"Ein lieblicher Frühlingsabend dämmerte über die Erde herein. Fröhlich eilten die Arbeiter von den Äckern heim, einem nahrhaften Abendbrote zu; rasch liefen Kinder mit Milchtöpfen den bekannten Ställen zu, gleich von der Kuh weg gute Milch zu fassen und eine sorgliche Hausfrau vor der Versuchung zu bewahren, zu erproben, wie Wasser in der Milch sich mache. Mit königlicher Stimme rief der Hahn seine Weiber ins Nachtquartier, und ängstlich trippelte seine Lieblingssultanin herbei, damit ihr ja der Sitz an ihres Herrn Seite nicht fehle."
So beschrieb Jeremias Gotthelf das Bauernleben in "Hans Joggeli der Erbvetter". Seither sind mehr als 150 Jahre vergangen. Prägte damals die Landwirtschaft das Leben, arbeiten heute gerade noch 3,8 Prozent der Erwerbstäti-gen auf Bauernhöfen. Vor 50 Jahren waren es immerhin noch 20 Prozent. Das Wissen über Bedeutung und Zweck der Landwirtschaft nimmt von Generation zu Generation ab. Heute kennen viele Kinder und Jugendliche Landwirt-schaft vor allem aus zweiter Hand, aus Büchern, Volkslie-dern und Fernsehsendungen.
Klischees und falsche Vorstellungen
Wenn Kinder gefragt werden, wer schon mal einen Kuhstall besucht oder eine Tiergeburt miterlebt hat, schütteln die meisten den Kopf. Andere nicken zögernd. Oft stellt sich dann heraus, dass das Erlebnis via Fernseher statt gefunden hat und die Kinder nur eine verschwommene Erinnerung. Anders verhält es sich, wenn Kinder eine Tiergeburt selber miterlebt haben. Dann kann sich das Erlebnis durch die Filmbetrachtung vertiefen.
Immer mehr Lehrpersonen und Bauernfamilien treten dem Trend entgegen, dass die Landwirtschaft aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwindet. Sie versuchen, diese Lücke zu füllen, indem sie gezielt zusammenarbeiten und Kindern und Jugendlichen sinnliche Erlebnisse, praktische Erfahrungen und direkte Begegnungen ermöglichen.
Auch wenn immer weniger Leute bäuerliche Berufe wählen, die Landwirtschaft ist die Grundlage für unsere Ernährung geblieben. Es sollte daher selbstverständlich sein, dass wir uns auf diesem Gebiet gründlich auskennen. Leider ist bei Kindern und Erwachsenen das Gegenteil der Fall. Die meisten Leute haben keinen direkten Bezug zur Landwirtschaft. Das fehlende Wissen führt zu falschen Vorstellungen. Zugespitzt formuliert wird die Landwirtschaft auf zwei Extreme reduziert: Entweder wird der Bauernhof mit heiler Welt oder aber mit Massentierhaltung, Monokultur, Pestiziden, gentechnisch veränderten Lebensmitteln und Maschinenparks gleichgesetzt. Landwirtschaft ist aber weder das eine noch das andere und besteht nicht nur aus Idyll oder schwarzen Schafen.
Landwirtschaft und Schule
LID. Heute kennen viele Kinder und Jugendliche die Landwirtschaft vor allem aus zweiter Hand, aus Bücher, Volksliedern und Fernsehsendungen. Das wollen Bauernfamilien, aber auch Lehrpersonen nicht einfach hinnehmen: Sie versuchen gezielt zusammenzuarbeiten, um Kindern wieder sinnliche Erlebnisse rund um Essen, Gesundheit und Umwelt zu vermitteln. Das LID-Dossier Nr. 399 "Schule in der Landwirtschaft, Landwirtschaft in der Schule" zeigt, was die Partnerschaft zwischen Schule und Landwirtschaft bringen kann. Im Dossier kommen auch Menschen zu Wort, die Erfahrungen mit Angeboten wie "SchuB – Schule auf dem Bauernhof" oder "Agro-Image" gesammelt haben. Zu finden sind ferner alle Kontaktadressen, die für interessierte Lehrerinnen und Lehrer, Bäuerinnen und Bauern nützlich sind.
