Das Jahr 2006 wird in die Geschichte des Kartoffelanbaus eingehen, als zu nass, zu kalt, zu trocken und zu heiss. Kaum etwas war, wie es hätte sein müssen: "Wegen den unfreundlichen Wetterbedingungen im Frühjahr konnten die Bauern ihre Kartoffeln zum Teil erst einen Monat später setzen als gewöhnlich", sagt Ernst König, Geschäftsführer der Branchenorganisation Swisspatat. Das alleine wäre noch nicht so schlimm gewesen, viele Kartoffeln machten den Wachstumsrückstand schnell einmal wett.
Kein Kartoffelstock mit Bintje
Doch dann kam der verheerende Juli: Die anhaltende Hitze machte der erdigen Knolle so schwer zu schaffen, dass sie ihr Wachstum kurzerhand einstellte. Mehr als 30 Grad Celsius sei eben nichts für die Kartoffel, sagt König. Auch die künstliche Bewässerung ist in solchen Fällen nur ein Tropfen auf die heisse Knolle.
Das Fazit, welches König nach diesen aus Sicht des Kartoffelbauers unliebsamen Wetterbedingungen zieht, ist ernüchternd: "Mengemässig und qualitativ ist das Jahr 2006 ein sehr schlechtes. Nicht einmal im Trockenjahr 2003 fiel die Ernte so klein aus. Insgesamt rechnen wir damit, dass es ein Viertel weniger Kartoffeln geben wird als im Mittel der vergangenen fünf Jahren." Ausfälle gebe es bei jeder Sorte. Mit besonders hohen wird bei der Speisekartoffel Bintje gerechnet. Swisspatat geht davon aus, dass die Ernte bei dieser Sorte um zwei Fünftel kleiner sein wird. Muss in diesem Winter also auf die beliebte Bintje verzichtet werden? Gut möglich: "Ob wir aus dem Ausland Bintje importieren können und wollen, ist noch unklar, denn die Kartoffelernte fällt nicht nur bei uns, sondern in ganz Europa mager aus", sagt König (siehe Kasten). Kartoffelstock, Frites, Gratin, Gnocchi und Co. kann der Hobbykoch aber trotzdem zubereiten, zum Beispiel mit den Sorten Victoria, Agria oder Désirée.
Auch Profis betroffen
Walter Balmer aus Rosshäusern BE ist einer der ganz grossen im Schweizer Kartoffelanbau. Er produziert auf einer Fläche so gross wie etwa acht Fussballfelder Kartoffeln, die durchschnittliche Fläche der Schweizer Kartoffelbauern ist fünf Mal kleiner. Zudem präsidiert Balmer die Vereinigung Schweizerischer Kartoffelproduzenten.
Auch er blieb in diesem Jahr nicht von Ausfällen verschont. Das Problem auf seinen Feldern ist weniger die Quantität als viel mehr die Qualität: "Wegen der Trockenheit sind viele meiner Kartoffeln von Schorf befallen", erklärt Walter Balmer. Schorf ist eine Pilzerkrankung, die die Lagerfähigkeit der Knollen stark reduziert.
Missernten in vielen Teilen Europas
ki/lid. Nicht nur in der Schweiz fällt die Kartoffelernte heuer mager aus. Auch in weiten Teilen Europas ist die Kartoffel rar. So etwa in Deutschland, wo die diesjährige Kartoffelernte um 20 bis 25 Prozent unter dem Niveau von 2005 bleiben wird. Laut dem Deutschen Bauernverband ist noch unklar, ob die Nachfrage bis zur nächsten Saison gedeckt werden kann.
Aufgrund dieser angespannten Lage auf dem Weltmarkt ist es für die Schweizer Verarbeiter wenig attraktiv, im Ausland Kartoffeln einzukaufen. Nicht nur werden die Preise nur wenig tiefer sein als hierzulande, auch wird es schwierig sein, genügend Menge in gewünschter Qualität zu finden.
