Auf eine aussergewöhnlich üppige Ernte deutete zunächst nichts hin. Der Schweizer Obstverband (SOV) rechnete in seiner Ende Mai veröffentlichten Schätzung mit rund 2'500 Tonnen Tafelkirschen. Jetzt, wenige Tage vor Abschluss der Ernte, haben die Obstbauern bereits über 3'400 Tonnen gepflückt. Das sind doppelt so viele Kirschen wie im mageren Vorjahr. Ein Blick ins Geschichtsbuch zeigt zudem: Noch nie wurden so viele Tafelkirschen geerntet, seit der SOV im Jahr 1985 begann, diese statistisch zu erfassen.
Viele grosse Kirschen
Heuer wurden 3'410 Tonnen Tafelkirschen gepflückt (Stand 7. August). Davon waren 85% grossfruchtige Kirschen. In den einzelnen Handelskategorien ausgedrückt: 36% entfiel auf die Klasse Premium (Kirschen mit einem Durchmesser ab 28mm), 49% auf die Klasse Extra (>24mm). Die Klasse I-Kirschen, die Kategorie mit den kleinsten Tafelfrüchten (>21mm), kam lediglich auf einen Anteil von 15 Prozent. Damit setzte sich der langjährige Trend zu grossen Kirschen auch heuer weiter fort. Die Klasse I – zumeist Kirschen von Hochstammbäumen, die vor Unwetter nicht geschützt sind – wird immer unbedeutender.
Optimales Wetter sorgt für üppige Erträge
"Während der Blütezeit herrschte ideales Wetter, Bienenflug und Befruchtung waren optimal”, erklärt Hansruedi Wirz, Präsident des Produktzentrums Kirschen/Zwetschgen des Schweizer Obstverbandes und Swisscofel. Während der Karwoche hätte es zwar einige kritische Tage mit nasskalter Witterung gegeben, negative Folgen blieben aber aus. "Insgesamt war das Wetter sehr wüchsig, Kälteeinbrüche gab es keine”, so Wirz. Der viele Regen im Juli habe den Kirschen auf ungeschützten Bäumen stark zugesetzt, nicht aber den überdachten Kulturen. "Vor 15 Jahren hätte ein solches Wetter eine ganze Kirschenernte weitgehend vernichtet”, gibt Wirz zu bedenken. Weil heutzutage aber immer mehr in geschützten Anlagen produziert werde, habe man den Markt jederzeit mit Top-Kirschen beliefern können.
Regen lässt Kirschen wachsen
Die grossen Niederschlagsmengen im Juli haben das Wachstum der Kirschen gefördert. Dadurch legten diese an Gewicht zu, was einerseits zu grossfruchtigen Kirschen führte, andererseits aber dafür sorgte, dass gegen Ende der Ernte noch immer grosse Mengen vermarktet werden mussten. Eine grosse Herausforderung: Zumal noch immer Ferienzeit war, weil das trüb-nasse Wetter im Juli den Früchtekonsum eher hemmte und weil der Appetit auf Kirschen gegen Ende Sommer eher ab- als zunimmt. Dazu kam, dass die Zwetschgenernte bereits angelaufen war und im Sommer die Palette an Früchten ohnehin gross ist. Folge: Der Absatz begann zu stocken, in den Lagern stapelten sich die Kirschen. Um nicht auf den Kirschen sitzen zu bleiben, einigten sich Obstproduzenten, Vermarkter und Grossverteiler auf breitangelegte Verkaufsaktionen. Die Migros bot Anfang August Kirschen schweizweit 40 Prozent günstiger an. Auch Coop versuchte in ihren Filialen in der West- und Ostschweiz sowie in der Region Bern und im Tessin den Kirschenkonsum mittels Sonderangeboten anzukurbeln.
Bei Frühsorten noch Potenzial
Wie sich die Überschüsse auf die Produzentenpreise auswirken, könne derzeit noch nicht abschliessend gesagt werden, so Wirz. Er rechnet – über die ganze Saison gesehen – aber mit guten Produzentenpreisen. Das hat seinen Grund: Noch nie wurden so viele grosse Kirschen geerntet wie heuer (siehe Kasten). Diese weisen eine höhere Wertschöpfung auf, für Obstbauern sind grossfruchtige Kirschen deshalb lukrativer als kleine. Allerdings ist deren Produktion auch teurer, stammen die grossen Kirschen aus überdachten Anlagen, die mit hohen Investitionen verbunden sind.
Angesichts der diesjährigen grossen Mengen bei den späten Kirschensorten ist für Wirz klar, dass hier die Anbaufläche nicht weiter ausgedehnt werden darf. Potenzial sieht er hingegen im frühen Bereich. Denn im Frühsommer müssen jeweils grosse Mengen importiert werden, weil Schweizer Kirschen noch nicht verfügbar sind.
Kirschessigfliege richtet teils erhebliche Schäden an
Die Freude der Obstbauern über die grosse Ernte wird von einem relativ neuen Schädling getrübt: der Kirschessigfliege. Im Sommer 2011 erstmals im Tessin nachgewiesen, ist das aus Asien eingeschleppte Insekt heute in der ganzen Schweiz verbreitet. Bislang hat die 2 bis 3 mm kleine Fliege vor allem im Beerenanbau Schäden angerichtet, Kirschen hat sie weitgehend verschont. Anders heuer: Laut der Forschungsanstalt Agroscope kam es in diesem Jahr erstmals teils zu erheblichen Schäden. Befallene Kirschen lassen sich wegen der Maden nicht mehr als Tafelfrüchte verkaufen. Eine erprobte und wirksame Bekämpfungsstrategie gegen den neuen Schädling Kirschessigfliege existiert noch nicht. Die Forschungsanstalt Agroscope arbeitet mit Hochdruck daran. Eine Möglichkeit ist die Totaleinnetzung: Dabei werden Obstanlagen rundum mit einem engmaschigen Netz eingepackt, um die Fliegen auszusperren. Köderfallen, welche die Kirschessigfliege mit einem Lockstoff anziehen, haben sich als wenig wirksam herausgestellt. Der Einsatz von Spritzmitteln ist – als Ultima Ratio – nur mit Sonderbewilligung der kantonalen Fachstellen erlaubt. Der Erfolg ist zudem ungewiss. Denn wegen mangelnder Erfahrung weiss man nicht, ob herkömmliche Spritzmittel auch gegen die Kirschessigfliege wirksam sind. Was die Bekämpfung der Kirschessigfliege besonders schwierig macht: Sie legt ihre Eier – anders als die Kirschenfliege – nicht in halbreife, sondern bevorzugt in fast reife Früchte wenige Tage vor der Ernte.
Siehe auch Artikel "Kirschessigfliege auf dem Vormarsch” im LID-Mediendienst 3182 vom 25. Juli 2014.
