Wie gräbt man mit einem Computer Kartoffeln? Die Antwort auf diese Frage kennen Daniel und Samuel Guggisberg aus dem bernischen Zimmerwald. Die beiden Junglandwirte sind in diesen Wochen mit ihrem Kartoffelvollernter unterwegs. Die Erntemaschine mit der Bezeichnung Grimme SF 150-60 ist das Modernste und Grösste, das derzeit in der Schweiz Kartoffeln erntet.
Die Klimaanlage auf der Kommandobrücke
Der Vollernter von Guggisberg schwebt wie ein Schiff über den Kartoffelacker. Ein Kartoffelschiff. 12 Meter lang, 3,5 Meter breit, vier Meter hoch, 18 Tonnen schwer. Angetrieben von einem stufenlos arbeitenden 280-PS-Mercedes-Benz Motor. Der Fahrer sitzt 2 Meter über dem Boden in einer Art Kommandobrücke. Klimaanlage und Stereoradio sind lediglich elektronische Accessoires. Das Steuerrad ist das einzige, was noch an den guten alten Traktor erinnert. Der Vollernter wird über einen Bedienungshebel – einen Joystick, wie ihn die Kids bei ihren Computerspielen benutzen - mit 10 Knöpfen bedient. Die Anweisungen für die Bedienung liefert einerseits ein kleiner Bildschirm, der ständig über die verschiedenen Funktionen der Maschine Auskunft gibt. Auf einem zweiten Bildschirm wird das Gerät optisch überwacht: vier Videokameras zeigen dem Fahrer, was hinter ihm auf der Maschine läuft. Die Maschine fährt mit 1,6 Kilometern in der Stunde; in 5 bis 6 Stunden ist eine Hektare Kartoffeln gegraben.
Die Elektronik hilft, die Mitte der beiden zu grabenden Kartoffelfurchen zu finden, sie stellt die hintern Räder richtig, sie balanciert die ganze Maschine am Hang aus, so dass sie immer waagrecht steht, sie überwacht die Füllung des 6 Tonnen fassenden Bunkers.... Und wenn es Probleme gibt, dann kommt der Servicemann nicht mehr im blauen Überkleid und mit der grossen Werkzeugkiste; er erscheint mit dem Laptop und lädt neue Software!
Das Gerät gräbt immer zwei Reihen Kartoffeln gleichzeitig. Die Kartoffeln werden zusammen mit Erde, Steinen und Kraut über ein ausgeklügeltes System von Bändern transportiert, das die Trennung vornimmt. Die Kartoffeln gelangen schliesslich frei von Erde und Kraut in einen 6 Tonnen fassenden Bunker, der am Feldrand in einen Anhänger entleert wird. Den guten alten Kartoffelsack gibt es nicht mehr. Der Computer und unzählige Gummifinger sorgen für schonende Behandlung der Kartoffeln. Dazwischen steht die Bauernfamilie, die eine letzte Kontrolle vornimmt. "Es braucht schon noch Leute – aber es braucht sie weniger lange", erklärt Daniel Guggisberg die Tatsache, dass auch auf der Hightech-Maschine vier Personen von Hand Steine und Erde vom Band aussortieren müssen. "Auch eine moderne Maschine kann nicht einen kartoffelgrossen Stein von einer Kartoffel unterscheiden!"
LID-Sommerserie (6): Faszination Technik
LID. Dank den Möglichkeiten der Landtechnik gehen den Bauern von heute viele Arbeiten leichter von der Hand. Dank modernen technischen Lösungen können sie Zeit sparen und effizienter wirtschaften. In unserer Sommerserie stellen wir einige Beispiele vor. High Tech hat aber auch seinen Preis, und gerade in der Schweiz sind die Betriebsgrössen oft zu klein für die modernste Technik. Deshalb soll auch hinterfragt werden, wann die eingesetzten Technologien sinnvoll sind und wann nicht. Auch in der Verarbeitung, etwa in den Molkereien, kommt modernste Technik zum Einsatz. Ein Blick über die Landesgrenzen soll zeigen, welche Technik in anderen Ländern in der Landwirtschaft eingesetzt wird. Und schliesslich soll als "Exotikum" ein Bauer vorgestellt werden, der sich auf Ursprüngliches besinnt und Pferde als Arbeitstiere einsetzt.
Bisher sind folgende Artikel erschienen: Maislabyrinth mit GPS (5. Juli), Melkroboter (12. Juli), Fütterungscomputer im Schweinestall (19. Juli), Precision Farming (19. Juli), Milchverarbeiter (26. Juli) Künftige Artikel: Arbeitspferde, High Tech in den USA.
