maschine. Die formt in einem Arbeitsgang aus Karton und Granulat einen Milchbehälter und füllt diesen gleich auch noch ab: "Wir liessen die Maschine, die einen hohen Millionen-Betrag kostet, so optimieren, dass die Verpackungen neben dem Drehverschluss zwei Höcker aufweisen und somit gestapelt werden können", hatte der AZM-Chef gesagt. "Wenn ich an seiner Stelle wäre, würde ich manchmal schlecht schlafen", erzählte Mona weiter. "Die haben nie Betriebsferien, um die Anlagen zu revidieren, wir liefern ja werktags wie sonntags unsere Milch. Wenn die nicht verarbeitet und abgefüllt wird, kommt es zum Super-Gau. Einerseits ist Milch ein verderbliches Produkt, das man nicht allzu lange aufbewahren kann, andererseits warten die Abnehmer in der ganzen Schweiz auf Nachschub." Darum seien Tag und Nacht Spezialisten vor Ort, die bei jedem Zipperlein dieser Anlage sofort eingreifen. Die AZM-Abnehmer, teilte Mona dem ganzen Stall mit, sind zu 56 Prozent die Grossverteiler Migros und Coop, zu 44 Prozent Detaillisten, wie etwa Volg oder die Bon Appetit-Gruppe. Bevor Mona zu müde wird, wiederkäut sie noch, was sie bei ihrem Besuch in Suhr weiter gehört hat: "Weil die Konsumenten immer gesundheits- und umweltbewusster werden, setzen die in der AZM immer mehr auf Bio", erklärt sie. "Das bedeutet, dass diverse Anlagen gleich doppelt geführt werden müssen, um Bio-Milch von Milch aus integrierte Produktion IP zu trennen." Und der AZM-Chef sei sehr zuversichtlich, dass der Anteil an Bio-Milch und Bio-Produkten weiterhin stark zunehmen werde. Dank der Zusammenarbeit mit Bio-Pool Ostschweiz habe die AZM den Kauf von Bio-Milch auf 20 Mio. kg im vergangenen Geschäftsjahr gesteigert. "Das ist nicht nur gut für uns Tiere", sinniert Mona. "Bio-Produkte könnten im Zusammenhang mit den Bilateralen auch ein Exportschlager werden." Den Einwand von Muni Toro, das sei dummes grün-rotes Geschwätz, kontert Mona mit folgendem Argument: "Als man vor 10 Jahren von integrierter Produktion redete, wollte auch niemand daran glauben. Und heute ist IP Standard." Aber wie es weitergehe, das komme halt auf die Politiker, die Grossverteiler und nicht zuletzt auf die Konsumenten an. "Sicher ist aber, dass wir mit den Strukturen in der Schweiz nicht gegen die Massenproduktion aus der EU anmelken können." Dann holte Mona noch einmal tief Luft und schloss ihren Bericht mit folgendem Aufruf ab: "Schwestern, wenn wir unsere Trümpfe nicht in die Waagschale werfen, mit gesunden und innovativen Produkten auf den Markt kommen, braucht es vielleicht bald weniger von uns."
Die Mär vom Kaffeerahm
fb. Kaum ein Produkt gerät so oft in die Gerüchteküche wie der Kaffeerahm. Das Grausligste, was man sich darüber erzählt, betrifft die Zusammensetzung: Schweinefett soll drin sein, eine andere Variante geht von gereinigtem Frittieröl aus. "Seit ich in dieser Branche bin, werde ich etwa alle drei Jahre mit diesen Geschichten konfrontiert", sagt AZM-Direktor Emmenegger. "Woher die Gerüchte kommen, weiss niemand, sie sind einfach da und werden immer wieder aufgewärmt." Offenbar hilft da auch der gesunde Menschenverstand nichts: "Kaum eine Branche wird so intensiv von den kantonalen Labors kontrolliert wie wir. Wäre auch nur ein Körnchen Wahrheit an dem Schweinefett-Gerücht, man würde uns den Laden ja sofort schliessen." Einmal mehr stellt Emmenegger klar was Kaffeerahm ist: Rahm mit 15 Prozent Milchfett, nicht mehr und nicht weniger. Die Hoffnung, dass das Gerücht nun verschwindet, hat Emmenegger allerdings nicht. "In zwei, drei Jahren sind wir wieder soweit." Die AZM ist übrigens der einzige Betrieb in der Schweiz, der seinen Kaffeerahm noch in Zweiweg-Glasflaschen anbietet.
Bild 1: Die Tetra-Top-Maschine formt die Milchbehälter und füllt sie gleich ab. (Bild: fb)
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Bild 2: Schön der Reihe nach kommen die fertigen Milchpackungen daher, bereit für die Lieferung. (Bild: fb)
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Bild 3: AZM-Chef Gregor Emmenegger (Bild: fb) | |
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Bild 4: Die AZM bietet als einziger Schweizer Betrieb Kafferahm in Zweiwegglasflaschen. |