Im Februar beschloss der Bundesrat ein Nothilfepaket für den Milchmarkt. Mit 14 Millionen Franken für Butterverwertung und Rahmexport sollte verhindert werden, dass die Butterberge weiter anwachsen. Milchbauern und Verarbeiter einigten sich darauf, aus der überschüssigen Milch Vollmilchpulver zu produzieren und zu exportieren, damit die Pulverlager nicht überfüllt werden. Geholfen hat das nicht viel, wie sich jetzt zeigt: Noch immer sind 4'000 Tonnen zu viel Butter am Lager, die bis Ende Jahr abgebaut werden sollten. Das wird umso schwieriger, weil ab Juli definitiv Schluss ist mit staatlichen Stützungen für die Butterverwertung.
Der Milchpreis soll noch tiefer sinken
Deshalb und weil der Milchpreis in der EU auf einem Rekordtiefstand von umgerechnet 40 Rappen ist, drängen die Milchverarbeiter auf eine weitere Preissenkung. Die Vereinigung der Schweizer Milchindustrie bezieht sich dabei auf ihren eigenen Milchpreisindex, wonach der Milchpreis um weitere 12 Rappen pro Kilogramm sinken müsste.
Doch dagegen laufen die Milchbauern Sturm, aus ihrer Sicht ist der Spielraum bereits ausgereizt. Derzeit erhalten die Milchbauern zwischen 55 und 60 Rappen für ein Kilogramm Molkereimilch, zum Teil sogar noch weniger. "Schon jetzt, mit 60 Rappen, bin ich weit davon entfernt, mir selber einen anständigen Stundenlohn von rund 25 Franken bezahlen zu können", sagte der Milchbauer Martin Haab im "Cash TV" auf SF 2. Konsequenterweise müsste er jetzt aus der Produktion aussteigen, fügte er an. Aber die Arbeit mit den Kühen sei seine Leidenschaft, Aufhören sei keine Option. Haabs Organisation von kämpferischen Milchbauern, die BIG-M, schrieb in einer Medienmitteilung gar, die neue Forderung der Industrie sei eine Kriegserklärung an die Milchbauern.
Auch die Dachorganisation der Schweizer Milchproduzenten (SMP) reagierte scharf auf die Forderung der Verarbeiter. Rechne man den aktuellen EU-Milchpreis mal den Wechselkurs plus 15 Rappen Verkäsungszulage plus 10 Prozent Swissness-Bonus, sei das EU-Preisniveau bereits erreicht, hiess es in einer Medienmitteilung.
Etwas Zeit zum Verschnaufen soll die Gründung der Branchenorganisation Milch geben, die für Ende Juni vorgesehen ist. Zumindest bis die neue Branchenorganisation gegründet und konsolidiert sei, solle der Milchpreis nicht weiter gedrückt werden, sagt SMP-Sprecher Christoph Grosjean-Sommer. Bei den Verarbeitern sei man nun damit doch noch auf gewisses Verständnis gestossen. Doch Emmi-Sprecher Stephan Wehrle sieht das anders. "Die Preisverhandlungen laufen. Die Probleme am Milchmarkt bestehen jetzt, wir müssen sie jetzt lösen. Mit der Branchenorganisation hat das nicht direkt etwas zu tun." Emmi strebe per 1. Juli eine Lösung an. Wieder ansteigende EU-Milchpreise wären zwar "das Beste für alle", aber dafür gebe es derzeit keine Anzeichen.
Schlechter Arbeitsverdienst
Der Luzerner SVP-Nationalrat und Milchbauer Josef Kunz erklärte gegenüber den Medien, falls der Milchpreis weiter sinke, werde über kurz oder lang die Hälfte der Milchbauernbetriebe aufgeben, weil die Produktionskosten nicht mehr gedeckt seien. Wie hoch sind die Produktionskosten tatsächlich? Auf einem durchschnittlichen Betrieb im Talgebiet kostet die Produktion eines Kilogramms Milch laut verschiedenen Studien rund einen Franken. Dabei ist ein Arbeitsverdienst von 25 Franken pro Stunde eingerechnet. Zu einem Milchpreis von derzeit knapp 60 Rappen kommen Direktzahlungen, die pro Kilogramm gut 16 Rappen ausmachen. Das heisst, 24 Rappen der Produktionskosten bleiben im Schnitt immer noch unbezahlt. Beziehungsweise der Arbeitsverdienst sinkt. "Mit dem aktuellen Milchpreis liegt noch ein durchschnittlicher Arbeitsverdienst von 5 Franken drin", sagt Grosjean-Sommer. Das bedeute, dass auf den Betrieben nicht mehr investiert werden könne. Oder dass die Lebenshaltungskosten weiter eingeschränkt werden müssten.