Hightech überbetrieblich eingesetzt
Der Vollernter von Guggisberg markiert eigentlich zwei gegenwärtig in der Landwirtschaft sichtbare Trends: Der Einsatz von Hightech und Elektronik einerseits und die überbetriebliche Zusammenarbeit andererseits. Beides hat miteinander zu tun und beides ist im Ausland vielerorts bereits gang und gäbe.
Viele Kartoffelproduzenten haben heute die Leute nicht mehr, die es braucht, um Kartoffeln zu ernten. Gleichzeitig sind die Flächen zu klein, um selbst eine moderne und leistungsfähige Erntemaschine anzuschaffen. Das ist der Grund, warum viele Kartoffelproduzenten in den letzten Jahren den Anbau aufgegeben haben. Der Kartoffelanbau ist aber von der Fruchtfolge her eine interessante Kultur, denn die Böden wollen Abwechslung. Dazu kommt, dass die technische Entwicklung viel schneller voran geht, als die Zeit, die eine Maschine braucht, um amortisiert zu werden. Viele Bauern können die Vorteile der Technik gar nicht nutzen, weil sie im Schopf noch "alte" Maschinen haben, die noch zu gut funktionieren, um sie wegzuwerfen.
Der Lohnunternehmer ist im Trend
Der überbetriebliche Einsatz der Maschinen ist hier eine mögliche Lösung. Dabei können mehrere Bauern zusammen eine Maschine anschaffen und nutzen. Die andere Möglichkeit ist die Zusammenarbeit mit einem Lohnunternehmer: Der Bauer lässt seine Kartoffeln graben. Die Lohnunternehmer sind in den meisten Fällen selbst Landwirte. Sie haben sich oft auf bestimmte Arbeiten und Maschinen spezialisiert. Nicht wie beim gemeinsamen Kauf einer Maschine, kaufen sie die Maschine auf eigenes Risiko. Und es ist ihre unternehmerische Aufgabe, die Maschine so auszulasten, dass der Kauf rentiert. Die Maschinen werden so besser ausgelastet und können optimaler eingesetzt werden. Gleichzeitig profitiert der Kunde von den Kenntnissen eines absoluten Profis. Allerdings kostet das den Bauer etwas: die Miete für den selbstfahrenden Vollernter von Guggisberg kostet pro Hektare 1050 Franken. Dazu kommt die Arbeit der beiden Fahrer für 115 Franken pro Stunde.
Ob die Rechnung aufgeht, wird sich noch zeigen
sts. Letzte Woche waren Samuel und Daniel Guggisberg mit ihrem Vollernter auf dem Betrieb von Rudolf Burri im freiburgischen Geretsried bei Überstorf. Burri hat dieses Jahr rund 1,5 Hektaren Speise- und Saatkartoffeln angebaut. Sein Betrieb ist zu klein für eine eigene Erntemaschine. Bisher hat er jeweils einen Ernter gemietet und mit seiner Familie die Arbeit selbst gemacht. Das Engagement des grossen Vollernters wagt er heuer zum ersten Mal. Mit dem Resultat ist er zufrieden; allerdings seien etwas viele kleine Kartoffeln auf dem Feld zurück geblieben. Das sei wohl einerseits auf die Sorte und andererseits auch etwas auf den derzeit sehr trockenen Boden zurückzuführen, sind sich Lohnunternehmer und Kunde einig.
Mit dem Einsatz des grossen Vollernters habe er einen grossen Schritt gemacht. Die kurze Zeit, in der die Maschine seine Kartoffeln gegraben hat, beeindruckt ihn aber sehr. "Die Zusammenarbeit mit dem Lohnunternehmer gibt mir die Möglichkeit, von der modernsten Technik zu profitieren", stellt Burri fest. Die Gretchenfrage, ob die Rechnung für ihn aufgehen wird, kann er noch nicht beantworten. "Das kommt dann noch aus". Weil im Herbst beim Umbau des Stöcklis viel Arbeit anfällt, lässt Burri dieses Jahr auch die Sortierarbeit vom Abnehmer machen. Ist die Zusammenarbeit mit dem Lohnunternehmer der letzte Schritt vor dem Ausstieg aus dem Kartoffelbau? Wird er in fünf Jahren noch Kartoffeln anbauen? Burri zögert: "Das ist eine gute Frage – das kann man heute noch nicht sagen".
Kartoffeln auf gemietetem Acker
Daniel und Samuel Guggisberg führen zusammen mit ihrem Vater Ernst Guggisberg einen Landwirtschaftsbetrieb und ein Lohnunternehmen im Bereich Kartoffelernte. Der 20jährige Samuel und der 23jährige Daniel sind ausgebildete Landwirte. Und richtige Technik-Freaks. "Landtechnik-Freaks" präzisiert Daniel. Der Betrieb Guggisberg wird als Betriebsgemeinschaft mit 20 Hektaren zusammen mit einem Nachbar geführt.