"Schule in der Landwirtschaft, Landwirtschaft in der Schule", LID-Dossier Nr. 399 vom 11. Juli 2003, Preis: 10 Franken, für Abonnentinnen und Abonnenten des LID-Mediendienst gratis. Zu bestellen bei: Landwirtschaftlicher Informationsdienst LID, Postfach, 3000 Bern 6, Tel. 031 359 59 77, Fax 031 359 59 79, E-Mail: info@lid.ch
Wegweiser zur Natur
Die Landwirtschaft ist ein Wegweiser zur Natur und ihren Kreisläufen. Während viele Erwachsene noch Kindheitserlebnisse haben, die mit einem Bauernhof verknüpft sind, fehlen solche Erfahrungen heutigen Kindern immer mehr. Die Sozialpädagogin Bernadette Furter erinnert sich lebhaft an ein jährlich wiederkehrendes Erlebnis: "Waren die Kirschen reif, verankerte meine Grossmutter die Leiter sorgfältig im Boden, band mir einen Korb um und liess mich die Leiter hochsteigen. Hoch auf dem Baum schmeckten die Kirschen am besten und ich fühlte mich frei wie ein Vogel." In ihrer Arbeit hat die Sozialpädagogin dieses Ritual wieder aufgenommen, Kinder und Jugendliche machen begeistert mit.
In unserer technisierten Welt wird es immer wichtiger, Kindern und Jugendlichen Naturerlebnisse zu vermitteln, damit sie die Welt im wahrsten Sinne des Wortes be-greifen und ihre Abläufe verstehen können. Es hilft ihnen, sich in unserer komplexen Welt besser zu orientieren und Zusammenhänge zu verstehen. Dies lässt sich gut am Beispiel der Lebensmittelproduktion aufzeigen.
Kinder und Jugendliche kennen den Weg vom Lebensmittel zum Produkt nicht mehr, denn sie haben es zunehmend mit bereits verarbeiteten Produkten und fertigen Esswaren zu tun. Auch dass ein Lebensmittel Saison hat und nicht alle Esswaren einheimisch sind, ist für sie nur noch bedingt nachvollziehbar. Woher auch, zu jeder Jahreszeit ist bei uns in den Geschäften beinahe alles zu haben: In den Lebensmittelabteilungen warten gegrillte Poulets, gerüsteter und gewaschener Nüsslisalat im Plastikbeutel (auch im Sommer), frische Datteln, pasteurisierte Milch, Kartoffelstock in Flockenform und ofenwarmes Brot auf Kundschaft.
Ganzheitliche Erfahrungen vermitteln
Anna isst fürs Leben gern Chips. Aber sie konnte sich lange nicht merken, dass diese aus Kartoffeln hergestellt werden. Die Vorstellung, dass aus einer Kartoffel Chips werden, war ihr viel zu abstrakt. Ebenso fehlte ihr das Wissen, dass Kartoffeln im Boden wachsen, wie ein Kartoffelfeld aussieht und wann man es erntet. Aber eines wusste sie genau: Kartoffeln waren gesund, logischerweise auch ihre heiss geliebten Chips.
Nicht nur Anna zieht aus Unwissenheit falsche Schlüsse. Dies ist eine allgemeine Erscheinung. Angesichts unserer Tätigkeiten, die hauptsächlich im Sitzen ausgeführt werden, essen wir viel zu viel, zu fettig und zu zuckerhaltig. Mittlerweile ist jedes vierte Kind in der Schweiz übergewichtig. Tendenz zunehmend. Diese Zahlen und Prognosen sind alarmierend.
Die Lösung liegt auf der Hand: Kinder und Jugendliche müssen wieder lernen, sich gesund zu ernähren und sich mehr zu bewegen. Nur wie und wo? Um den Zusammenhang und das Zusammenspiel von Nahrungsmittelproduktion, Naturpflege und körperlicher Bewegung zu verstehen, ist grundsätzliches Wissen über Natur und ihren Jahreszyklus notwendig. Es braucht Kenntnisse über das Säen, Pflegen und Ernten und die Tierhaltung, um den Bezug zur Natur und Landwirtschaft wieder herzustellen. Dazu sind die Erwachsenen gefragt, Eltern, Erziehende, Gesellschaft und Politik. Zentrale Fragen sind: Wer vermittelt das nötige Wissen? Wie kommen Kinder zu elementaren Naturerfahrungen? Wie lernen sie ökologische Zusammenhänge verstehen?
