
Die Landwirtschaft spielt eine wichtige Rolle in der Wirtschaft und der sozioökonomischen Entwicklung der Ukraine. Daneben gewährleistet die ukrainische Landwirtschaft die Ernährungssicherheit des Landes und macht rund 18 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Die Ukraine ist ausserdem ein wichtiger Akteur im globalen System der Ernährungssicherheit: Unter anderem ist die Ukraine der grösste Sojaproduzent in Europa und der sechstgrösste Sojaexporteur weltweit.
25 Prozent Verlust
Seit Beginn des russischen Angriffs im Februar steht der ukrainische Landwirtschaftssektor allerdings vor vielfältigen Herausforderungen. Zwar konnte der grösste Teil der Ernte mittlerweile eingefahren werden, der Export von Agrarprodukten gestaltet sich für die Ukraine allerdings schwierig. So wurden laut dem stellvertretenden Agrarminister Taras Vysotskiy 25 Prozent weniger Frühjahrskulturen angebaut. Betroffen seien vor allem Gebiete, wo militärische Operationen stattfinden würden. «Unter diesen Umständen erwarten wir keine maximalen Erntemengen», erklärt Taras Vysotskiy. Unter anderem wegen verlorengegangener Fläche, weniger verfügbarem Kunstdünger und Logistikproblemen bei Pestiziden werde es sicher keine sehr gute Ernte. Dank günstigen Wetterverhältnissen sei es aber nicht ganz so schlimm wie erwartet – so habe die Ukraine kaum oder gar nicht unter Trockenheit gelitten wie anderswo in Europa.
Den Umständen entsprechend
Die bis anhin eingefahrene Ernte könne unter den aktuell herrschenden Umständen als angemessen bezeichnet werden und sei grundsätzlich von guter Qualität, meint Taras Vysotskiy. So konnten die ukrainischen Landwirtinnen und Landwirte dieses Jahr rund 19 Millionen Tonnen Weizen, rund 5,5 Millionen Tonnen Gerste und rund 3 Millionen Tonnen Raps ernten. Im September starte nun die Soja-, Sonnenblumen- und Maisernte. «Wenn wir den aktuellen Zustand dieser Kulturen anschauen, dann erwarten wir eine Ernte von rund 27 Millionen Tonnen Mais, rund 10 Millionen Tonnen Sonnenblumenkerne und rund 3,5 Millionen Tonnen Sojabohnen», erklärt der erste stellvertretende Minister für Agrarpolitik und Ernährung weiter. Soja sei die einzige Kultur, bei der die Ernte voraussichtlich höher ausfalle als letztes Jahr, da auf dieses Jahr die Anbaufläche erhöht worden sei, während beim Mais rund 13 Millionen Tonnen auf die 40-Millionen-Tonnen-Ernte von letztem Jahr fehlten. «Grundsätzlich können wir aber die aufgrund der Trockenheit schlechter ausfallende Ernte in Europa mit einer mässig guten Ernte unsererseits etwas kompensieren», meint Taras Vysotskiy.
Prognosen sind gut
Die ukrainischen Landwirtinnen und Landwirte würden nun auch anfangen, die Winterkulturen anzusäen. Die Prognosen würden hier gut aussehen: Der Winterweizen werde zwar an Fläche verlieren, beim Raps dürfe dank der guten Preise aber mit einer gleichbleibenden Fläche gerechnet werden. Generell hätten die Ukrainerinnen und die Ukrainer ihren Fokus von Getreide vermehrt auf Ölsaaten verschoben, sagt Taras Vysotskiy. «Es gibt eine Zunahme der Fläche bei Sonnenblumen, Soja und Raps – insbesondere wegen des zusätzlichen Wertes pro Tonne», erklärt er weiter.
Export erholt sich – aber nur langsam
Auch beim Export beobachte das Agrarministerium positive Zeichen: Im April habe die Exportkapazität noch eine Million Tonne pro Monat betragen, im Juli und August sei Dank der Öffnung der Schwarzmeer-Häfen nun eine Exportkapazität von drei Millionen Tonnen erreicht worden. «Es ist also viel besser geworden – allerdings war die Exportkapazität vor dem Krieg pro Monat bei rund 6 Millionen Tonnen», erläutert Taras Vysotskiy. Das sei insofern ein Problem, da die Ukraine die nach wie vor gut gefüllten Lager abzubauen habe, um Platz für die neue Ernte zu machen. In diesen Lagern lagerten immer noch rund 22 Millionen Tonnen Getreide vom letzten Jahr, meint Taras Vysotskiy. Der Eigengebrauch von Getreide und Ölsaaten der Ukraine liege bei rund 20 Millionen Tonnen – mit den restlichen Lagerbeständen und der diesjährigen Ernte stünden rund 65 bis 70 Millionen Tonnen Getreide und Ölsaaten zum Export bereit. «Wir müssten also eine durchschnittliche Ausfuhrmenge von 5 Millionen Tonnen mindestens erreichen, damit sich die Lagersituation entscheidend verbessern könnte», sagt Taras Vysotskiy.
Optimismus trotz unsicherer Lage
Die Öffnung der Schwarzmeer-Häfen helfe und auch der Transport auf der Strasse sei hochgefahren worden, während sich der Transport auf den Gleisen noch als Flaschenhals darstelle. Auch bereiteten die Produktionskosten Sorge: Die massiv gestiegenen Energiepreise, hohen Dünger und Kraftstoffpreise sorgten dafür, dass die Produktionskosten der Bäuerinnen und Bauern nur knapp gedeckt seien. «Trotzdem schauen wir mit Optimismus in die Zukunft, aber natürlich stehen wir noch vor ganz vielen Herausforderungen – vor allem können wir Russland nicht trauen und uns nicht darauf verlassen, dass die Schwarzmeer-Häfen offenbleiben», meint Taras Vysotskiy abschliessend.