Noch sind sie nicht reif, die Kirschen. Doch Paul und Beat Sprenger haben bereits beide Hände voll mit den Vorbereitungen für die demnächst beginnende Ernte zu tun – und dies seit Wochen. Prognosen für die Abnehmer müssen erstellt, Regendächer montiert und die kleinen Früchte vor Schädlingen geschützt werden. In ein paar Tagen geht es los: Sechs Wochen werden die ganze Familie Sprenger sowie weitere Helfer im Dauereinsatz stehen. Kirschen pflücken, sie nach Grösse und Farbe sortieren und jeweils am gleichen Tag an die Landi abliefern. Denn die empfindlichen Früchte sollen möglichst erntefrisch in die Läden kommen.
Seit über 100 Jahren bewirtschaftet die Familie Sprenger den Hof Breitfeld ob Wintersingen BL. Und seit über 100 Jahren bauen sie Kirschen an. Beat Sprenger, der 2009 den 36-Hektaren-Betrieb von seinem Vater Paul Sprenger übernommen hat, führt diese Tradition bereits in der fünften Generation weiter.
Schweizer Bauern woher – wohin?
Seit 75 Jahren schlägt der LID Brücken zwischen Stadt und Land. In einer Artikelserie mit Bauern verschiedener Generationen sucht der LID 2012 Perspektiven für die Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft.
Von Hoch- zu Halbstamm
Rückblende: Als Paul Sprenger den Hof von seinem Vater Karl im Jahr 1981 übernahm, standen noch rund 300 Hochstammobstbäume auf dem Betrieb. Bis zu 25 Leute waren teils gleichzeitig am Pflücken. Die Ernte war mühsam und gefährlich. Lange, teils über 30 Sprossen zählende Leitern mussten angestellt werden. "Wir hatten Glück. Abgesehen von zwei kleineren Unfällen ist nichts passiert", erklärt der 62-jährige Paul Sprenger. Den weitaus grössten Teil der geernteten Kirschen lieferten sie an die Konservenindustrie oder an Schnapsbrennereien. Tafelkirschen produzierten sie nur wenig.
Paul Sprenger ging bald daran, den Kirschenanbau zu modernisieren. Die zunehmende Mechanisierung der Landwirtschaft verlangte nach einer rationellen Bewirtschaftung der Felder. Die Hochstammbäume, die Paul Sprengers Vorfahren über den ganzen Betrieb verteilt gepflanzt hatten, waren nunmehr ein Hindernis. Sprenger konzentrierte die Produktion stattdessen an einem Standort, indem er eine Anlage mit kleineren, aber effizienter zu bewirtschaftenden Halbstammbäumen anlegte.
Von Halbstamm- zu Spindelbäumen
Inzwischen spielen auch die Halbstammbäume keine grosse Rolle mehr. Ende der 1990er Jahre haben die Sprengers ihre Kirschenproduktion weiter professionalisiert, indem sie die Halbstamm- durch Spindelbäume ersetzten. Mittlerweile haben sie rund zwei Hektaren dieses hoch produktiven und rationell zu bewirtschaftenden Baumtyps. Hiessen die Sorten früher Holinger oder Basler Langstieler, tragen sie heute klingende Namen wie Merchant oder Sweetheart. Waren es früher Konserven- und Brennkirschen, produzieren die Sprengers heute hauptsächlich grosskalibrige Tafelfrüchte. Das erfordert einigen Mehraufwand: So müssen Paul und Beat Sprenger jeweils einige Wochen vor der Ernte eine Folie über den rund drei Meter hohen Bäumen aufspannen – ein Witterungsschutz, der verhindert, dass die Kirschen durch den Regen aufplatzen. Denn die grossfruchtigen Tafelkirschen sind besonders empfindlich und nur äusserlich unbeschädigte Früchte lassen sich auch verkaufen. Um sich vor den Launen des Wetters zu schützen, montieren die Sprengers nicht nur ein Regendach, sie haben auch eine Bewässerungsanlage installiert. Gerade im letzten Jahr sei man über diese froh gewesen, als es im Frühjahr ausgesprochen trocken war, erklärt Beat Sprenger. Die kontinuierliche Zufuhr von Wasser sei wichtig, damit man die gewünschte Fruchtgrösse erhalte.
