
Die einen ekelt es, für die anderen ist es Lifestyle: Insekten essen. In unserer Kultur plötzlich etwas völlig Fremdes zu verspeisen, kann aber vernünftig sein: Insekten sind eine geballte Ladung Protein, ressourcenschonend bei der Produktion und ein Mittel gegen den Welthunger.
Als erstes Land in Europa bewilligte die Schweiz Insekten als Lebensmittel. Seit 1. Mai letzten Jahres sind 3 Arten zugelassen: Mehlwürmer, Grillen und Heuschrecken. Dafür war mehrjährige Lobbyarbeit nötig, die der ehemalige Grünen-Politiker Jürgen Vogel aus Nyon angestossen hatte, als er 2008 auf dem Paléo Festival frittierte Insekten anbot.
Die Krabbeltiere fanden praktisch widerstandslos Einzug ins Lebensmittelrecht, als dieses 2016 überarbeitet worden ist. So erstaunlich ist das nicht, denn laut einer Studie sind rund 9 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer bereit, Insekten zu essen. Ein weiteres Drittel der Befragten ist nicht abgeneigt.
Erfolgreiches Nischengeschäft
Coop ist der erste und bisher einzige Detailhändler, der Insektenprodukte anbietet. Burger und Bällchen sind in 35 Supermärkten erhältlich, der Insektenriegel zusätzlich in 14 Coop-to-go-Shops.
"Wir sind mit dem Absatz sehr zufrieden. Vor allem in städtischen Märkten verkauft sich Insekten-Food gut", sagt Mediensprecher Ramón Gander. Er gibt sich aber keinen Illusionen hin.
Vorerst werde es sicher ein Nischengeschäft bleiben, und die Produkte dürften auch noch eine Weile im höheren Preissegment verharren, fährt der Coop-Sprecher fort. Insekten würden noch in sehr geringen Mengen gezüchtet und verarbeitet. Das wirke sich eben auf die Kosten aus. Sobald aber die Produktion anziehe, würden auch die Preise sinken.

Promis lassen sich für Insekten-Food begeistern
Die Berner Designerin Andrea Staudacher ist die bekannteste Insektenköchin der Schweiz. Sie betreibt das Future Food Lab, wo sie Insektenkochkurse veranstaltet, aber auch einen Catering-Service betreibt, der über den Apéro, und Stehlunch bis zum Krabbeltier-Fünf-Gänger eine Art Gourmet-Adrenalin-Schub verspricht.
2016 ist die 29-Jährige mit ihren Fernseh-Kochshows ins Bewusstsein der Nation getreten. Sie zauberte so ziemlich alles auf den Bildschirm, was auf Insekten gluschtig macht: Fitnessriegel, Muffins und Quiche aus Mehlwürmern; Schoggichäfer und Döner aus Heuschrecken sowie Bratwurst aus Grillen. Das Meisterstück war ein Dinner mit Mehlwürmern, Heuschrecken und Ameisen.
Die Gerichte haben, zuerst widerwillig, dann aber mit Genuss eine ganze Reihe von Promis verspiesen. Damit sich die Leute eher wagten reinzubeissen, müssten die Gericht eben als Klassiker wie Burger, Muffins und hierzulande bekannte asiatische Menüs, angeboten werden, sagt die pfiffige Insektenköchin. Insekten seien zudem als Beilagen zu zahlreichen einheimischen Gerichten eine Bereicherung
Aufwändige Belüftung und Klimatisierung
Im Juli 2017 erhielt die Entomos AG als erste Firma der Schweiz die Bewilligung für die Herstellung von Lebensmittelinsekten. Die Zucht steht im luzernischen Grossdietwil. Gefüttert werden die Tiere auf pflanzlicher Basis mit Schweizer Biofutter. Das Unternehmen hat seit Jahrzehnten Erfahrungen mit der Zucht von Futterinsekten für Reptilien, Fische und Vögel.
"Insekten sind wechselwarme Tiere", sagt Geschäftsführer Urs Fanger. "Sie brauchen stabile Temperaturen. Die Belüftung und Klimatisierung der Zuchtanlagen ist daher aufwändig und teuer." Andererseits, meint Fanger, bräuchten Insekten bedeutend weniger Ressourcen als andere Nutztiere. Es werde auch keine Mast betrieben.