Industrie kennt wenig Gnade
Solch erkrankte Kartoffeln sind auf dem Markt nicht gefragt. "Im Speisekartoffelsektor verstehe ich das. Hier ist es besonders wichtig, dass die Kartoffeln gut lagerfähig sind", so Balmer. Wenig Verständnis hat der Kartoffelproduzent indessen für die Praxis einiger Verarbeiter. Gemäss den von der Branche festgelegten Handelsusanzen sind die Verarbeiter ab einem bestimmten Anteil erkrankter Knollen berechtigt, Preiskürzungen vorzunehmen oder die ganze Lieferung zurückzuweisen. Aus Qualitätsgründen gibt es laut Balmer bei Schorf keinen Grund für dieses Vorgehen. Würden die Kartoffeln gleich nach der Ablieferung verarbeitet, etwa zu Kartoffelsalat, habe der Schorf keinen Einfluss auf die Qualität oder das Aussehen des Endprodukts. Dass einem Kollegen, der kürzlich Kartoffeln ablieferte, der Preis wegen Schorfbefall dennoch um fast einen Fünftel gekürzt wurde, findet er falsch. "Es wäre ein Zeichen des Goodwill gegenüber uns Produzenten, wenn in einem ohnehin schwierigen Jahr solch übertriebene Qualitätsanforderungen unterlassen würden."
Bei der Migros-Tochtergesellschaft Bischofszell Nahrungsmittel AG wehrt man sich: "Erstens entscheiden nicht wir über die eingegangene Ware, sondern eine unabhängige Kontrollstelle und zweitens hat Schorf sehr wohl Auswirkungen auf die Verarbeitung, indem er den Schälgang negativ beeinflusst", sagt Pressesprecher Aurelio Wettstein.
Beim Agrarkonzern Fenaco glaubt man, den Bauern genügend entgegenzukommen: "Unser Motto in diesem Jahr lautet: Alles was irgendwie verwertbar ist, wird übernommen. Es ist aber klar, dass wir nicht alle Abzüge einfach streichen können", sagt Fritz Stucki, Leiter Geschäftsbereich Kartoffeln.
Zähe Preisverhandlungen
Innerhalb der Branche finden jährlich Preisverhandlungen statt. In diesem Jahr taten sich die Produzenten, Händler und Verarbeiter besonders schwer, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Nach zähen Verhandlungen kam am 6. September dennoch eine Einigung zu Stande. Balmer, der selbst an den Gesprächsrunden teilgenommen hat, spricht von einem Kompromiss, ohne den die Zusammenarbeit innerhalb der Branche ernsthaft gefährdet gewesen wäre. "Doch obwohl die Verarbeiter uns beim Preis ein Stück weit entgegengekommen sind, müssen wir Bauern den grössten Teil der Ausfälle selber tragen." Die Verarbeiter argumentierten, sie könnten Mehrkosten nicht auf die Einkäufer oder den Konsumenten abwälzen.
Doch auch Balmer und seine Berufskollegen können den Ertragsausfall auf niemanden abwälzen. Hinzu kommt, dass die Kartoffel nicht nur sehr anfällig ist auf Hitze, Trockenheit, Staunässe und Krankheiten, sondern auch eine der arbeitsintensivsten Pflanzen ist. Die Motivation der Bauern, diese Kultur überhaupt noch anzubauen, sinkt gemäss Balmer seit Jahren. "Noch ein bis zwei so schlechte Ernten und auch ich muss mir ernsthaft überlegen, ob ich noch weitermachen will." Die Zukunft der Schweizer Kartoffelproduktion liegt laut ihm nicht zuletzt in den Händen der Verarbeiter. Diese müssten ihre Ansprüche bezüglich Qualität in den nächsten Jahre überdenken: "Schliesslich nützt es der Branche ja nichts, wenn es keine Produzenten mehr gibt."