Heute ist die Landwirtschaft in der Schweiz – aber auch in verschiedenen anderen europäischen Ländern – bei Getreide, Milch und Fleisch von Überschüssen geprägt. Die Nahrungsmittelproduktion im Inland müsste deshalb um zirka 50,000 Hektaren Acker- und Wiesland reduziert werden. Auf den freiwerdenden Flächen könnten die Bauern unter anderem Biomasse zur Herstellung von Treibstoffen anpflanzen. Fachleute aus der Schweiz, Deutschland und Brasilien zeigten an einer Tagung in Rüschlikon ZH den aktuellen Stand der Technologien und die Potentiale im Bereich Biotreibstoffe auf.
Gras besonders geeignet
Aus Biomasse lassen sich heute Methan, Methanol, Ethanol sowie dieselähnliche Öle und deren Ester herstellen (siehe Tabelle Seite 6). Besondere Aufmerksamkeit verdient dabei die Herstellung von Alkohol aus Gras. "Es hat sich gezeigt, dass in der Schweiz die Herstellung von Ethanol aus Gras sowohl aus energetischer Sicht wie auch bezüglich der Umweltauswirkungen die höchsten Potentiale beinhaltet", stellt Markus Real von der Alpha Real AG in Zürich fest. Dieses Verfahren sei sogar wirtschaftlich, wenn die bestehenden Flächenbeiträge von 1,500 Franken pro Hektare beibehalten würden und die bei der Produktion anfallenden Koppelprodukte verkauft werden können.
In der Schweiz wird denn auch heftig an entsprechenden Methoden getüftelt. So hat die Biomasse und Bioenergie (2B) AG in Dübendorf ZH eine Technologie entwickelt, um aus faserhaltiger Biomasse – generell Gras – Alkohol herzustellen. Als Koppelprodukte fallen dabei ein Proteinkonzentrat, das in der Tierfütterung eingesetzt werden kann, als auch technische Fasern (siehe Kasten) an. Im letzten Jahr hat die 2B AG eine entsprechende industrielle Demonstrations- und Produktionsanlage in der Ostschweiz in Betrieb genommen.
Neue Absatzmöglichkeiten für Landwirte
"Die Technologie ist wirtschaftlich interessant für Landwirte, Anlagebetreiber und Investoren", meint Stefan Grass von der 2B AG. Er sieht in der Gewinnung von Alkohol aus Gras aber noch eine Reihe anderer Vorteile: Das Verfahren ermögliche die Produktion von erneuerbarer Energie und weiteren Produkten aus kostengünstiger und reichlich lokal vorhandener Biomasse mit einem Prozess, der umweltfreundlich und nachhaltig sei. Sie liefere einen Beitrag zur Reduktion von landwirtschaftlicher Überproduktion durch eine neue Nutzung von Grasland und Ackerland. Dies stabilisiere ländliche Regionen, erhalte Arbeitsplätze und eröffne den Landwirten neue Absatzmöglichkeiten. Eine neue Grasnutzung sei zudem zur Reduktion von Grundwasserbelastungen in intensiven Ackerbaugebieten geeignet. Im Jahr 2000 will die 2B AG denn auch die erste kommerzielle Industrieanlage mit einer jährlichen Kapazität von 5,000 Tonnen Trockensubstanz in der Schweiz realisieren.
Ethanol aus Gras: Wie funktioniert das?
ug. Basis für die Alkoholproduktion aus Gras sind die in Gras reichlich vorhandenen freien Zucker, sowie gebundene Zucker. Dazu gehören Saccharose, Glukose, Fruktose, Cellulose, Fruktan und Stärke. Diese Zuckerverbindungen können mit Enzymen in Zucker gespalten werden, die von Hefe direkt zu Alkohol vergärbar sind. Die von der 2B AG entwickelte Technologie beinhaltet eine Vorbehandlung mit Dampf und darauffolgend die gleichzeitige Verzuckerung und Fermentation, die Produktion der Enzyme und die Aufbereitung der Endprodukte.
Die Anlage der 2B AG verarbeitet verschiedene Qualitäten von Gras und Klee/Gras (frisch, angewelkt und siliert) sowie andere Biomasse (z.B. Biertreber).
Als Koppelprodukte fallen ein Proteinkonzentrat sowie technische Fasern an. Das Proteinkonzentrat ersetzt Sojaschrot in der Schweine- und Hühnerfütterung. Die Fasern finden unter anderem als Isolationsmaterial Verwendung. Die Ausbeute aus einer Tonne Trockensubstanz Klee/Gras beträgt 150-200 Liter Ethanol, 150-250 kg Proteinkonzentrat und 200-250 kg Fasern.