"Anders als bei herkömmlichen Nutztieren muss der Insektenzüchter jedoch eine sogenannte Erhaltungszucht führen, um die eigene Nachproduktion sicherzustellen. Das bedeutet einen grossen Aufwand. Eine Automatisierung und Industrialisierung in der Zucht von Speiseinsekten wird es wohl erst in einigen Jahrzehnten geben. Das hängt mit der Nachfrage nach diesem Lebensmittel zusammen."
Die Marktbedürfnisse sind noch sehr unterschiedlich. Entomos produziert pro Woche mehrere hundert Kilogramm Speiseinsekten, ein Mehrfaches des schweizerischen Bedarfs. Die Abnehmer sind Detailhändler, Gastrobetriebe, Cash + Carry, verschiedene Verarbeiter und private Haushalte. Weil es im EU-Raum noch keine Zulassung für die Produkte gibt, ist derzeit kein Export möglich. Das Kerngeschäft von Entomos ist die Zucht von Insekten. Das Unternehmen bietet unter der Marke "Gourmetbugs" aber auch eigene Lebensmittelinsekten-Produkte an.
Insekten tragen zur Nahrungsvielfalt bei
Das Zürcher Start-up Unternehmen Essento stellt mit verschiedenen Zutaten geschmacklich variierende Insektenprodukte, darunter Burger und Balls, her. Die Insect Burger enthalten neben Mehlwürmern auch Reis, und Gemüse wie Rüebli, Sellerie und Lauch sowie verschiedene Gewürze wie Oregano und Chili. Sie sind für die Zubereitung im Brötchen mit Salat und Sprossen an einer feinen Sauce geeignet. In den Insect Balls finden sich Mehlwürmern und Kichererbsen, Zwiebeln, Knoblauch sowie Gewürzen wie Koriander und Petersilie. Besonders schmackhaft sind sie mit Gemüse und einer Joghurtsauce in einem Pita-Brot.
Mit der Tatsache, dass Insekten nicht zur europäischen Esskultur gehören, geht Essento-Geschäftsführer Christian Bärtsch locker um: "Insekten tragen zur Nahrungsvielfalt bei", sagt er. "Wir sind überzeugt, dass die positiven Aspekte, welche die Insekten mitbringen, für sich sprechen. Dass wir unser Ernährungsverhalten anpassen müssen, steht jedoch ausser Diskussion. Wir setzten uns für ein Verständnis dieser Zusammenhänge ein." Neben einer Reihe anderer Kunden beliefert Essento auch die Coop-Supermärkte.

2'000 Insektenarten sind essbar
Für rund 2 Milliarden Menschen - vor allem in Asien, aber auch in Afrika und Südamerika - gehören Insekten zur gewohnten Nahrung. Rund 2'000 Arten sind essbar. Sie liefern qualitativ hochwertige Nährstoffe. So enthalten Mehlwürmer, Grillen und Heuschrecken Proteine ähnlich wie Fisch, Rind und Huhn. Sie sind aber auch reich an Eiweiss, ungesättigten Fettsäuren, Ballaststoffen, Vitaminen und Mineralstoffen wie Eisen und Zink.
Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Uno (FAO) forscht seit 2003 zu dem Thema. Bisheriges Erkenntnisse: Die Züchtung von Insekten für den Verzehr ist ökologischer als die Fleischproduktion. Die weltweit benötige Farmfläche könnte um ein Drittel reduziert werden, wenn die Hälfte des Fleischkonsums durch Lebensmittelinsekten ersetzt würde. Damit liesse sich eine Fläche gewinnen, die 70-mal größer ist als Großbritannien. Zudem sind der Wasser-, Futter- und CO2-Verbrauch geringer. 80 Prozent von Insekten sind essbar, bei Rind und Lamm hingegen nur 40 bis 50 Prozent. Die FAO sieht in Insekten ein grosses Potenzial, um den Welthunger zu bekämpfen.