
Aktuell werden im Parlament 31 von 200 Sitzen Vertretern der Landwirtschaft zugeordnet oder gelten als landwirtschaftsnah, obwohl nur etwa drei Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig sind. Vier Nationalräte aus der Ostschweiz stellten sich den Fragen von SRF-Radioredaktor Philippe Gemperle.
Starke Vertretung in Bern
Hat die Landwirtschaft genügend politischen Einfluss? Andrea Caroni von der FDP Appenzell AR überlegte sich zuerst, ob die Frage ernst gemeint sei. Viel besser könne man es eigentlich nicht machen, attestierte er der landwirtschaftlichen Bevölkerung und ihren Vertretern. Obwohl die Landwirtschaft wirtschaftlich gesehen relativ wenig Bedeutung hat, beschäftige sie ihn überproportional, da es viele Gesetze gebe, welche die Landwirtschaft betreffen. Ähnlich sieht es auch Claudia Friedl von der SP St. Gallen, ebenfalls ohne bäuerlichen Hintergrund. "Die Bauern sind am besten vertreten", sagte sie. In der grossen Linie trage ihre Partei die Landwirtschaft mit, aber bei "Einzelinteressen" sei sie manchmal anderer Meinung als die Bauernvertreter. Nicht einverstanden ist sie mit der Auffassung, dass die Anliegen der Bauern in Bern nicht genügend wahrgenommen würden. Wie könnte das Parlament sonst der Landwirtschaft einen jährlichen Bundesbeitrag von etwa 3,6 Mia. Franken zusprechen? Dem hielt Markus Hausammann von der SVP Thurgau entgegen, dass in den meisten Bereichen die Budgets erhöht wurden, aber nicht bei der Landwirtschaft. Er ist Landwirt und Finanzpolitiker.
Landwirtschaft ist keine heilige Kuh
Obwohl die Bauernvertreter nicht einmal ein Sechstel des Nationalrates ausmachen, gelingt es ihnen trotzdem oft, Mehrheiten für ihre Anliegen zu finden. Manche Medien werfen den bäuerlichen Parlamentariern vor, "schmutzige Tricks" anzuwenden. "Arbeiten die Bauernvertreter im Parlament wie eine 'Armada'?", fragt Gemperle. "Für uns gibt es nicht Parteien, sondern Mehrheiten und Interessen. Wir schaffen mit denen zusammen, die gute Ideen haben", fasste Markus Ritter, Nationalrat CVP St. Gallen und Bauernverbandspräsident seine Strategie zusammen. "Sie lobbyieren nicht mehr als andere", beobachtet SRF-Bundeshausredaktor Hanspeter Trütsch im Parlament. Sorge macht Markus Ritter, dass es keinen einzigen praktizierenden Bauer mehr im Ständerat gebe. Bei der Bundesverwaltung, die sich mit den Anliegen der Bauern befasst, beklagte der Bauernverbandspräsident das oft mangelnde Verständnis. "Der Landwirtschaft geht es wie dem Militär", stellte Trütsch fest. "Sie ist keine heilige Kuh." Für ihn kommt die "entscheidende Phase" in den nächsten vier Jahren. Dann muss es der Landwirtschaft gelingen, den Wert ihrer Leistungen, zum Beispiel für die Landschaftspflege, an die Bevölkerung hinüberzubringen und sich am Markt zu behaupten. Das dürfte nicht leicht werden, denn es kommen – wie der Bundeshausredaktor meint – schwierige Zeiten auf das Land zu.
"Einfluss der Landwirtschaft ist gross"
"Ich würde sagen, der Einfluss der Landwirtschaft ist gross", sagte SRF-Bundeshausredaktor Hanspeter Trütsch. Ein grosser Teil der schweizerischen Bevölkerung hat bäuerliche Wurzeln und damit eine emotionale Bindung an die Landwirtschaft. Trütsch spricht in der Schweiz sogar von einer "agrarisch geprägten Gesellschaft". Doch nicht nur der geschichtliche Hintergrund ist schuld am grossen politischen Einfluss der Landwirtschaft, sondern auch die geschickte Politik der Bauernpolitiker. "Es ist der Landwirtschaft gelungen, ein gigantisches Netzwerk aufzubauen", sagte Trütsch und lobte die Bauernschläue: "Die Bauernlobby hat gut geschafft." In Zukunft dürfte es laut Trütsch allerdings für die Landwirtschaft trotz geschickten Allianzen schwieriger werden, Mehrheiten für ihre Anliegen zu finden, denn der Steuerzahler achte vermehrt darauf, wofür der Staat das Geld ausgebe. Es komme, so Trütsch, eine neue Generation, die anders denke. Ihr genüge das "Renzo Blumenthal-Image" der Landwirtschaft nicht, um dafür Steuern zu zahlen. Die Landwirtschaft müsse vermehrt inhaltlich argumentieren, also ihre Leistungen für die Allgemeinheit ausweisen. Sie müsse sich zudem auch am Markt behaupten; denn nur noch ein kleiner Teil des Verkaufspreises im Laden gehe zum Bauern. "Die Verhältnisse stimmen nicht mehr. Der Zwischenhandel sahnt ab", fand Trütsch deutliche Worte. Die Bauern müssten die Marktmacht des Handels und der Verarbeiter brechen. Die Voraussetzungen für einen guten Rückhalt in der Bevölkerung seien offensichtlich nicht schlecht. "Sie haben ein gutes Image. Sorgen Sie dafür, dass es so bleibt", bestärkte Trütsch die Landwirte. Dazu gehöre es auch, Kritik zuzulassen und selbstkritisch zu sein.