Nur Zuckerrohr noch günstiger
Auch die Carbotech AG in Basel gibt der Alkoholgewinnung aus Gras äusserst gute Noten. "Bei den Biotreibstoffen aus landwirtschaftlicher und forstwirtschaftlicher Produktion in Europa weist die Ethanolherstellung aus Gras mit Abstand den geringsten Energieaufwand aus", belegt Fredy Dinkel aufgrund einer Studie der Firma. Geringerer Input an Energie benötige nur die Ethanolherstellung aus Zuckerrohr in Brasilien.
Schweiz hinkt hinterher
Eine grobe Potentialabschätzung zeigt, dass durch die Nutzung vorhandener Anbauflächen und Grünabfälle rund 10 Prozent des Treibstoffbedarfs der Schweiz ersetzt werden könnte, die Nutzung jeglicher Biotreibstoffe ist aber bis heute gegenüber anderen Ländern zurückgeblieben. Besonders weit ist die Nutzung von Biotreibstoffen in Brasilien und den USA vorangeschritten, wo Alkohol in grossem Stil aus angebauten Zuckerrohr oder Mais produziert wird. In Brasilien werden an den Tankstellen reiner Alkohol und eine Mischung von Alkohol und mineralischem Benzin angeboten. In Deutschland und Österreich wird heute in grösserem Umfang aus Raps gewonnenes Dieselöl als Treibstoff eingesetzt. Dieser sogenannte Biodiesel wird in Deutschland an über 750 Tankstellen verkauft, 1997 konnten bereits 100,000 Tonnen abgesetzt werden. Von solchen Verhältnissen ist die Schweiz – mit einer einzigen öffentlichen Biodiesel-Tankstelle im aargauischen Kölliken – noch weit entfernt. In der Schweiz gibt es bisher denn auch nur eine einzige Anlage, die Rapsöl zu Biodiesel verestert. Das Werk in Etoy am Genfersee, das seinerzeit mit finanzieller Unterstützung von Bund und Kanton Waadt realisiert worden ist, produziert täglich rund 7,000 Liter Biodiesel.
In scharfem Gegenwind
In welchem Umfang Biotreibstoffe künftig in der Schweiz und in Europa produziert werden, wird sich zeigen müssen. Tendenziell sind die Kosten für Rohöl seit 1970 gesunken. "Im Gegenwind dieser tiefen Treibstoffpreise haben es alternative Treibstoffe, die aus erneuerbarer Biomasse hergestellt werden zur Zeit schwer, ohne fördernde Massnahmen Marktanteile zu gewinnen beziehungsweise zu halten", meint Markus Real. Der Preiszerfall des Erdöls liege im Trend des Preiszerfalls praktisch sämtlicher Rohstoffe, die heute dank verbesserten Förder- und Verteilmassnahmen günstiger zum Endverbraucher befördert werden könnten. Eine Politik, die allenfalls die Förderung von Biotreibstoffen zur Erreichung einer nachhaltigen Entwicklung einschliessen möchte, müsse deshalb auch die weitere Preisentwicklung des Ausgangsstoffes Rohöl in Betracht ziehen. Preisausschläge nach oben dürften jederzeit wieder möglich sein, auch wenn Verknappungen in den nächsten Jahren noch kaum zu einem markanten, nachhaltigen Preisanstieg führen werden, schätzt Real.
Bund will sich zurückhalten
Das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) ist denn auch skeptisch, was die Herstellung von Biotreibstoffen in der Schweiz betrifft: "Die Produktion nachwachsender Rohstoffe könne zwar eine Funktion der Schweizer Landwirtschaft sein, das Problem liege aber in der fehlenden Wirtschaftlichkeit", meint Urs Gantner vom BLW. In einer Studie des Bundesamtes kommt zum Ausdruck, dass die Produktion von nachwachsenden Rohstoffen ökonomisch allgemein schlechter abschneidet, als jene konventioneller landwirtschaftlicher Produkte. Die Gründe dafür sind bei den unterschiedlichen Eigenschaften des Nahrungsmittel- und des Rohstoffmarktes zu suchen. Die Produktion des Massengutes Rohstoff zu energetischen Zwecken ist allgemein mit einer tiefen Wertschöpfung verbunden.
Der Bund will sich deshalb bei der Unterstützung von Biotreibstoffen zurückhalten. Zwar fördert er den Anbau nachwachsender Rohstoffe mit Anbauprämien von 1,500 Franken pro Hektare und einer Rohstoffverbilligung für Ölsaaten und landwirtschaftliche Biomasse. Auch wird die Technologie zur Herstellung von Ethanol aus Gras durch das Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft gefördert. Doch betont man beim Bundesamt für Landwirtschaft: Biotreibstoffe seien ein öffentliches Gut, bei dem kein Marktversagen vorliege. Fördermassnahmen durch den Bund müssten deshalb in Höhe und Dauer beschränkt sein.
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Quelle: Bundesamt für Energie, Tagungsband zur Veranstaltung "Biotreibstoffe" vom 22. Juni 1999 |