Grosse Kirschen sind gefragt
Reif und gleichmässig mussten die Früchte sein in jener Zeit, als die Sprengers primär Konservenkirschen produzierten. "Das reicht heute nicht mehr", gibt Beat Sprenger zu bedenken. Das Anforderungsprofil an Tafelkirschen sei heute weitaus umfassender. Gerade im Sommer sei das Angebot an Früchten gross. Konsumenten würden nur dann Kirschen kaufen, wenn diese geschmacklich überzeugen und optisch makellos seien. Entscheidend ist zudem die Grösse. Ist der Durchmesser einer Kirsche kleiner als 21 mm, geht sie nicht mehr als Tafelkirsche durch. Ist sie grösser als 24 mm, kann die Kirsche in der Klasse Extra und bei einem Durchmesser ab 28 mm in der Klasse Premium vermarktet werden. Die Grösse ist aber nicht das einzige Kriterium, auf das Paul und Beat Sprenger beim Sortieren achten müssen. Gleichmässig reif sollten die Kirschen in den Gebinden sein. Um den Reifegrad zu bestimmen, steht den beiden Landwirten ein vom Schweizer Obstverband entwickelter Farbcode zur Verfügung, der aus sieben Rot-Tönen besteht. Liefern Paul und Beat Sprenger beispielsweise Kirschen der Klasse Premium an die Landi, dürfen sich diese höchstens um zwei Farbstufen unterscheiden. "Die Kirschen wirken attraktiver auf die Konsumenten, wenn sie farblich einheitlich daherkommen", erklärt Beat Sprenger. Denn schliesslich esse das Auge mit. Die Sprengers pflücken stets nur die reifsten Kirschen an den Bäumen. Das erfordert aber mehrere Erntedurchgänge. Etwas, was man früher nicht gemacht habe, ergänzt Paul Sprenger.
Mehr Vorschriften
Auch beim Pflanzenschutz hat sich in den letzten Jahrzehnten vieles gewandelt. "Früher war es einfacher", blickt Paul Sprenger zurück. Zuerst habe man eine Winterspritzung gemacht, danach noch eine gegen Kirschenfliegen. "Das war's", so Paul Sprenger. Der Pflanzenschädling Monilia, der die Früchte faulen lässt, habe man noch nicht gekannt, als er anfangs der 1970er Jahre die Landwirtschaftsschule absolvierte. Heute treten immer neue Schädlinge auf. Neustes Beispiel sei die Kirschessigfliege. Auch punkto Vorschriften sei es früher einfacher gewesen. Heute müsse man sämtliche Arbeiten umfassend dokumentieren.
Dafür ist das Unfallrisiko nicht mehr so gross wie früher, erklärt Paul Sprenger, denn die Spindelbäume sind bedeutend kleiner sind als die Hochstammbäume. Allerdings habe man auch nicht mehr diese herrliche Rundsicht, scherzt Beat Sprenger. Dafür könne man dank des Witterungsschutzes auch bei Regen Kirschen pflücken, ohne nass zu werden.
PS-starke Hobbys
Gemeinsam ist Paul und Beat Sprenger nicht nur die Leidenschaft für Kirschen, sondern ebenso für Pferdestärken. Der 63-jährige Paul Sprenger absolvierte die Rekrutenschule bei der Kavallerie und nahm mit seinen Pferden an vielen Concours in der Region teil. Auf ganz andere PS setzt Beat Sprenger. Mit seinem Traktor und Pflug bestellt er wettkampfmässig Felder. Als mehrfacher Schweizer Meister und EM-Teilnehmer ist er hierzulande einer der besten Wettpflüger.
Stabile Preise
Der Kirschenanbau ist für die Sprengers nebst Ackerbau und Milchproduktion zwar lediglich ein Betriebszweig, allerdings einer, der immer wichtiger wird. "Es gab Zeiten, da erhielten wir für ein Kilo Milch ein Franken. Heute sind es noch knapp 60 Rappen", beklagt Paul Sprenger. Beim Getreide sehe die Entwicklung ähnlich aus. Bei den Tafelkirschen hingegen seien die Preise stabil geblieben in den letzten Jahren. Das Potenzial grosskalibriger Tafelkirschen sei noch nicht ausgeschöpft, glaubt Beat Sprenger. Potenzial ortet der 39-Jährige zudem bei den Frühsorten. Gerade im Frühsommer würden viele Kirschen importiert. Vor der ausländischen Konkurrenz brauchten sich die inländischen Kirschen nicht zu verstecken. Im Gegenteil: Die kleinen Früchte seien sehr empfindlich und nur kurz haltbar. Das begünstige Schweizer Kirschen, die täglich frisch in die Läden kämen. Bei den Import-Kirschen würde die Qualität aufgrund der langen Transportwege leiden, so Beat Sprenger.
Keine Perspektive sehen die Sprengers für die Hochstammbäume. Zwar stehen noch deren 18 auf dem Betrieb, für die Produktion sind sie beinahe bedeutungslos. "Zu gross ist der Aufwand im Verhältnis zum Ertrag", gibt Paul Sprenger zu bedenken. Auch die Produktion von Brenn- und Konservenkirschen, die früher den Grossteil der Ernte ausmachten, werde mittelfristig runtergefahren. Denn diese würden heute – anders als früher – zu wenig einbringen.




