Ende September ist dem Vorstand der Schweizer Milchproduzenten (SMP) endgültig der Kragen geplatzt. Grund für die Verstimmung war der Beschluss der Branchenorganisation Milch (BOM), den Richtpreis für A-Milch um vier auf 64 Rappen zu senken. Als Folge davon erklärten die SMP den Ausstieg aus der BOM. Es herrscht derzeit dicke Luft in der Schweizer Milchbranche. Mehrmengen, wachsende Butterberge, vor allem aber sinkende Produzentenpreise sorgen für rote Köpfe.
Ganz anders in Kanada. Im zweitgrössten Staat der Welt erhalten Bauern Preise für ihre Milch, von denen ihre Berufsgenossen in anderen Ländern nur träumen können. Vor allem aber wissen die kanadischen Farmer: Die Preise – und damit ihre Einkommen – bleiben stabil. Ein stetiges Auf und Ab, wie es etwa in den USA der Fall ist (siehe Infografik), kennen die kanadischen Landwirte nicht.
Stabilität dank stetiger Mengenanpassung
Möglich macht diese Kontinuität ein kartellähnliches System, das von Regierung, Verarbeitern und Produzenten gleichermassen getragen wird. Kernstück ist die Mengensteuerung, das "Supply Management". Ziel ist es, Angebot und Nachfrage im Gleichgewicht zu halten. Erreicht wird dies mittels eines Quotensystems, das monatlich angepasst wird. Anfangs Jahr legt die Milchkommission zudem die an den Produktionskosten orientierten Richtpreise fest.
Ein hochgradig regulierter Milchmarkt sei nötig, erklärte Richard Doyle am Kongress der International Federation of Agricultural Journalists (IFAJ), der Mitte September in Kanada stattfand. Der Direktor des Verbandes der kanadischen Milchbauern verwies darauf, dass es sich beim Geschäft mit der Milch um keinen normalen Markt handle. So würden nur gerade drei Molkereien fast 80 Prozent der Milch verarbeiten. Ähnlich sieht es auch im Detailhandel aus, wo drei Ladenketten 65 Prozent aller Milchprodukte verkaufen. Bei einer solchen Marktkonzentration brauche es Leitplanken, sonst hätten die Bauern das Nachsehen.
Staat muss Bauern nicht unterstützen
Die Mengensteuerung biete, so Doyle, viele Vorteile. Sie verhindere Überschüsse und garantiere stabile Preise. "Man kann den Kunden das gleiche Produkt nicht alle sechs Monate zu einem anderen Preis verkaufen." Für die Produzenten habe dieses System den Vorteil, dass sie weniger den Marktlaunen ausgesetzt seien und somit über ein sicheres Einkommen verfügen. Das schaffe Sicherheit, gerade etwa wenn Investitionen getätigt werden müssen. Da die Milchpreise zudem kostendeckend seien, brauche der Staat die Bauern nicht zu unterstützen. "Der Regierung entstehen keine Kosten", so Doyle. Und sollten trotz Mengensteuerung Überschüsse produziert werden, müssen die Produzenten für die Verwertung selbst aufkommen.
Der Vorwurf, dass die kanadischen Konsumenten überhöhte Preise bezahlen müssen, lässt Doyle nicht gelten. Zwar seien Milchprodukte in den USA aufgrund des starken kanadischen Dollars aktuell billiger, Doyle verweist aber darauf, dass es Zeiten gab, wo dies genau umgekehrt war. Die Preise für Milchprodukte seien nicht überteuert, zumal die Ausgaben für Milchprodukte durchschnittlich nur 1,5 Prozent des Einkommens ausmachen.
Wenig wettbewerbsfähig
Das kanadische Milchmodell weist allerdings auch einige Nachteile auf. Eine im letzten Jahr veröffentlichte Studie der International Dairy Foods Association kommt zum Schluss: "Mit Milchpreisen, die deutlich über denjenigen der USA, EU und Neuseeland liegen, ist Kanada auf dem Weltmarkt nicht konkurrenzfähig. Produkte aus kanadischer Milch können nur exportiert werden, wenn sie stark subventioniert werden." In der Tat: Ein Blick auf die Aussenhandelsstatistik zeigt, dass die Milchbranche primär auf den Binnenmarkt ausgerichtet ist. 2009 wurde nur gerade ein Prozent der gesamten Milchproduktion ausgeführt. Im Gegenzug sorgen hohe Zölle dafür, dass der kanadische Markt nicht mit billigen Milchprodukten aus dem Ausland überschwemmt wird. Deshalb verwundert es wenig, wenn sich die kanadischen Milchbauern vor dem Abschluss der WTO-Doha-Runde fürchten. In diesem Fall würden die Landwirte laut Doyle 20 Prozent ihres Einkommens einbüssen.
Kritiker monieren, dass durch das abgeschottete System die Preise künstlich hochgehalten werden. Gemäss einer Studie der OECD aus dem Jahr 2003 verursachte das Milchmarkt-Modell Mehrkosten von 2,7 Milliarden Dollar. Bemängelt wird zudem, dass das Quotensystem die Entwicklung der Landwirtschaft blockiere und unternehmerisches Handeln hemme. So können Farmer, die ihre Betriebe vergrössern wollen, ihre Produktion nur ausdehnen, wenn ein anderer Bauer aufhört und sie somit deren Quote übernehmen können. Gleiches gilt für Jungbauern: In die Milchproduktion können sie nur einsteigen, wenn es die entsprechenden Kontingente zu kaufen gibt – ein überdies teures Unterfangen: Um die Milch einer Kuh abliefern zu dürfen, müssen derzeit rund 25'000 Dollar bezahlt werden.