Schule und Landwirtschaft – ein starkes Team
Hier knüpft der Grundgedanke vom Zusammenspannen von Landwirtschaft und Schule an. Die Schule hat die Möglichkeit alle Kinder einzubinden. Was die Kinder erfahren, fliesst auch wieder in die Familien zurück und kann dort weiterwirken. Es ist also eine einleuchtende Idee, die Schulräume für das Thema Ernährung, Gesundheit, Umweltbewusstsein, Nahrungsmittel-Produktion an den Ort des Geschehens zu verlegen – auf den Bauernhof. Hier können die Kinder Landwirtschaft und Natur live erleben. Umgekehrt besuchen Bäuerinnen und Bauern auch die Schule und motivieren Jugendliche für die Aufgaben der Landwirtschaft.
Solche Konzepte werden seit über zehn Jahren mit Erfolg umgesetzt. Dabei spannen Personen aus den Bereichen Schule, Umweltbildung und Landwirtschaft zusammen.
Zusammenhänge sichtbar machen
Annas Klasse hat mittlerweile einen Bauernhof besucht. Die Bäuerin beschrieb die verheerende Wirkung des Kartoffelkäfers. Anna hielt kurz einen Kartoffelkäfer in der Hand, was die Zweitklässlerin ziemlich viel Mut kostete. Später durften alle Kinder Kartoffeln ausgraben, waschen, schälen, in dünne Scheiben schneiden und im Ofen knusprig backen. Diese Vorgänge brauchten Zeit und waren arbeitsintensiv. Aber es machte auch Spass und die selbst geernteten Kartoffeln schmeckten doppelt gut. Anna geniesst ihre Chips weiterhin.
Trotzdem hat die Erfahrung, den Weg von der Kartoffel zu den Chips mitzuerleben, viel bewirkt. Die sinnliche Erfahrung, die aktive Mitarbeit auf dem Bauernhof wirkten sich auf das eigene Tun aus. Anna hat jetzt eine Beziehung zur Kartoffel. Sie hat ihr neues Wissen auch gleich zuhause angewendet und ihrem kleinen Bruder eifrig und genau den Weg der Kartoffel beschrieben.
Gerade für jüngere Kinder ist es sehr wichtig, direkte Naturerfahrungen zu machen, zu erleben, wie lange es dauern kann, bis etwas verrottet ist, zu spüren, wie sich Erde anfühlt, zu riechen, wie eine faule Kartoffel stinkt, dabei zu sein, wenn ein Tier auf die Welt kommt. Auf solchen Erlebnissen kann man weitere Erfahrungen aufbauen. Gut möglich, dass sich Anna später dafür interessiert, was in ihren Chips alles drin steckt oder wie die Aufbewahrungsbeutel produziert werden und wie sich dies auf die Umwelt auswirkt.
Die Sinne aufschliessen
"Vor allem in den Schulen könnte Aufklärung viel bringen", hiess es im "Facts", Nr. 24, 2003. In dieser Ausgabe wurden die Ursachen, Folgen und Auswege fehl ernährter Kinder thematisiert. Eine vor drei Jahren vom Bundesamt für Gesundheit beauftragte Arbeitsgruppe kam zum Schluss, dass der Unterricht bezüglich Ernährung verbessert werden müsse. Der Gedanke drängt sich geradezu auf, Schule und Landwirtschaft zu kombinieren. Die Erfahrungen zeigen: Wer den Ursprung von Nahrungsmitteln und ihre Zubereitung von Grund auf kennt, ernährt sich in der Regel bewusster und gesünder und geht sorgsamer mit der Natur um.
Konnten die Lehrerinnen und Lehrer früher von gemeinsamen ausserschulischen Sinneserfahrungen der Kinder ausgehen und darauf aufbauen, weisen heute viele Kinder, vor allem in städtischem Umfeld, Defizite in der sinnlichen Erfahrung auf. Diese Erlebnisse bilden jedoch eine wichtige Voraussetzung für die emotionale Bindung an die Natur und die Persönlichkeitsentwicklung. Deshalb holen immer mehr Lehrkräfte mit ihren Kindern solche Grunderfahrungen in der Schule nach, so auch Leo da Mutten. Er unterrichtet in einem urbanen Umfeld, die Klasse ist heterogen und multikulturell zusammengesetzt. Er besucht seit Jahren mit jeder dritten Klasse einen Bauernbetrieb: "Kinder brauchen für ihre Entwicklung elementare Erfahrungen. Dafür ist der Bauernhof ein idealer Ort."
Kinder und Jugendliche sind die Konsumenten von morgen. Sie gestalten die Zukunft unseres Landes. Sie brauchen die Unterstützung von Erwachsenen auf dem Weg zu einem verantwortungsvollen Umgang mit unseren Ressourcen. In diese Richtung zielt die Zusammenarbeit von Schule und Landwirtschaft.