"Grünland ist die Seele der Kulturlandschaft im Berggebiet, zusammen mit den Milchkühen", sagt Karl Buchgraber. Er kennt den Alpenraum und weiss, dass es dieser Seele schlecht geht: 600'000 Hektaren Wiesen und Weiden sind in den letzten 20 Jahren im Alpenbogen zugewachsen und verschwunden, davon 100’000 Hektaren in Österreich. Auch in der Schweiz nimmt der Wald in den Alpen stark zu, die Zahl der Tiere auf den Alpen geht zurück. Dem Alpenbogen sind noch 370'000 Bauernbetriebe geblieben, nachdem in den letzten 20 Jahren 240'000 Betriebe, rund 40 Prozent, verschwanden.
Buchgraber, Leiter des Institutes für Pflanzenbau und Kulturlandschaft an der Forschungsanstalt für Landwirtschaft Raumberg-Gumpenstein im österreichischen Irdning, stellte diese Zahlen an der Tagung "Landtechnik im Alpenraum" vom 5. und 6. Mai in Feldkirch vor. "In den letzten 10 Jahren ist die Zahl der Rinder im Alpenraum um 100'000 Rinder zurückgegangen" erklärte er. "Das heisst, wir haben zu wenig Rinder im Alpenraum." Das Vieh ist aber wichtig für die Offenhaltung von Wiesen, Weiden und Alpen. Grünland in Form schöner Alpen mit Kühen ist nicht nur für den Tourismus notwendig. Es sorgt auch für eine gute Durchwurzelung des Bodens, hält das Wasser zurück und wirkt so der Bodenerosion entgegen. Auch die Biodiversität ist auf Grünland grösser als im Wald.
Markterlös reicht nicht aus
Die grosse Frage lautet, wie die Kulturlandschaft, insbesondere die Wiesen und Weiden im Alpenraum, am besten vor der Verwaldung geschützt werden kann. Um diese Frage beantworten zu können, berechnete und verglich Christian Gazzarin von der Forschungsanstalt Agrocsope Reckenholz-Tänikon ART mit seinem Team die Kosten für verschiedene Grasland-Nutzungen. Dabei wurden Schnittnutzungsverfahren wie etwa die Siloballenproduktion, oder extensive Tierhaltung mit den Referenznutzungen Mulchen und Milchviehhaltung verglichen. Beim Mulchen wird eine Wiese mindestens einmal pro Jahr gemäht und das Gras liegengelassen. Dieses einfache Verfahren genügt schon, um eine Verbuschung und Verwaldung der Grünfläche zu verhindern. Die Kostenberechnungen erfolgten sowohl für Berg- als auch für Hügel- und Talbetriebe. Die Resultate: Der reine Markterlös durch den Verkauf der Produkte Futter, Milch oder Fleisch ohne Direktzahlungen deckt bei keinem der untersuchten Verfahren die Kosten, weder im Tal- noch im Berggebiet. Am billigsten ist das Mulchen und wirtschaftlich am besten schneidet die Milchviehhaltung ab: der Produkteverkauf deckt die Fremdkosten; im Talgebiet und in der Hügelzone konnte sogar ein leicht positives Arbeitseinkommen erzielt werden. Im Berggebiet ist dies hingegen nicht der Fall.
Bei der Milchviehhaltung fällt die Grünlandpflege als Koppelprodukt an. Wollte man aber die Alpweiden alle mit Milchproduktion offenhalten, dann käme der Milchmarkt vollständig aus dem Lot, wie Gazzarin sagte: "Eine flächendeckende intensive Milchproduktion zur Erhaltung des Grünlands ist aus marktwirtschaftlichen und agrarpolitischen Gründen insbesondere im Berggebiet nicht realistisch". Vielmehr brauche es für eine ökologische Grünlandpflege wie etwa Mulchen eine entsprechende Abgeltung der ungedeckten Kosten. Eine solche schlägt der Bundesrat mit den Kulturlandschaftsbeiträgen in seinem Bericht zur Weiterentwicklung des Direktzahlungssystems denn auch vor.
Neue Ansätze in Österreich
Für Buchgraber hingegen sind Nutztiere die beste Lösung, um Grünlandflächen offenzuhalten. Denn er ahnt: "Wird der Bauer Landschaftsgärtner, so war dies dann die letzte Generation Bauern". Auch er untersuchte die Kosten von verschiedenen Nutzungen zur Offenhaltung von Grünland. Er verglich die Massnahmen Mutterkühe, Schafe, energetische und stoffliche Nutzung der Biomasse (Biogas, Heupellets, Silage oder Heu), mechanische Freihaltung mittels Mulch und Nutzungsaufgabe. Ohne staatliche Fördergelder schnitt keine Massnahme kostendeckend ab. Mit Fördergeldern brachten die Massnahmen Mutterkuh, Schafe, Verkauf Silage und Verkauf Heu einen positiven Erlös von maximal 100 Euro pro Hektare. Bei allen anderen Massnahmen musste der Bauer auch mit Fördergeldern noch draufzahlen.
Überbetrieblich wirtschaften
Eine Variante, um die Offenhaltung von Kulturland effizienter zu gewährleisten, ist die überbetriebliche Zusammenarbeit. So wurde im Rahmen eines staatlichen Forschungsprojektes im Salzkammergut versucht, neue Organisationsformen für die überbetriebliche Bewirtschaftung umzusetzen. Ziel des Projektes ist es nicht, die Besitzverhältnisse zu verändern, sondern eine Fläche über Betriebsgrenzen hinweg zu bewirtschaften und Maschinen, Geräte und Gebäude effizienter zu nutzen. Jeder Betrieb sollte eine wichtige Funktion im Gesamtkonzept und jede Bäuerin und jeder Bauer eine für sie zugeschnittene Aufgabe bei der gemeinschaftlichen Bewirtschaftung wahrnehmen. Auch war geplant, die Produkte aus Milch und Fleisch gemeinsam an die Gastronomie und Hotellerie zu vermarkten, allerdings mit wenig Erfolg. "Für die Realisierung dieses Projektes ist der Leidensdruck zu klein", lautete der Kommentar von Buchgraber zum aktuellen Projektstand.
Rohstoff von der Wiese
Er ist trotzdem überzeugt, dass die klein strukturierte Landwirtschaft grosse Chancen hat, wenn sie sich weiterentwickelt. Nach ihm sollen Voll-, Neben- und Zuerwerbsbetriebe sowie Gemeinschaftsbauern das Land nebeneinander bewirtschaften. Damit es auch künftig ein Mosaik an Bewirtschaftungsvielfalt gebe, müsse es neben der herkömmlichen tierischen auch eine energetische und stoffliche Nutzung der Biomasse geben. Hier denkt Buchgraben nicht zuletzt an die grüne Bioraffinerie, in der Grassilage gepresst wird. Aus dem Presssaft werden die Wertstoffe Aminosäuren und Milchsäuren gewonnen, die in der Lebensmittel- und Kunststoffindustrie verwendet werden. Der Presskuchen dient der Biogasgewinnung.