Obwohl auf dem Betrieb Guggisberg "nur" 3,5 ha Kartoffel stehen, produzieren die Guggisberg-Mannen 12 ha Speisekartoffeln! Wie ist diese wundersame Landvermehrung zu erklären? Die Kartoffeln werden auf fremden Böden produziert. Der Betrieb Guggisberg geht auch in dieser Richtung pionierhaft einen Weg, der in Zukunft auch in der Schweiz vermehrt Anhänger finden wird. Ein Landwirt, der keine Kartoffeln anbauen will oder kann, vermietet seinen Acker für eine Saison für den Anbau von Kartoffeln. Das Land bleibt in seinem Besitz – was für die Direktzahlungen von Bedeutung ist - er hat Einnahmen aus der Verpachtung und er hat den Vorteil der Kartoffeln in der Fruchtfolge. Auf der andern Seite kann der Kartoffelspezialist, der nicht jedes Jahr auf seinem Land Kartoffeln anbauen kann, so seine Kenntnisse und seine Maschinen optimal einsetzen.
Die Kartoffel-Profis aus Zimmerwald
"Professionelle Kartoffelernte: fristgerecht, schonend, leistungsstark, preiswert". So wirbt das Lohnunternehmen LGZ - Lohnarbeiten Guggisberg Zimmerwald - für seine Dienstleistungen. Lohnunternehmer sind Unternehmer – immer mit einem Bein auf der Maschine mit dem andern am Markt.
Das Interesse der Landwirte am neuen zweireihigen selbstfahrenden Vollernter ist gemäss Samuel Guggisberg überraschend gross. Neben der in der Landwirtschaft sehr wichtigen und gut funktionierenden "Mund-zu-Mund-Propaganda" und einem farbigen Flugblatt haben die Guggisbergs auch Vorführungen für ihre Berufskollegen durchgeführt. "Das Echo ist gross – viele Landwirte sind allerdings auch skeptisch", stellt Samuel Guggisberg fest. "Die Bauern sind neugierig – aber man schaut halt lieber zuerst, ob es beim Nachbar funktioniert". Die Skepsis betrifft sowohl die neue Technik als auch die Vergabe der Arbeit an einen Lohnunternehmer. Er sei zwar zu jung, um es selbst erlebt zu haben, aber das sei damals beim Mähdrescher auch so gewesen, meint Guggisberg. Heute sei es selbstverständlich, dass man das Getreide vom Lohnunternehmer dreschen lasse.
Der Trend gehe klar in Richtung dieser selbstfahrendener Vollernter. "Er ersetzt aber den von einem Traktor gezogenen einreihigen Vollernter nicht", ist Samuel Guggisberg überzeugt. Er rechnet, dass die 400’000-Franken-Maschine jährlich auf mindestens 60 ha eingesetzt werden muss, damit die Rechnung aufgeht. Er hofft, dass dieses Ziel im nächsten Jahr erreicht wird. "Wir gehen davon aus, dass wir rund 10 Jahre damit arbeiten können. Es wäre schön, wenn wir die Maschine früher abschreiben könnten".
Die Kartoffel bleibt im Zentrum
Trotz Technik wachsen die Kartoffeln noch immer im Boden und für die Bedienung der Maschine braucht es Menschen. "Man muss trotz Technik und Elektronik immer die Kartoffel im Auge behalten". Davon ist Samuel Guggisberg überzeugt. Er sei mindestens soviel Ackerbauer wie Landtechniker, betont er. "Es geht nicht darum, die Maschine zu beherrschen – der Kartoffel muss es gut gehen", philosophiert er. "Ig ha emu gäng Freud amene schöne Härdöpfubitz", sagt er in seinem breiten Berndeutsch. Die beiden Brüder haben Freude an ihrer Arbeit: Freude an der modernen Technik, Freude am blinden Verständnis zwischen ihnen und Freude an der Tätigkeit auf verschiedenen Landwirtschaftsbetrieben.
Die Landwirtschaft ist eben doch noch nicht voll durchcomputerisiert! Zum Znüni gibt es ein Glas eigenen Most im Schatten des Grimme SF 150-60.
Bild 1: Der selbstfahrende Kartoffelvollernter der deutschen Firma Grimme. (sts)
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Bild 2: Auch auf einer Hightech-Maschine gibt es noch Handarbeit.
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Bild 3: Ein Sensor sorgt dafür, dass die Kartoffelreihen präzis gegraben werden. |