Untersuchungen des Landwirtschaftlichen Bildungs- und Beratungszentrums im luzernischen Hohenrain bei 385 Milchwirtschaftsbetrieben zeigen, dass die Produktionskosten von Betrieb zu Betrieb sehr unterschiedlich sind. Die besten Betriebe produzieren mit Vollkosten von nur 77,1 Rappen pro Kilogramm Milch. Mit Direktzahlungen von 16 Rappen und einem Milchpreis von 71,6 Rappen im Jahr 2008 kamen sie auf einen Arbeitsverdienst von 36.20 Franken pro Stunde. Die am schlechtesten aufgestellten Betriebe haben Vollkosten von 118,3 Rappen und einen Arbeitsverdienst von nur 5.30 Franken pro Stunde. "Im Schnitt bedeutet eine Milchpreissenkung von 15 Rappen 10 Franken weniger pro Stunde", sagt Grosjean-Sommer. "Das sind 2'500 Franken weniger Einkommen im Monat, eine Vernichtung von zwei Dritteln des Einkommens."
Das Gespräch installieren
wy. Am 29. Juni wird die neue Branchenorganisation Milch gegründet. Ziel und Zweck ist, die Wirtschaftlichkeit und Wertschöpfung in der Schweizer Milchwirtschaft zu erhalten. Dies soll in erster Linie durch ein Marktsystem mit Vertragsmilch, Börsenmilch und Abräumungsmilch und durch Instrumente für die Markttransparenz geschehen (Milchrichtpreis, Preisbedingungen an der Milchbörse und öffentliche Marktstatistiken. Ferner sollen innerhalb der Organisation die abgeschlossenen Verträge offengelegt werden. Milchproduzenten und -verarbeiter (Molkereien und Käsereien) werden gleichwertig vertreten sein, auch der Detailhandel wird vertreten sein.
Die Milch fliesst immer
Und trotz dem enormen wirtschaftlichen Druck auf die Milchbauern können sich die Verarbeiter darauf verlassen, dass immer genug Milch vorhanden sein wird: Viele Bauern produzieren weiter, auch wenn die Rechnung nicht mehr stimmt, so wie beispielsweise BIG-M-Chef Martin Haab. Dies nicht zuletzt wegen mangelnder Alternativen, denn die Situation auf dem Arbeitsmarkt ist nicht gerade rosig. Und dort, wo ein Milchbauer tatsächlich aufhört und Lieferrechte frei werden, gibt es frohlockende Nachbarn, die noch so gerne zusätzliche Milchmengen produzieren.
Grosjean-Sommer rechnet auch nicht damit, dass die Milchmenge in der nächsten Zeit markant zurückgehen wird. "Die Milchbauern produzieren jetzt mehr, weil sie so ihre Kosten kurzfristig senken können. Und die Milchhandelsorganisationen verkaufen, was die Produzenten melken." Auch die Zahl der Milchkuhschlachtungen hat nicht in dem Ausmass zugenommen wie erwartet. Die Kühe bleiben in den Ställen und sie geben weiter Milch. Und die Butterberge bleiben hoch.
Branchenorganisation in Sicht
Was die Gründung der Branchenorganisation Milch angeht, ist zwar mit dem 29. Juni ein fixer Termin festgelegt, die Probleme und das allgegenwärtige Misstrauen am Milchmarkt wird die Organisation aber nicht auf einen Schlag ändern können. Unter den Milchhandelsorganisationen traut keine der anderen, von einer Koordination am Markt ist man weit entfernt. "Zumindest haben wird dann wieder einen institutionalisierten Dialog", sagt Grosjean-Sommer. Ferner erwartet man bei der SMP, dass sich die Akteure in der Branchenorganisation auf Massnahmen gegen die Butterberge einigen, etwa zusätzliche Verwertungsabgaben pro Kilogramm Milch.
Emmi-Sprecher Wehrle sieht es gelassener: "Wir haben Erwartungen im strategischen Bereich: Die Branche muss sich darüber einig werden, wohin es mit der Milchwirtschaft geht. Operationell hingegen hat Emmi derzeit ein funktionierendes System."
